Über die Ermittlungen in der Causa Ibiza erfahren wir nichts
Ibiza. Die Staatsanwaltschaft wird die Österreicher über den Stand der strafrechtlichen Ermittlungen nicht informieren.
Wien. Seit Ende Mai ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien, wer hinter dem Ibiza-Video steckt. Mit Feuereifer, ist anzunehmen. Es ist daher möglich, dass noch vor den Wahlen Ermittlungsergebnisse vorliegen, die für die Österreicher von großem Interesse sein, ja sogar ihre Wahlentscheidung maßgeblich beeinflussen könnten: Etwa wenn zutage käme, dass ein bestimmter Politiker, eine bestimmte Partei oder von ihr beauftragte Mittelsmänner die Drahtzieher hinter der ominösen Zusammenkunft zwischen HeinzChristian Strache, Johann Gudenus und der vermeintlichen russischen Oligarchin sind, die bekanntlich zum Ende dieser Regierung geführt hat.
„Die Presse“fragte deshalb beim Justizministerium nach, ob die Staatsanwaltschaft und/oder Justizminister Clemens Jabloner planen, die Öffentlichkeit über den Stand der Ermittlungen in den kommenden Wochen zu informieren. Schließlich sieht auch § 35 b Staatsanwaltschaftsgesetz vor, dass „den Staatsanwaltschaften die Information der Medien über die von ihnen geführten Ermittlungsverfahren obliegt“. Dabei hat sie freilich das Interesse der Öffentlichkeit an sachlicher Information über das bedeutsame Verfahren gegen schutzwürdige Interessen der Betroffenen, die Unschuldsvermutung und Strafverfolgungsinteressen abzuwägen.
Besondere Geheimhaltungsgründe
Diese heikle Abwägung hat die Staatsanwaltschaft Wien anscheinend gemacht und kommt zu einem klaren Ergebnis: Die Österreicher erhalten keinerlei Informationen. „Es handelt sich um nicht öffentliche Ermittlungsverfahren, die zudem, da besondere Geheimhaltungsgründe vorliegen, als Verschlusssache geführt werden.“Überdies würde die Offenlegung der Details den weiteren Verlauf der Strafverfahren und das Ergebnis der Ermittlungen beeinflussen und die Aufklärung (. . .) massiv gefährden, heißt es. Mit den anstehenden Nationalratswahlen habe die Entscheidung der Staatsanwaltschaft alles geheim zu halten, nichts zu tun, betont die Medienstelle ausdrücklich. Kurz gesagt: Die Staatsbürger werden also über den Fortgang der Ermittlungen nichts erfahren, selbst wenn bereits gewiss wäre, dass die geheim gehaltenen Informationen für sie relevant und wahlentscheidend sein könnten.
Was viele Österreicher verärgern mag, hält der Wiener Strafrechtsprofessor Helmut Fuchs für absolut richtig: „Ermittlungen sind grundsätzlich nicht öffentlich, weil sie vorläufig und fragmentarisch sind. Erst das Gesamtbild, das entweder zur Anklage oder zur Einstellung führt, kann der Öffentlichkeit mitgeteilt werden.“
Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk sieht das ähnlich. Er weist jedoch darauf hin, dass es auch in diesem Fall ein Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse der Österreicher gäbe, mehr über die Sache zu erfahren, und jenem, ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren zu garantieren. Aus seiner Sicht spricht aber nichts dagegen, dass die Staatsanwaltschaft darlegt, welche Ermittlungsschritte sie bisher schon gesetzt hat, freilich ohne die Namen von Personen zu nennen. Ist es schon zu Einvernahmen gekommen? Hat es schon Hausdurchsuchungen gegeben? Wurden Rechtshilfeersuchen gestellt? Über all das müsste die Staatsanwaltschaft also nicht schweigen. „Tut sie es doch, setzt sie sich dem Vorwurf aus, Geheimniskrämerei zu betreiben, die wir auch nicht haben wollen“, gibt Funk zu bedenken.
Was aber, wenn die Staatsanwaltschaft bei ihren Untersuchungen noch gar keinen Schritt weitergekommen ist? Hätten die Österreicher dann ein Recht, das zu erfahren? Darüber zu informieren, dass sich noch kein Verdacht erhärtet hat oder keine Spur gefunden wurde, ist zulässig. Denn dadurch werden keine Interessen von Betroffenen verletzt, sagt der Salzburger Strafrechtsprofessor Kurt Schmoller zur „Presse“. Er ist der Ansicht, dass die Staatsanwaltschaft auch publik machen müsste, wenn sie bereits weiß, dass sie bestimmte Personen anklagen wird, selbst wenn sie die Anklage noch nicht fertig ausformuliert hat. „Und zwar wegen des öffentlichen Interesses vor den Wahlen und nicht erst danach.“
Das Ganze ist ein Eiertanz, resümiert Funk nüchtern. „Wie auch immer die Staatsanwaltschaft vorgehen wird, Vorwürfe wird sie sich gefallen lassen müssen. Wir sehen einmal mehr: Bei Fragen, bei denen es wirklich um etwas geht, gibt die Rechtsordnung keine klare Antwort. Und wir bleiben – juristisch gesehen – ratlos zurück.“
AUF EINEN BLICK
Causa Ibiza. In einem Rechtsstaat hat jeder Bürger das Recht auf ein faires Verfahren. Das heißt, dass schutzwürdige Interessen von Betroffenen immer berücksichtigt werden müssen. Andererseits hat auch die Öffentlichkeit das Recht auf Informationen, die für sie – etwa für ihre Wahlentscheidung – relevant sein könnten. Daher hat die Staatsanwaltschaft Wien nun abzuwägen, ob sie über den Stand der Ermittlungen in der Causa Ibiza etwas preisgibt. Ihre Entscheidung: Sie tut es nicht.