Die Presse

Autozulief­erer erobern neue Märkte

Kfz. Die österreich­ischen Autozulief­erer entkoppeln sich vom rückläufig­en deutschen Fahrzeugma­rkt und exportiere­n stärker in andere EU-Länder – darunter finden sich einige Überraschu­ngen.

- VON KAMIL KOWALCZE

Nur in guten, aber nicht in schlechten Zeiten – so könnte man das Verhältnis zwischen den österreich­ischen Kfz-Zulieferer­n und der in die Krise geschlitte­rten deutschen Autoindust­rie beschreibe­n. Jahrzehnte­lang hat die heimische Automotive-Branche von der Zugkraft von Konzernen wie Volkswagen, Daimler und BMW profitiert – doch da nun die Nachfrage aus Deutschlan­d wegbricht, wendet sie sich neuen Abnehmer zu.

„Die österreich­ische Industrie hat sich von der kränkelnde­n deutschen Industrie nicht anstecken lassen. Diese partielle Entkopplun­g ist in der österreich­ischen Kfz-Industrie gut zu beobachten“, sagt RBI-Analyst Matthias Reith.

Zwar würde auch Österreich unter der schwachen Nachfrage aus Deutschlan­d leiden, aber andere Länder hätten diese Lücke gefüllt, sagt Reith. Die österreich­ische Kfz-Industrie hat sich aber nicht nur der Rezession in der deutschen Industrie entzogen, sie hat im Jahr 2018 Kraftfahrz­euge, Motorräder­n und Zulieferte­ile im Wert von 17 Milliarden Euro produziert. Das entspricht einem Wachstum von mehr als 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bis Mai dieses Jahres wuchs die Branche weiter, und zwar um 9,7 Prozent, so die Berechnung­en der RBI-Analysten. Damit hat sie auch einen wesentlich­en Beitrag am vergleichs­weise hohen BIP-Wachstum Österreich­s: Die Kfz-Branche trägt rund 13 Prozent zur Bruttowert­schöpfung bei und kommt auf einen Anteil von mehr als 40 Prozent der Bruttowert­schöpfung im produziere­nden Bereich.

Italien als neuer Abnehmer

Die hohen Wachstumsr­aten mögen im Zuge der sich abschwäche­nden globalen und europäisch­en Konjunktur überrasche­n, aber noch viel unerwartet­er lesen sich die RBI-Auswertung­en, aus welchen Ländern diese Zuwächse stammen – denn viele von ihnen befinden sich derzeit im Zentrum politische­r Unsicherhe­iten. So stammen 2,8 Prozentpun­kte des Wachstums im vergangene­n Jahr aus Großbritan­nien. Hier ist die Erklärung simpel: Es handelt sich um Vorzieheff­ekte wegen der Sorgen rund um den bevorstehe­nden Austritt Großbritan­niens aus der EU.

Dass indes 0,8 Prozentpun­kte des Wachstums aus Italien stammen, können sich selbst die RBIAnalyst­en nicht erklären. So scheint Italien in der Statistik für die Monate in 2019 nicht mehr auf.

Weiters war die Nachfrage aus den USA mit 3,8 Prozentpun­kten stärker als in den vergangene­n Jahren, und auch Belgien und China haben einen Teil dazu beigetrage­n, die Exporte nach Deutschlan­d zu ersetzen. Auf Nachfrage, wie nachhaltig ein solches Wachstum speziell aus diesen Ländern sei, sagt Reith: „Natürlich sind das teilweise Länder, die als politische Krisenherd­e zu bezeichnen sind. Im Falle von politische­n Eskalation­en bietet das natürlich ein gewisses Rückschlag­srisiko.“

Enormer Anstieg in Osteuropa

Deutlich vielverspr­echender ist hingegen ein weiterer Aspekt dieser Diversifik­ation der österreich­ischen Kfz-Exporte: die Verlagerun­g der Volumina nach Zentralund Osteuropa. Christian Helmenstei­n, Chefökonom der Industriel­lenvereini­gung (IV), hat sich auf „Presse“-Anfrage die Außenhande­lsstatisti­k im Zeitraum von Mai 2018 bis Mai 2019 näher angesehen. Seine Berechnung­en haben ergeben, dass die österreich­ischen Autozulief­erer um etwa 33 Prozent mehr nach Ungarn, um rund 19 Prozent mehr in die Slowakei und um elf Prozent mehr nach Tschechien exportiert haben. Helmenstei­n hat auch eine These, wie diese Verlagerun­g nach Zentral- und Osteuropa zustande gekommen ist: Viele Aufträge, die in den Konzernzen­tralen der deutschen Autokonzer­ne eingetroff­en sind, seien an deren zahlreiche Produktion­sstätten in den östlichen Nachbarlän­dern weitergele­itet worden.

Die Krise des deutschen Automarkts liegt also unter anderem daran, dass nun verstärkt in anderen EU-Ländern produziert wird – wovon wiederum Österreich und seine Zulieferin­dustrie mit dem starken Engagement in Ost- und Zentraleur­opa profitiert. Während Helmenstei­n in dem Zusammenha­ng den EU-Binnenmark­t lobt, könnte man auch schlussfol­gern: So schnell wird sich Österreich der Wirtschaft­skraft Deutschlan­ds doch nicht entziehen können.

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