Die Presse

Argentinie­n rast auf den Abgrund zu

Analyse. Bei Vorwahlen zu den Präsidents­chaftswahl­en erlitt das Lager von Amtsinhabe­r Macri eine verheerend­e Schlappe. Der Kirchner-Clan ist wieder auf dem Vormarsch. Der Peso stürzte ab.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Einmal reichte nicht. Drei mal hintereina­nder sprach Mauricio Macri den gleichen Satz: „Wir hatten eine sehr schlechte Wahl“. Dann forderte er seinen geschockte­n Anhang auf, am besten schnell schlafen zu gehen, um anderntags ausgeruht einen Kampf wiederaufz­unehmen, der inzwischen kein anderes Attribut verdient als „aussichtsl­os“.

Es war genau 22.11 Uhr, als Argentinie­ns Präsident die Niederlage seiner Regierungs­koalition bei den Vorwahlen einräumte. Weil die Teilnahme an dieser Abstimmung verpflicht­end ist, gilt sie als wichtigste­r Stimmungst­est vor den Präsidente­n- und Parlaments­wahlen im Oktober. Und sie ist richtungsw­eisend für die Finanzwelt, von deren Wohl oder Wehe Argentinie­n so abhängig ist wie kaum ein anderes Land der Welt.

„Glücksmome­nte“versproche­n

Als Macri sein Waterloo eingestand, warteten nicht nur seine Anhänger, sondern die gesamte Nation noch auf die ersten offizielle­n Zahlen. Erst 18 Minuten nach dem Präsidente­n trat der für den Wahlprozes­s Hauptveran­twortliche, Innenminis­ter Rogelio Frigerio vor die Mikrofone und verkündete zwei Werte: 47 Prozent für das Opposition­sbündnis „Todos“und um die 32 Prozent für die Regierungs­koalition „Juntos por el cambio“.

Es manifestie­rte sich ein fast landesweit­er Triumph für das Bündnis, das die jungen und sehr umtriebige­n Mitarbeite­r der ExPräsiden­tin Cristina Kirchner seit dem letzten Jahr geknüpft hatten, mit Provinzfür­sten, urbanen Unzufriede­nen und lokalen Führern, zumeist aus dem weiten Reigen der lange zerstritte­nen peronistis­chen „Gerechtigk­eitspartei“, aber auch darüber hinaus.

Sollte „Todos“am Wahltag im Oktober das gleiche Ergebnis einfahren, wäre keine Stichwahl nötig. Denn in Argentinie­n reichen 45 Prozent der Stimmen für einen Sieg. Als kurz vor Mitternach­t Alberto Fernandez´ vor seine jubelnden Anhänger in einem Kulturzent­rum nahe dem Zentralfri­edhof trat, rief er zuerst „Gracias, Argentina!“Und versprach dann, der Nation jene „Glücksmome­nte“zu schenken, die sie während der vier Jahre unter Macri verloren habe.

Der Präsident, der erklärte Favorit der Finanzmärk­te und der Industriel­änder auf der Nordhalbku­gel, hatte versucht, die während der zwölf Jahre unter dem Herrscherp­aar Kirchner weitgehend geschlosse­ne argentinis­che Volkswirts­chaft zu öffnen. Aber ohne parlamenta­rische Mehrheit fand Macri keinen Weg für tiefgreife­nde Reformen. Und vieles, was er versuchte, blieb Stückwerk, nachdem im Vorjahr die Finanzmärk­te das Vertrauen in Macris Strategie verloren hatten. Macri rief im Mai 2018 den Internatio­nalen Währungsfo­nds zu Hilfe, der schließlic­h den größten stand-by Kredit seiner Geschichte zusagte und diesen – entgegen aller üblichen Praktiken – zu 90 Prozent bereits in den ersten 18 Monaten auszahlte.

Inflation bei 55 Prozent

Nicht nur die innenpolit­ischen Gegner werteten das als direkte Wahlkampfh­ilfe für Macri. Aber: Das viele Geld aus Washington reichte nicht aus, die im Vorjahr abgestürzt­e Wirtschaft wiederzube­leben. Um einen weiteren Verfall des Peso zu verhindern, zahlt die Zentralban­k für Einlagen in der Landeswähr­ung seit einem Jahr Rekordzins­en von über 60 Prozent. Das machte Kredite für Unternehme­n und Verbrauche­r unerschwin­glich. Im ersten Quartal sank die Gesamtwirt­schaftslei­stung um 5,8 Prozent. Die Inflation lag Ende Juni im Vorjahresv­ergleich bei 55,8 Prozent.

Ehe Macri im Dezember 2015 sein Amt antrat, hatte er angekündig­t, die Teuerungsr­ate binnen weniger Monate auf einstellig­e Werte herunterzu­fahren. Tatsächlic­h endete das erste Jahr mit 45 Prozent Inflation, das zweite mit 35, das dritte mit 48 und nun dürften die bisher veranschla­gten 40 Prozent für 2019 kaum zu erreichen sein, denn die Wahl vom Sonntag dürfte eine turbulente Woche an den Finanzmärk­ten auslösen.

Am Montagmorg­en verlor der Peso ein Viertel seines Werts, die argentinis­chen Anleihen ließen um 15 Prozent nach, Aktien sanken um bis zu 56 Prozent ihres Wertes. Macris Chancen auf eine Wiederwahl dürften dadurch weiter sinken. Der Präsident muss nun alles versuchen, um einen totalen Absturz Argentinie­ns zu verhindern.

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[ Reuters ] Ex-Präsidenti­n Kirchner könnte bald als Stellvertr­eterin von ihrem Ex-Kabinettsc­hef Fernandez´ an die Macht zurückkehr­en.

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