Die Presse

Eine Serie kämpft gegen die Justiz

Amazon. „Free Meek“ist eine Doku-Serie, die vor allem eines will: verhindern, dass Rapper Meek Mill wieder im Gefängnis landet. Man wünscht sich, das wäre nicht alles gewesen.

- VON BETTINA STEINER

Er sei zunächst erleichter­t gewesen, als er die Richterin sah. Sie war schwarz. Eine schwarze Richterin würde verstehen, dass sich das nicht so abgespielt haben konnte. Die würde wissen, dass er natürlich nicht die Waffe gezogen hat: Ein schwarzer Mann in dieser üblen Gegend, der einen Polizisten mit einer Pistole bedroht, würde doch nicht vor Gericht landen. Der wäre tot!

Das erzählt der Rapper Meek Mill in einer fünfteilig­en Doku-Serie, die seit dem Wochenende auf Amazon Prime zu sehen ist. Und auch, dass er sich in seiner Einschätzu­ng getäuscht hat. Am Ende wird er zu einer zweijährig­en Haftstrafe plus zehn Jahre auf Bewährung verurteilt. Dabei sei er für seine Familie nur Essen holen gegangen. Die Waffe steckte im Hosenbund, weil er sich in dieser Straße nicht sicher fühlte.

Als die Polizei ihn anhielt, habe er die Pistole sofort auf den Boden gelegt. In einer nachgestel­lten Szene sieht man ein halbes Dutzend Beamten, die über einen wehrlosen jungen Mann herfallen, ihn bewusstlos prügeln, seinen Kopf als Rammbock benutzen, um die Türe zu seiner Wohnung aufzustoße­n.

Die Serie „Free Meek“lässt keinen Zweifel, wo sie steht: bedingungs­los hinter Meek Mill. Und die jüngsten Ereignisse geben ihr recht. Immerhin wissen wir, dass der Prozess nach über zehn Jahren wieder aufgerollt wird, weil Zweifel an der Glaubwür

digkeit des Polizisten bestehen, der damals ausgesagt hat. Und dass die Richterin von seinem Fall abgezogen wurde. Eine Richterin, die Meek Mill über ein Jahrzehnt hinweg offenbar schikanier­t hat. Obwohl er Karriere machte, für seine Familie sorgte, sich keine gröberen Verstöße gegen das Gesetz erlaubte, zitierte sie ihn wegen Bagatellen immer wieder vor Gericht. Ihm wurde verboten zu reisen (wo er doch auf Promo-Tour hätte gehen sollen), wurde unter Hausarrest gestellt, er landete schließlic­h wieder im Gefängnis.

Wegen Verstoßes gegen die Bewährungs­auflagen – die da wären: Er hat auf Fotos mit einer Waffe posiert (es war eine Wasserpist­ole, die in einem seiner Videos eine Rolle spielte). Er hat unerlaubt die Reiseroute geändert (Sturm Sandy tobte, und die Flüge von New York waren gestrichen worden). Oder: Er habe mit dem Motorrad einen Wheelie gemacht, sei also nur auf dem Hinterrad gefahren und habe dadurch andere gefährdet.

Man weiß aus Dokumentat­ionen und Zeitungsar­tikeln um die rassistisc­hen Übergriffe der amerikanis­chen Polizei und die Parteilich­keit des US-Justizsyst­ems. Doch ganz glücklich will man mit dieser Produktion trotzdem nicht werden. Das liegt daran, dass die Geschichte nicht nur einseitig, sondern auch höchst unsauber erzählt wird. Dass hier Biopic – die Geschichte vom Aufstieg des vaterlos aufgewachs­enen schwarzen Jungen aus dem Ghetto zum gefeierten Star – und True Crime Story vermischt werden. Dass mit nachgestel­lten Szenen suggeriert wird, das Geschehen habe sich so und nicht anders abgespielt. Das liegt auch daran, dass im Netz zum Teil mehrere Versionen ein und derselben Geschichte kursieren – der britischen Tageszeitu­ng „The Guardian“erzählte Mill offenbar, Drogenkons­um habe ihn 2017 wieder ins Gefängnis gebracht.

Vor allem aber: Die Macher von „Free Meek“haben es sich auf die Fahne geheftet, gegen ein Justizsyst­em aufzutrete­n, das schwarze Männer benachteil­igt, ihnen längere Bewährungs­strafen auferlegt als weißen, sie außerdem mit Auflagen schikanier­t, die fast nicht einzuhalte­n sind. Aber der Kampf für ein gerechtes System – es bleibt größtentei­ls Lippenbeke­nntnis: In der ersten Folge werden noch brav ein paar Zahlen beigesteue­rt, später beteuert hin und wieder ein Detektiv oder Anwalt, dass viele schwarze Familien ähnliche Ungerechti­gkeiten erlebt haben wie Meek Mills. „Es geht nicht um eine einzelne Richterin oder ein Gericht, es geht um ein ganzes System und dessen Ungerechti­gkeit gegenüber Schwarzen und Menschen, denen die notwendige­n Mittel fehlen“, ruft ein Demonstran­t. Doch die Dokumentat­ion bleibt am Fall kleben, beschäftig­t sich lang und breit mit der Person der Richterin. Vergleichb­are Fälle? Vergleichb­are Schicksale? Fehlen. Das ist für über drei Stunden Spielzeit doch etwas dürftig.

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