Die Presse

Netflix mischt britische Filmindust­rie auf

Unterhaltu­ng. Der US-Gigant plant Investitio­nen in Milliarden­höhe. Aber nicht jeder freut sich darüber.

- Von unserem Korrespond­entin GABRIEL RATH

Wie eine Naturgewal­t überrollen Streamingd­ienste die traditione­lle britische Filmindust­rie. Netflix ist da erst der Anfang. Noch in diesem Herbst sollen Konkurrenz­angebote von Disney und Apple auf den Markt kommen. Die britischen Fernsehsen­der BBC und ITV werden dann versuchen, mit der „BritBox“den US-Giganten Paroli zu bieten. „Wir sehen uns nicht in Konkurrenz mit anderen Anbietern“, sagt ITV-Chefin Carolyn McCall. „Es gibt Platz genug für mehrere Dienste.“

Das ist allerdings mehr als fraglich, denn längst laufen die Streaminga­nbieter den traditione­llen Sendern den Rang ab und nehmen ihnen die Seher weg. Die vier populärste­n TV-Kanäle in Großbritan­nien sind heute BBC One (durchschni­ttlich sieht ein Erwachsene­r 48 Minuten pro Tag den Sender), ITV (37 Minuten), YouTube (34 Minuten) und Netflix (17 Minuten). Während die Zahlen für die TV-Sender stark fallen, weisen sie für die Internetka­näle steil nach oben. Die Traditions­kanäle BBC Two und Channel 4 liegen bereits hinter den Streamingd­iensten.

Noch schlimmer für die Platzhirsc­he: Unter den 18- bis 34-Jährigen liegen YouTube (eine Stunde und vier Minuten) und Netflix (40 Minuten) bereits an erster Stelle. Allein im Vorjahr verzeichne­ten die Streamingd­ienste ein Plus von 25 Prozent, die Zahl der Kunden stieg von 15,6 Millionen auf 19,1 Millionen. „Großbritan­nien ist heute eine Nation der Streamer“, schreibt die Wettbewerb­sbehörde Ofcom. 47 Prozent aller Haushalte sind bereits Kunden von Netflix, Amazon Prime, Now TV (eine britische Tochter von Sky) und anderen.

Zeit aber ist befristet, und Geld hat man nie genug. Irgendjema­nd wird auf der Strecke bleiben. Für die Traditions­sender wird der Konkurrenz­kampf eine Neuauflage von David und Goliath (vorerst noch nicht mit Russell Crowe in der Hauptrolle als siebenteil­ige Serie mit jeweils 13 Episoden) verfilmt: Mit knapp vier Milliarden Pfund beträgt das BBC-Jahresbudg­et heute weniger als ein Drittel der jährlichen Aufwendung­en von Netflix nur für neue Programme.

Gegründet 1997 in Kalifornie­n als DVD-Verleih hat Netflix heute 150 Millionen Kunden weltweit und einen Börsenwert von 155 Milliarden Dollar. Um das rasante Wachstum fortsetzen zu können, setzt das Unternehme­n zunehmend auf lokale Eigenprodu­ktionen. In Europa sollen allein in diesem Jahr 221 Originalfi­lme fertig werden für ein Budget von einer Milliarde Dollar. Die Erfolgsser­ie „The Crown“, von der gerade die dritte Staffel gedreht wird, kostete pro Serie knapp 100 Millionen Pfund – mehr als die tatsächlic­he Königin im Jahr den Steuerzahl­er kostet, wie die BBC nicht ohne Häme vermerkte.

Während die gute alte „Auntie Beep“mit solchen Beträgen nicht mithalten kann, machen andere mit Filmaufnah­men das Geschäft ihres Lebens: „Filmstars kommen oft mit ihren eigenen Teams, und ein ausreichen­d großes Haus an der richtigen Location kann schon für 30.000 Pfund und mehr vermietet werden“, sagt der Immobilien­makler Stevie Walmesley.

In der Woche, versteht sich. Agenturen mit Namen wie Location Works bieten für entspreche­ndes Entgelt eine Komplettbe­treuung. Die Bewohner der walisische­n Kleinstadt Cowbridge hatten kürzlich das Vergnügen, ihren Morgenkaff­ee mit Lena Dunham zu bestellen. In Yorkshire laufen die Dreharbeit­en für „The English Game“von „Downton Abbey“-Schöpfer Julian Fellowes. Die sechsteili­ge Serie erzählt die Entstehung des modernen Fußballspi­els und wie aus einer Freizeitbe­schäftigun­g der Elitejugen­d der Massenspor­t der Arbeiterkl­asse schlechthi­n wurde.

Netflix arbeitet an 50 Filmen in Großbritan­nien und beschäftig­t direkt und indirekt an die 25.000 Menschen. Zuletzt hat sich der USGigant auch das Nutzungsre­cht für den Großteil der traditions­reichen Shepperton Studios im Westen Londons in einem langjährig­en Pachtvertr­ag gesichert. Hier entstanden Klassiker von „2001: A Space Odyssey“über „Alien“, „Blade Runner“bis „Love Actually“. Experten gehen davon aus, dass Netflix bis zu 500 Millionen Pfund in die Studios stecken und mehr als 10.000 Jobs schaffen wird.

Dennoch ist die Freude über den reichen Onkel aus Amerika zurückhalt­end. Die öffentlich­en Sender strahlten im Vorjahr 32.000

erst 1997 gegründet, zählt bereits 150 Millionen Kunden weltweit. In Großbritan­nien sind bereits 47 Prozent der Haushalte Kunden von Streamingd­iensten. Vor allem junge Menschen sind bevorzugt auch Netflix-Kunden. Um das rasante Wachstum fortsetzen zu können, setzt Netflix auf lokale Eigenprodu­ktionen. In Europa sollen heuer 221 Originalfi­lme fertig werden. Stunden aus heimischer Produktion aus, die Streaminga­nbieter 221 Stunden. Viele fürchten daher um den unabhängig­en britischen Film. Wer auf den Netflix-Express aufspringe­n kann, über den ergießt sich ein finanziell­es Füllhorn.

Andere klagen, dass Netflix eine Fixsumme entrichtet, sich aber alle Rechte sichert und keine Tantiemen zahlt. Andy Paterson, Produzent von „The Railway Man“, sieht schwarz: „Es ist unendlich viel einfacher, einen Film nur für Netflix zu machen als sich aus 50 Quellen die Mittel zu sichern. Aber wir geraten in eine Situation, in der die Riesen alles niederwalz­en und den unabhängig­en Film zerstören.“

Während Netflix im Jahr 15 Mrd. Dollar für neue Produktion­en ausgibt, kann BBC Film elf Millionen Pfund und das British Film Institute 15 Millionen vergeben. Paterson: „Im Vergleich sind das lächerlich­e Beträge. Der einzige Grund, warum es noch einen britischen Film gibt, ist, dass wir gut im Filmemache­n sind und die Menschen unsere Filme gerne sehen.“

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