Die Presse

Russland verschwieg Katastroph­en

Vergangene Woche misslang im Weißen Meer ein Raketentes­t. Erhöhte Radioaktiv­ität machte die dort lebenden Menschen nervös. Nur stückweise kommt ans Licht, was geschehen war. Russland.

- VON BURKHARD BISCHOF

Vor einigen Tagen misslang im Weißen Meer ein Raketentes­t. Erhöhte Radioaktiv­ität machte die dort lebenden Menschen nervös. Nur langsam kommt ans Licht, was geschehen war. Nicht zum ersten Mal.

Die Einwohner der Hafenstadt Sewerodwin­sk am Weißen Meer in Nordrussla­nd ahnten sogleich, dass da etwas nicht stimmt. Als Ende vergangene Woche das Gerücht in der 190.000-EinwohnerS­tadt die Runde machte, dass es in der Nähe einen Unfall bei einem Raketentes­t gegeben habe und deshalb die Radioaktiv­ität erhöht sei, stürmten sie die Apotheken; binnen Stunden waren die Vorräte an Jod-Präparaten ausverkauf­t.

Gestern bestätigte sich die Richtigkei­t ihres Tuns: Nachdem das Verteidigu­ngsministe­rium in Moskau kurz nach dem Unfall erklärt hatte, es gebe keine erhöhten Strahlenwe­rte in der Stadt, bestätigte­n die staatliche Wetterbehö­rde am Dienstag: Nach dem fehlgeschl­agenen Raketentes­t hätte sich die Radioaktiv­ität an verschiede­nen Messstelle­n um das vier- bis 16-fache erhöht.

Wieder hatte sich die katastroph­al schlechte Informatio­nspolitik des russischen Militärs erwiesen; wieder sah sich die russische Bevölkerun­g in ihrem tiefen Misstrauen über amtliche Angaben bestätigt. Nur zizerlweis­e machten das Verteidigu­ngsministe­rium, die staatliche Atombehörd­e und das nukleare Forschungs­zentrum in Sarow (zu Sowjetzeit­en die für Ausländer verbotene Stadt Arsamas-16) Angaben dazu, was sich am 8. August bei dem Raketentes­t in der Nähe des Militärstü­tzpunktes Nyonoska zugetragen hat.

Eine Mauer der Geheimhalt­ung

Demnach ist auf einer Plattform im Weißen Meer der Test mit einer „isotopisch­en Energieque­lle“für eine Rakete fehlgeschl­agen. Bei der Explosion starben fünf an dem Test beteiligte Wissenscha­fter, die am Montag in Sarow beerdigt wurden. Erkenntnis­sen westlicher Experten zufolge wurde ein atomarer Antrieb für die neue Superraket­e Burevestni­k (Nato-Code SSC-X-9 „Skyfall“) getestet, die Präsident Wladimir Putin Anfang 2018 als neue Wunderwaff­e gepriesen hat.

Von Putin hörte man zunächst nichts zu dem Unfall, dafür twitterte US-Präsident Donald Trump am Montag: Die USA würden eine Menge aus dem Unfall im Weißen Meer lernen: „Die russische Skyfall-Explosion bereitet den Menschen große Sorgen über die Luft rund um das Testgeländ­e und darüber hinaus. Das ist nicht gut.“

Dank des atomaren Antriebs so protzte Putin vor mehr als einem Jahr, könne die Burevestni­k/Skyfall länger und weiter operieren als jede andere Rakete und die amerikanis­che Raketenabw­ehr mühelos überwinden. Vorerst aber lässt der Unfall ratlose Atomwissen­schaftler, die nach den Ursachen für den missglückt­en Test suchen müssen, und eine schwer verunsiche­rte Bevölkerun­g an den Ufern des Weißen Meeres zurück.

Diese Verunsiche­rung verstärkt nur, dass das russische Militär solche Unfälle stets hinter einer Mauer der Geheimhalt­ung zu verschweig­en versucht – wodurch es freilich auch immer den Spekulatio­nen Tür und Tor öffnet. Fälle aus der jüngsten Zeit: A Vergangene Woche flog in der Nähe von Krasnojars­k in Sibirien ein Munitionsd­epot in die Luft. Mindestens eine Person starb, 13 wurden verletzt, 16.500 Menschen in der Umgebung mussten evakuiert werden. Nähere Angaben über die Ursachen der Explosion wurden keine gemacht.

A Anfang Juli starben bei einem Feuer an Bord eines Atom-U-Boots in der Barentssee 14 teils hochrangig­e Marineange­hörige. Detaillier­te Informatio­nen zu dem Unglück machten die Militärbeh­örden keine, da es sich um Staatsgehe­imnisse handle. Kryptisch sprach ein Marineoffi­zier später davon, die Männer hätten ihr Leben gegeben, um eine „Katastroph­e planetaris­chen Ausmasses“zu verhindern. A Die „Kursk“-Katastroph­e vor 19 Jahren, als beim Untergang eines Atom-U-Boots in der Barentssee 118 Seeleute umkamen, und die dem damals frischen Präsidente­n Wladimir Putin wegen fehlender Empathie ein Image-Desaster bescherte, ist nicht vergessen.

PUTINS RAKETE

Wunderwaff­e. Im Februar 2018 präsentier­te der russische Präsident Wladimir Putin zu Wahlkampfz­wecken bei einer Multimedia-Show eine Reihe neuer Wunderwaff­en, die sein Land stark und unbesiegba­r machen würden. Darunter die nuklear angetriebe­ne Rakete 9M730 Burewestni­k. Mit diesem Antrieb könne dieser Typ weiter und länger fliegen als andere Raketen.

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[ AFP ] Der Militärstü­tzpunkt bei Nyonoska am Weißen Meer. Von hier aus dürften die Tests des nuklearen Antriebs der neuen Superraket­e 9M730 Burewestni­k koordinier­t werden.

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