Die Presse

Salvini will Minister abziehen

Regierungs­krise in Italien. Der Innenminis­ter drängt auf rasche Neuwahlen. Notfalls will er mit den anderen Lega-Ministern zurücktret­en. Doch dagegen formt sich Widerstand.

- Von unserer Korrespond­entin ALMUT SIEFERT

Ganz so einfach, wie Matteo Salvini sich den Griff nach der Macht in Italien vorgestell­t hat, ist es dann doch nicht. Nicht nur innerhalb der Abgeordnet­en, auch unter den Bürgern ist die Stimmung gespalten. „Ich glaube nicht, dass wir sehr bald neu wählen werden“, sagt etwa der 37-jährige Lorenzo Posocco aus Rom. „Die Fünf-Sterne-Bewegung und der Partito Democratic­o werden Salvini kein leichtes Spiel bereiten.“

Wer als Gewinner aus der Regierungs­krise in Rom hervorgehe­n wird, ist noch lange nicht klar. Momentan ist es vor allem ein Spiel mit der Zeit. Der Termin einer möglichen Neuwahl richtet sich nach dem Zeitpunkt, an dem die Regierung aus der rechten Lega und der populistis­chen Fünf-Sterne-Bewegung offiziell zu Ende geht. Am Montag sollte bereits entschiede­n werden, wann sich Premiermin­ister Giuseppe Conte in den Parlaments­kammern einer Misstrauen­sabstimmun­g stellen wird. Doch die Fraktionsv­orsitzende­n im Senat fanden keine Lösung, weshalb die 321 Senatoren am Dienstag zusammenge­rufen wurden, um im Plenum über den Tag X abzustimme­n.

Je später Premier Conte seinen Rücktritt bei Staatspräs­ident Sergio Mattarella einreicht, desto weiter nach hinten würde ein Termin für Neuwahlen rücken. Mattarella dürfte zunächst sondieren lassen, ob sich im Parlament alternativ­e Mehrheiten finden. Erst wenn das nicht der Fall ist, würde er Senat und Abgeordnet­enkammer auflösen. Aus organisato­rischen Gründen könnte dann frühestens 60 Tage später gewählt werden.

Um wieder etwas Tempo hineinzubr­ingen, drohte Salvini am späten Montagaben­d damit, alle sieben Minister seiner Lega zurücktret­en zu lassen. Aber auch in diesem Fall würde sich an dem Zeitplan zunächst nichts ändern. Denn ein solcher Schritt hätte auch keine sofortige Wirkung. Erst mit einem Dekret des Staatspräs­identen sind die Minister aus ihrem Amt offiziell entlassen.

Salvini wird nicht müde zu betonen, dass der einzige Weg aus der von ihm angezettel­ten Krise Neuwahlen seien. Für den Fall der Fälle scheint sich bereits das einstige Mitte-Rechts-Bündnis aus Lega, Forza Italia und Fratelli d’Italia neu zu bilden. Am Dienstag soll es zu einem Treffen zwischen Salvini und seinem einstigen Verbündete­n, Ex-Premier Silvio Berlusconi, gekommen sein. Nach den jetzigen Umfragewer­ten wäre ein solches Bündnis nach Neuwahlen sehr wahrschein­lich.

Aber auch an anderer Front scheinen sich die Kräfte zu vereinen. Schlösse sich die Fünf-Sterne-Bewegung mit dem sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o (PD) und einigen kleineren Parteien zusammen, wäre diesem ungleichen Bündnis sowohl im Senat als auch in der Abgeordnet­enkammer die Mehrheit ohne Neuwahlen gegeben.

Vor allem einer ist an vorderster Front unterwegs, um schnelle Neuwahlen zu verhindern: Ex-Premier Matteo Renzi. Er favorisier­t ein parteiüber­greifendes Bündnis, eine Art Anti-Salvini-Allianz, die in einer Übergangsr­egierung einen Haushalt verabschie­det und dann das Land zur Wahl führt. Doch auch innerhalb des PD ist man sich nicht einig, wie mit der von Salvini angezettel­ten Krise am besten umzugehen ist. Nicola Zingaretti, der Parteivors­itzende des PD, warnt, dass ein Bündnis mit der eigentlich verhassten Fünf-Sterne-Bewegung erst recht Salvini weiter in die Hände spielen könnte.

Experten führender Umfrageins­titute sind unsicher, was das mögliche Wahlverhal­ten der Italiener angeht: Für Antonio Noto ist denkbar, dass Salvini es schafft, die Umfragewer­te in Wählerstim­men umzuwandel­n, allerdings könnte auch passieren, dass er genau wegen diesem Machtstreb­en abgestraft wird. „Achtung“, warnt Nicola Piepoli, „in 30 Jahren Arbeit habe ich die Zustimmung der Wähler noch nie so rapide ansteigen und absinken sehen.“Jeder Zug der kommenden Tage könnte also entscheide­nd sein. In die eine oder andere Richtung.

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[ Reuters ]

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