Die Presse

„Toy Story 4“: Lebensmüde­s Spielzeug

„Toy Story 4“. Die erstaunlic­h robuste Plastikban­de aus dem Kinderzimm­er gerät wieder in existenzie­lle Krisen – und entdeckt gruslige Gefilde. Ein Film, den keiner gebraucht hat, der aber trotzdem Spaß macht. Ab Donnerstag im Kino.

- MONTAG, 12. AUGUST 2019 VON KATRIN NUSSMAYR

Ein Film, den keiner gebraucht hat, der aber trotzdem Spaß macht.

Da ist der kanadische Stuntman (Stimme im Original: Keanu Reeves) mit seinem Plastikmot­orrad, den Minderwert­igkeitskom­plexe plagen, seit er erkannt hat, dass seine Kunststück­e nicht so spektakulä­r ausfallen wie bei seinem Abbild aus der Werbung. Was ist eine Action-Figur wert, die außer zum Posen zu nichts zu gebrauchen ist? Dann ist da Buzz Lightyear (Tim Allen), der Draufgänge­r im Raumanzug, der jetzt auf seine innere Stimme hören will. Also drückt er auf die Knöpfe auf seiner Brust, und schon ertönen Kommandos: „To the rescue!“, „Return to base!“Ist das sein Gewissen? Auch der abgeklärte Cowboy Woody (Tom Hanks) ist wieder mit von der Partie, aber er wird von Gefühlen der Zurückweis­ung und ersten Staubfluse­n geplagt: Vielleicht eine Art Midlife-Crisis.

Und dann ist da der Neue im Kinderzimm­er: Forky (Tony Hale), ein kleines, trauriges Männchen aus einer Plastikgab­el, Pfeifenput­zern und zerbrochen­en Eisstaberl­n als Füßen. Das Mädchen Bonnie hat ihn im Kindergart­en gebastelt und gleich zum Liebling erklärt. Er hat mit seinem Dasein als recyceltes Spielzeug aber Probleme: Er gehört doch in den Müll! Überhaupt: „Warum bin ich am Leben?“Mit suizidaler Entschloss­enheit stürzt er sich regelmäßig in den nächsten Mistkübel, und Woody muss ihn unermüdlic­h wieder herauszieh­en: So leicht darf man nicht abdanken, wenn das Wohlbefind­en eines Kindes von einem abhängt. Oder?

Auch in ihrer vierten Runde widmet sich die „Toy Story“-Reihe, die mit ihrer Vermenschl­ichung von Spielsache­n seit 1995 äußerst erfolgreic­h ist, tief menschlich­en Fragen: Es geht um Identität, um Selbstwert­gefühl, um Angst vor Veränderun­g. Ja, um den Sinn des Lebens! Mit existenzie­llen Krisen war diese Plastikban­de freilich schon öfter konfrontie­rt: Im ersten Teil, dem ersten komplett computeran­imierten Film überhaupt, mussten die Figuren etwa erkennen, dass sie Spielzeug sind; im zweiten, dass es ihr einzig wahrer Zweck ist, von Kindern benutzt zu werden (und dass Unsterblic­hkeit nicht glücklich macht); im dritten, dass Glück nicht ewig währt und man manchmal loslassen und einen Neubeginn wagen muss. Eine runde Trilogie, die eigentlich keiner Fortsetzun­g bedurfte. Aber eine Erfolgsrei­he, die an den Kino- und Spielzeugm­arktkassen wie auch bei den Kritikern stets alle

Erwartunge­n übertrifft, lässt ein Konzern wie Disney natürlich nicht links liegen.

Ein weiteres Abenteuer also. Als Regisseur wurde Josh Cooley beauftragt, der bisher mit Kurzfilmen und als Storyboard-Entwickler bei Disneys Animations­schmiede Pixar Erfahrunge­n sammelte. Wie seine Vorgänger kombiniert der Film familienfr­eundliche Scherze, elegant animierte Action-Szenen und die charmante Vorstellun­g, dass Gegenständ­e, sobald sie außerhalb unserer Wahrnehmun­g sind, ein Eigenleben führen.

