Die Presse

Der alte Mann und die schwere Last der Vergangenh­eit

Slowakei. Der autoritäre, aber von vielen verehrte Ex-Premier Vladim´ır Meˇciar will in die Politik zurück – und kündigt die Gründung einer Partei an.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Der umstritten­e slowakisch­e ExPolitike­r Vladim´ır Meciarˇ hat die Gründung einer neuen Partei angekündig­t. Zugleich ist der Justizstre­it um seine autoritäre­n Machenscha­ften während seiner Zeit als Regierungs­chef wieder entbrannt. Ende Juli gerade erst 77 Jahre alt geworden, will der einst allmächtig­e Staatsgrün­der offenkundi­g wieder in der slowakisch­en Politik mitmischen.

In einem auch als Video veröffentl­ichten Interview mit der zweitgrößt­en Boulevardz­eitung des Landes bestätigte der Politikvet­eran vor einer Woche erstmals Gerüchte, dass er an der Gründung einer neuen Partei arbeite. Das müsse jedoch nicht bedeuten, dass er persönlich wieder ein Regierungs­amt oder den Parteivors­itz anstrebe, schränkte er ein.

Meciarˇ erregt die Gemüter der slowakisch­en Öffentlich­keit auch noch 20 Jahre nach der historisch­en Parlaments­wahl von 1998. Damals verjagte die slowakisch­e Wählerscha­ft die letzte und zugleich umstritten­ste der insgesamt drei von ihm geführten Koalitions­regierunge­n von der Macht, weil Meciarˇ zum Hindernis für den ersehnten EUBeitritt des Landes geworden war.

Was an Meciarˇ inzwischen aber am meisten interessie­rt, ist nicht mehr die Frage nach seinen politische­n Zielen, sondern ob und wie er für die Sünden seiner Regierungs­zeit zur Verantwort­ung gezogen werden kann. Kaum war seine Ankündigun­g einer Parteigrün­dung durch die Medien geeilt, ließ eine andere Nachricht aufhorchen, in der es um die Last seiner politische­n Vergangenh­eit geht, die das Land bis heute spaltet und traumatisi­ert.

Meciarsˇ Amnestiede­krete

Das seit Juli 2017 gegen den früheren Regierungs­chef laufende Ermittlung­sverfahren wegen Amtsmissbr­auchs werde wegen verfassung­srechtlich­er Bedenken und fehlender Erfolgsaus­sicht eingestell­t, gaben die zuständige­n Ermittler bekannt. Die Generalsta­atsanwalts­chaft als oberste Anklagebeh­örde protestier­te prompt: Sie werde prüfen, ob das Verfahren nicht doch weitergefü­hrt werden müsse. Dabei geht es um die Frage, ob Meciarˇ vor Gericht gestellt und in weiterer Folge sogar zu einer Gefängniss­trafe verurteilt werden kann. Zu Ende seiner Amtszeit 1998 missbrauch­te er nämlich eine Verfassung­slücke dazu, um die Verantwort­ung für seine schwersten politische­n Verbrechen durch eine Art präventive Amnestie zu verschleie­rn.

Mit den Amnestiede­kreten verbot Meciar,ˇ weiter zu untersuche­n, wer für die mutmaßlich vom eigenen Geheimdien­st organisier­te Entführung des Präsidente­nsohns Michal Kova´cˇ junior und die anschließe­nde Ermordung eines Belastungs­zeugen verantwort­lich war.

Erst 2017 fand sich die nötige Verfassung­smehrheit im Parlament, um im Gleichklan­g mit dem Verfassung­sgericht Meciarsˇ damalige Amnestien aufzuheben. Damit schien auch eine Anklage gegen ihn wieder möglich. „Die ganze von ihm betrogene Generation“wünsche Meciarˇ im Gefängnis anstatt wieder zurück in die Politik, kommentier­te die liberale Tageszeitu­ng „Sme“dessen Parteigrün­dungspläne.

Korruption und Günstlings­wirtschaft

„Sme“war in den 1990er-Jahren als wichtigste­s Sprachrohr der Meciar-ˇGegner entstanden, als noch große Teile der Bevölkerun­g dem Volkstribu­n zu Füßen lagen. Linienbusf­ahrer führten damals sein Porträtfot­o gemeinsam mit einem Rosenkranz am Rückspiege­l befestigt auf ihren Fahrten mit wie ein Heiligenbi­ld. Tausende pilgerten regelmäßig in die Sporthalle Pasienky in Bratislava, wenn Meciarˇ dort seine legendären Auftritte absolviert­e.

Dass im Schatten des strahlende­n Landesvate­rs Korruption und Günstlings­wirtschaft wucherten, war schon damals selbst seinen glühendste­n Anhängern bekannt. Doch ließen sie sich lang von Meciarsˇ Demagogie einlullen, dass alles noch viel schlimmer wäre, wenn seine Gegner an die Macht kämen.

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[ Reuters ] Vladim´ır Meciarˇ glaubt mit 77 an sein politische­s Comeback.

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