Die Leiden des Naschmarkts
Analyse. Zum ersten Mal lockt der Markt nicht mehr die meisten Besucher an. Grund ist neben den zwei aktuellen Baustellen wohl auch die starke Ausrichtung auf Touristen. Eine Spurensuche.
Einer der Marktschreier preist seine Ware an, während eine Gruppe berucksackter Menschen mit Wasserflaschen im Schatten der Markisen spaziert. Es ist später Nachmittag am Naschmarkt, die ersten Stände packen schon ihre Wassermelonen, Dirndlkleider für Kleinkinder und gezuckerten Trockenfrüchte zusammen.
Ganz am Ende des Marktes, wo die Sonne gnadenlos den Asphalt aufheizt, hat Franz Dejakum seinen Seifen-Stand aufgebaut. Seit einem Jahr versucht er am Naschmarkt sein Glück. Nirgendwo sei die Standgebühr so hoch wie hier. Das Geschäft lohne sich zwar, doch heute sei kein guter Tag gewesen. „Seit 15 Uhr habe ich keinen einzigen Euro eingenommen.“
Zwei Baustellen
Mit einer schnellen Handbewegung vertreibt Dejakum eine Taube – die vielen Nüsse am Markt würden die Tiere anlocken. Der Naschmarkt richte sich vor allem auf Touristen aus, die lieber haltbare Mitbringsel statt Obst kaufen würden. Wenn überhaupt: „Sie schauen viel und kaufen wenig.“
Dort, wo die Markisen noch Schatten spenden, verkauft Ibrahim Lashin orientalische Lebensmittel. „Die Kunden werden jährlich weniger“, klagt er. „Die vielen Touristen schrecken die Einheimischen ab.“Die Schuld für das schrumpfende Geschäft sieht er auch bei den Baustellen: Die näheste U4-Station Kettenbrückengasse ist seit Ende Juni gesperrt. „Und jetzt kommt auch noch die Baustelle für den Radweg dazu und viele Parkplätze fallen weg – das ist katastrophal.“Eine Zeit lang wurden gratis Parktickets für die Naschmarkt-Kunden verteilt. Sowohl bei Dejakum als auch Lashin seien die jedoch liegen geblieben.
Lashins Bruder ist die neue Hoffnung für die NaschmarktStandler: Omar Lashin wurde von ihnen als ihr Vertreter gewählt. Seit Anfang des Sommers setze er sich zwei, drei Mal im Monat mit dem Bezirksvorsteher zusammen und erzähle von den gesammelten Wünschen der Standler. „Aber es ist schwierig, weil jeder eine ganz eigene Vorstellung hat“, sagt dieser. Etwa mehr Sitzgelegenheiten fordern sie, aber auch der Radweg und die verbauten Parkplätze seien ein großes Thema: „Großeinkäufe für die Woche sind für Einheimische nicht möglich, wenn die Parkplätze so weit weg sind.“
Konkret werden rund 900.000 Euro jährlich in den Naschmarkt investiert, heißt es von Bezirksvorsteher Markus Rumelhart (SPÖ). Das Geld werde etwa für Müllentsorgung und Stromkosten verwendet. „Wir tun alles, um den Naschmarkt zu unterstützen“, beteuert Rumelhart. „Aber die Diskussion um den Naschmarkt gibt es schon länger als ich im Amt bin.“
Neue Zahlen befeuern die Diskussion momentan: Das Marktamt veröffentlichte vergangene Woche eine Frequenzzählung der Besucher auf den Wiener Märkten. Zum ersten Mal landete der Naschmarkt laut Marktamt nicht auf dem ersten Platz, sondern auf dem dritten. 52.503 Menschen besuchten den Naschmarkt pro Woche, deutlich weniger als am Brunnenmarkt (72.674) und dem zweitplatzierten Rochusmarkt (56.251). Die Zahlen stammen vom Mai dieses Jahres – also noch vor den Baustellen.
Tourismus und Schickeria
Marktamtlseiter Andreas Kutheil versteht die Schwarzmalerei allerdings nicht: „Der Naschmarkt ist noch immer sehr gut besucht. Ich habe nicht das Gefühl, dass er in irgendeiner Krise steckt.“Kutheil verstehe zwar, wenn die Standler nicht über die Baustellen durch U-Bahn und Radwegen erfreut seien. „Aber die Bauarbeiten werden so gestaltet, dass sie die Standler möglichst wenig beeinträchtigen“, sagt er. „Und vielleicht macht der Radweg den Naschmarkt ja langfristig attraktiver.“
Dass viele Touristen kommen würden, sehe er als Vorteil für den Markt. „Er ist einer der Hot-Spots von Wien.“Peter Jaschke, der seit 2013 die Initiative Rettet den Naschmarkt anführt, sieht das anders: „Der Naschmarkt ist zur Fressmeile für Touristen geworden“, klagt er. Der Niedergang habe viel mehr damit begonnen, als der Naschmarkt vor rund zehn Jahren in die Reiseführer aufgenommen wurde.
Die Preise am Markt seien außerdem zu teuer: „Neben den Touristen kommt höchstens die betuchte Gesellschaft am Samstag, kauft Fisch, trinkt ein Fluchtachterl und geht wieder.“Jaschke sieht eine mögliche Lösung darin, dass vor der Standplatzvermietung der Bedarf beachtet wird. „Damit nicht schon wieder ein Stand mit Nüssen aufmacht.“
Tauben picken Krümel vom Boden, mittlerweile sind die meisten Markisen eingeklappt. Auch Dejakum hat seine Seife wieder verpackt. Mit zwei Rodeln transportiert er nun die Reste zurück in seine Wohnung. „Es ist kein leichtes Leben“, sagt er. „Aber ich will entweder hier oder nirgends verkaufen.“Der Naschmarkt – er sei eben nach wie vor eine Institution.