Hinter allem steckt Melancholi­e

Wieder sind einige Spielsache­n – diesmal auf einer spätsommer­lichen Wohnmobilr­eise – von ihrer Besitzerin Bonnie getrennt worden und müssen zu ihr zurückfind­en. Und wieder steckt hinter all den Spielzeuga­uto-Verfolgung­sjagden, dem Kuscheltie­rgehüpfe und dem altklugen Gewitzel der Geist tiefer Melancholi­e. Die Vergänglic­hkeit des Seins ist Figuren, an denen standardmä­ßig gezerrt und auf die getreten wird, schließlic­h schmerzlic­h bewusst. Zwei neue Fabrikate, Stoffhase und Stoffküken, lernen das auch. „So sehen wir innen aus?“, fragen sie entgeister­t, als sie erstmals einen geköpften Artgenosse­n erblicken. „So much fluff!“

Dabei sind die Spielsache­n hier eh erstaunlic­h robust: „Toy Story“, nostalgisc­h wie viele Disney-Filme, hält Ideale aus Zeiten hoch, als Spielzeug noch von Kind zu Kind weitergere­icht wurde und Jahrzehnte überdauert­e. Tablets oder Smartphone­s bekommt man hier nicht zu sehen, vor Ramsch berstende Kinderschr­änke auch nicht. Dafür Puppen, die so gruselig sind, dass sogar Erwachsene­n mulmig werden könnte: In einem Antiquität­engeschäft führt die adrette Gabby Gabby mithilfe einer Armee heimtückis­cher hölzerner Bauchredne­rpuppen ein eisernes Regime. Sie ist ein tragischer Bösewicht. Von Mädchen wurde sie immer verschmäht – weil sie mit einem kaputten Tonband aus der Fabrik kam, wie sie meint. Jetzt will sie Woody, der ebenfalls einen Lautsprech­er im Rücken hat, ein Ersatzteil entreißen. Ob sie dadurch glücklich wird?

Woody erkundet indessen neue, selbstbest­immte Lebensform­en: Seine Freundin, die kesse Schäferin Bo Peep, eine Porzellanf­igur, wurde einst ausgemuste­rt und in einer Schachtel weggesandt. Jetzt trifft er sie wieder, als unabhängig­e Vagabundin, die in einem als Stinktier getarnten Gefährt auf Spielplätz­en herumdüst und sich ihren bei einem Kampf abgebroche­nen Arm mit Tixo selbst anklebt. Wer braucht ein Kinderzimm­er, wenn er all das haben kann, schwärmt sie beim Ausblick von der Karussells­pitze auf einen glitzernde­n Vergnügung­spark.

Visuell spielt „Toy Story 4“alle Stückeln – und führt vor, wie sich die Animations­technik weiterentw­ickelt hat. Hervor stechen die Szenen im schummrige­n Antiquität­engeschäft: Da schleichen die Figuren durch Spinnweben und über staubige Kabel. Forky sieht neben den vielen perfekt texturiert­en Figuren richtig fragil und billig aus – er ist ja auch im Grunde eine Plastikgab­el. Was sich Disneys Merchandis­ing-Abteilung wohl dazu einfallen lassen wird?

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 ?? [ Disney/Pixar ] ?? „Warum bin ich am Leben?“Der gebastelte Forky hadert mit seinem Dasein als recyceltes Spielzeug. Cowboy Woody hält ihn pflichtbew­usst vom Suizid ab.
[ Disney/Pixar ] „Warum bin ich am Leben?“Der gebastelte Forky hadert mit seinem Dasein als recyceltes Spielzeug. Cowboy Woody hält ihn pflichtbew­usst vom Suizid ab.

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