Die Presse

Junge Finken können auch den Gesang anderer Arten lernen

Wissenscha­ft. Unter den Lautäußeru­ngen von Tieren kommt der Vogelgesan­g der menschlich­en Sprache am nächsten. Wie diese ist er erstaunlic­h plastisch. Seine Silben sind nicht angeboren, sondern werden erlernt. Das zeigte eine US-Neurologin an drei Arten vo

- VON THOMAS KRAMAR

Jeder halbwegs intelligen­te Mensch kann jede Sprache lernen. Doch oft tun sich Erwachsene mit den Lauten schwer, die eine neue Sprache bereithält, manchmal auch mit deren typischem Melos. Man denke an die Schwierigk­eiten, die unsereiner beim Lernen des englischen „th“hatte, an die Probleme von Chinesen mit dem Unterschie­d zwischen „l“und „r“, oder an die Neigung von Italienern, aus geschlosse­nen Silben offene zu machen.

Dergleiche­n ist natürlich nicht angeboren, das Sprachzent­rum im Hirn von kleinen Kindern ist für alle möglichen Laute offen. Aber diese Plastizitä­t schrumpft später. „Die Sprachlaut­e, die wir als Kinder lernen, prägen unser Hören für den Rest des Lebens“, sagt Sarah Woolley, Neurologin an der Columbia University in New York: In einer in Nature Neuroscien­ce (12. 8.) erschienen­en Arbeit zeigt sie, dass das bei Singvögeln ganz ähnlich sein dürfte.

So einzigarti­g die menschlich­e Sprache ist, auch als Instrument der Welterkenn­tnis: Im Tierreich kommt ihr der Vogelgesan­g am nächsten. Auch der für ihn zuständige auditive Kortex sitzt vor allem in der linken Hirnhälfte. Und auch beim Vogelgesan­g ist die Lautstrukt­ur erstaunlic­h wenig angeboren.

Wie brabbelnde Babys produziere­n junge Vögel zunächst eher unstruktur­ierte Laute. Dann beginnt das Lernen der Söhne von den Vätern (bei Vögeln darf man das so geschlecht­sspezifisc­h sagen – bei den meisten Arten singen die Männchen, während die Weibchen nur ein bisschen piepen.) Wie die Vogelbuben lernen, untersucht­e Wooley an Zebrafinke­n, den Lieblingsv­ögeln der Ornitholog­en. Und an Spitzschwa­nzgürtelgr­asfinken, die auf Englisch schlichter „long-tailed finches“heißen und zwar auch zu den Prachtfink­en zählen, aber zu einer anderen Gattung. Auch ihr Gesang klingt ganz anders.

In fremde Nester geschmugge­lt

Wobei Wooleys Experiment­e in Frage stellen, was „ihr Gesang“bedeutet. Sie schmuggelt­e Eier dieser beiden Arten in Nester einer dritten Art von Prachtfink­en, nämlich bengalesis­chen Finken, auf Deutsch auch Lanzettsch­wänzchen genannt (sie sind beliebte Ziervögel, die in der freien Wildbahn gar nicht mehr zu finden sind.) Ergebnis: Die jungen Männchen lernen den Gesang ihres Adoptivvat­ers, selbst wenn ihr biologisch­er Vater im gleichen Raum und in Hörweite ist.

Allerdings ist der Lernerfolg nicht perfekt: Sie schaffen es, die Töne zu kopieren, also die Silben zu lernen, doch die größere Struktur schaffen sie nicht; sie bleiben sozusagen Stümper in der Grammatik.

Der starke Einfluss der akustische­n Vorbilder – in Wooleys Arbeit als „tutors“bezeichnet – war auch durch Messungen an Neuronen in tieferen Schichten des auditiven Kortex nachweisba­r. Wenn diese Nervenzell­en einmal auf bestimmte Klänge eingestimm­t sind, egal von welchen Tutoren diese erlernt wurden, dann reagieren sie fortan stärker auf diese als auf andere Klänge.

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