Argentinien rast auf den Abgrund zu
Analyse. Bei Vorwahlen zu den Präsidentschaftswahlen erlitt das Lager von Amtsinhaber Macri eine verheerende Schlappe. Der Kirchner-Clan ist wieder auf dem Vormarsch. Der Peso stürzte ab.
Einmal reichte nicht. Drei mal hintereinander sprach Mauricio Macri den gleichen Satz: „Wir hatten eine sehr schlechte Wahl“. Dann forderte er seinen geschockten Anhang auf, am besten schnell schlafen zu gehen, um anderntags ausgeruht einen Kampf wiederaufzunehmen, der inzwischen kein anderes Attribut verdient als „aussichtslos“.
Es war genau 22.11 Uhr, als Argentiniens Präsident die Niederlage seiner Regierungskoalition bei den Vorwahlen einräumte. Weil die Teilnahme an dieser Abstimmung verpflichtend ist, gilt sie als wichtigster Stimmungstest vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen im Oktober. Und sie ist richtungsweisend für die Finanzwelt, von deren Wohl oder Wehe Argentinien so abhängig ist wie kaum ein anderes Land der Welt.
„Glücksmomente“versprochen
Als Macri sein Waterloo eingestand, warteten nicht nur seine Anhänger, sondern die gesamte Nation noch auf die ersten offiziellen Zahlen. Erst 18 Minuten nach dem Präsidenten trat der für den Wahlprozess Hauptverantwortliche, Innenminister Rogelio Frigerio vor die Mikrofone und verkündete zwei Werte: 47 Prozent für das Oppositionsbündnis „Todos“und um die 32 Prozent für die Regierungskoalition „Juntos por el cambio“.
Es manifestierte sich ein fast landesweiter Triumph für das Bündnis, das die jungen und sehr umtriebigen Mitarbeiter der ExPräsidentin Cristina Kirchner seit dem letzten Jahr geknüpft hatten, mit Provinzfürsten, urbanen Unzufriedenen und lokalen Führern, zumeist aus dem weiten Reigen der lange zerstrittenen peronistischen „Gerechtigkeitspartei“, aber auch darüber hinaus.
Sollte „Todos“am Wahltag im Oktober das gleiche Ergebnis einfahren, wäre keine Stichwahl nötig. Denn in Argentinien reichen 45 Prozent der Stimmen für einen Sieg. Als kurz vor Mitternacht Alberto Fernandez´ vor seine jubelnden Anhänger in einem Kulturzentrum nahe dem Zentralfriedhof trat, rief er zuerst „Gracias, Argentina!“Und versprach dann, der Nation jene „Glücksmomente“zu schenken, die sie während der vier Jahre unter Macri verloren habe.
Der Präsident, der erklärte Favorit der Finanzmärkte und der Industrieländer auf der Nordhalbkugel, hatte versucht, die während der zwölf Jahre unter dem Herrscherpaar Kirchner weitgehend geschlossene argentinische Volkswirtschaft zu öffnen. Aber ohne parlamentarische Mehrheit fand Macri keinen Weg für tiefgreifende Reformen. Und vieles, was er versuchte, blieb Stückwerk, nachdem im Vorjahr die Finanzmärkte das Vertrauen in Macris Strategie verloren hatten. Macri rief im Mai 2018 den Internationalen Währungsfonds zu Hilfe, der schließlich den größten stand-by Kredit seiner Geschichte zusagte und diesen – entgegen aller üblichen Praktiken – zu 90 Prozent bereits in den ersten 18 Monaten auszahlte.
Inflation bei 55 Prozent
Nicht nur die innenpolitischen Gegner werteten das als direkte Wahlkampfhilfe für Macri. Aber: Das viele Geld aus Washington reichte nicht aus, die im Vorjahr abgestürzte Wirtschaft wiederzubeleben. Um einen weiteren Verfall des Peso zu verhindern, zahlt die Zentralbank für Einlagen in der Landeswährung seit einem Jahr Rekordzinsen von über 60 Prozent. Das machte Kredite für Unternehmen und Verbraucher unerschwinglich. Im ersten Quartal sank die Gesamtwirtschaftsleistung um 5,8 Prozent. Die Inflation lag Ende Juni im Vorjahresvergleich bei 55,8 Prozent.
Ehe Macri im Dezember 2015 sein Amt antrat, hatte er angekündigt, die Teuerungsrate binnen weniger Monate auf einstellige Werte herunterzufahren. Tatsächlich endete das erste Jahr mit 45 Prozent Inflation, das zweite mit 35, das dritte mit 48 und nun dürften die bisher veranschlagten 40 Prozent für 2019 kaum zu erreichen sein, denn die Wahl vom Sonntag dürfte eine turbulente Woche an den Finanzmärkten auslösen.
Am Montagmorgen verlor der Peso ein Viertel seines Werts, die argentinischen Anleihen ließen um 15 Prozent nach, Aktien sanken um bis zu 56 Prozent ihres Wertes. Macris Chancen auf eine Wiederwahl dürften dadurch weiter sinken. Der Präsident muss nun alles versuchen, um einen totalen Absturz Argentiniens zu verhindern.