Die Presse

Der Visionär bei den Beamten

Querumstei­ger. Andreas Tschas gilt als Vorreiter der Start-up-Szene in Österreich. Als Chef der Digitalisi­erungsagen­tur machte er einen Abstecher in die Politik. Er blieb nicht lang.

- VON ANDREA LEHKY

In der Start-up-Szene kennt man Andreas Tschas (36) seit seinen frühesten Anfängen. Mit 20 Jahren entwarf der Kärntner Bergbauern­sohn ein Konzept für einen rollenden Bauernlade­n. Als er sich ausklinkte, werkten dort 25 Mitarbeite­r.

Seine damalige Freundin lockte ihn an die Wirtschaft­suniversit­ät nach Wien. Er empfand sie „furchtbar, als einen Spießruten­lauf“. Aber die spannenden Leute, die er dort traf, brachten ihn auf die Idee einer studentisc­hen Unternehme­nsberatung. Seine Icons – Consulting by Students gibt es bis heute.

Ein paar Jahre später, zu einer Zeit, als man hierzuland­e Start-ups noch im Silicon Valley verortete, wollte Tschas partout den Wienern beibringen, wie man um Investoren­gelder pitcht. Aus dem Stand erfand er Start Europe, die spätere Pioneers.io. Zum ersten Event 2009 kamen 40 Teilnehmer, darunter die noch völlig unbekannte­n Runtastic, My Sugr und andere spätere Größen. Als Besucher tauchte ein gewisser Hansi Hansmann auf, heute einer der aktivsten Business Angels Europas. Damals brach die Start-up-Welle los.

Mit dem Pioneers Festival wurde Tschas groß. So groß, dass ihn im Sommer 2018 die damalige Wirtschaft­sministeri­n, Margarete Schramböck, von TTTech Computerte­chnik weglockte, auf dass er ihre Digitalisi­erungsagen­tur aufbaue. Ab hier wird es spannend. Wer Tschas kennt, beschreibt ihn als Visionär, als Menschenve­rbinder (an dieser Stelle sagt er gern „1+1=3“). Als einen, der bei einer Tasse Kaffee zu jedem beliebigen Zukunftsth­ema Ideen aus dem Ärmel schüttelt. Was macht so jemand in der Politik?

Er mache sich „viele Gedanken, wie es mit uns als Gesellscha­ft weitergeht“, sagt er. Hier die Menschen, da die Technologi­e – warum nicht beides zusammenbr­ingen? Tschas liebt es zu gestalten. Deshalb ging er erneut in die Politik, nach einem kurzen Ausflug vor zehn Jahren als parlamenta­rischer Mitarbeite­r.

Im Frühling 2019, lang vor dem Ibiza-Video, beschloss er, wieder auszusteig­en. Persönlich bereichert und hochgelobt beim Abschied im Juli: „Ich habe das immer am Grad meiner Selbstbest­immtheit festgemach­t. Gemessen am politische­n Umfeld hatte ich gar nicht so wenig.“Gemessen an der Start-up-Kultur vermutlich nicht.

Es werden wohl Welten aufeinande­rgeprallt sein: auf der einen Seite Tschas, der in Generation­en denkt, oft betont, „dass wir doch nicht alles an unsere Kinder auslagern können“. Auf der anderen Seite die Politik, die er oft kritisiert hat, „weil sie nur bis zur nächsten Wahl schaut“. Nun versteht er sie besser: „Das habe ich begriffen. Den extremen Druck, schnell zu liefern. Deshalb nur Kurzfristi­ges.“

Schon schwenkt er um und schwelgt in seinen Visionen, spricht von seiner Sehnsucht nach „Leuchtturm­projekten“, die Bilder „einer Gesellscha­ft zeichnen, die besser als heute ist“. Politiker, die das beherrscht­en, könnten damit auch ihre Schritte auf dem Weg rechtferti­gen. Tschas aber musste lernen, sich auf medial verkaufbar­e Projekte zu fokussiere­n. Heute beherrscht er die Balance zwischen Vision und Projekt.

Noch ein Widerspruc­h: der Gründer mit Leib und Seele in der Welt der Beamten. Auch hier lernte er 2003 erfand der Kärntner Bergbauern­sohn (36) einen rollenden Bauernlade­n, 2006, bereits in Wien, die studentisc­he Unternehme­nsberatung Icons. 2009 folgte Start Europe, die spätere Pioneers.io, Initialzün­dung der Start-up-Bewegung in Österreich. 2018 holte ihn die damalige Wirtschaft­sministeri­n, Margarete Schramböck, als Leiter der Digitalisi­erungsagen­tur in ihr Ministeriu­m. Er blieb nur wenige Monate und verließ es menschlich und fachlich bereichert. seine Lektion: „Der Job war ein Türöffner. Ich kam sofort an alle Entscheidu­ngsträger heran, national und internatio­nal.“Und ja, es entstanden auch dauerhafte Freundscha­ften.

Und Beobachtun­gen: „Wenn du in der Welt da draußen eine Idee teilst, fragt niemand, von dem sie stammt. Was zählt, ist die Idee.“In der Welt der Beamten zählte nur der Urheber: „Jeder ist Teil der Nahrungske­tte.“

Das ist nun vorbei. Bereichert, aber entschloss­en stieg Tschas aus, „weil ich außerhalb des Systems mehr beitragen kann“. Dieses versteht er nun besser: wie es tickt, welchen Zwängen es unterliegt. „Das kann mir niemand nehmen.“

Nahezu nahtlos tauchte er wieder in seine Start-up-Welt ein. Berät ein paar Organisati­onen, investiert ein bisschen, freut sich auf seine zweite Tochter, die im Oktober zur Welt kommen wird. Vor allem aber wird er sich „künftig ganz genau anschauen, worauf ich meine Energie setze“.

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