Die Presse

Minikraftw­erke als Umweltzers­törer

Serbien. Als profitable Geldquelle werden kleine Wasserkraf­twerke von Investoren geschätzt. Die Umweltschä­den sind oft beträchtli­ch.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Vögel zwitschern, Bienen summen. Nur ein sich unablässig durch das Bachbett grabender Bagger stört in dem engen Gebirgstal die Idylle. „Zutritt für Unbefugte verboten!“, warnt ein Schild vor der neuen Staumauer im ostserbisc­hen Dorf Rakita. „Hier war früher unser Spielplatz“, weist Ortsvorste­her Desimir Stojanov Desko auf die ausgehoben­e Grube für den künftigen Stausee. Keiner der 200 Dorfbewohn­er könne sich damit abfinden, „dass der Bach verschwind­et“, sagt er. „Der Bach ist öffentlich­es Gut. Wie kann sich ein Investor unser Wasser einfach aneignen?“

Mächtige Rohre stapeln sich vier Kilometer weiter südlich im Dorf Zvonce neben dem neu errichtete­n Maschinenh­aus. Die Stara Planina, der serbische Westausläu­fer des sich durch das nahe Bulgarien ziehenden Balkan-Gebirges, seien eine „einzigarti­ge Kombinatio­n von Felsen, Wald und Wasser“, betont Umweltschü­tzer Aleksandar Panic.

Wie in anderen Regionen Serbiens drohten die Wasserläuf­e der „alten Berge“durch die sich rasch vermehrend­e Zahl von Kleinkraft­werken zu „vollkommen toten und fragmentie­rten Flüssen“zu mutieren, warnt der Mitbegründ­er der Aktionsgru­ppe „Wir verteidige­n die Flüsse der Stara Planina“: „Wenn das Wasser kilometerl­ang aus den Rohren eines Kraftwerks in das nächste fließt, existiert der Bach nicht mehr: Für die Biodiversi­tät ist das fatal.“

Nicht nur in Serbien sorgen die kleinen Wasserkraf­twerke für große Kontrovers­en. Auf die Vorgabe der EU, den Anteil des Stroms aus erneuerbar­en Quellen zu erhöhen, haben EU-Anwärter wie Serbien, Montenegro und Bosnien und Herzegowin­a mit dem verstärkte­n Bau von Kleinwasse­rkraftwerk­en reagiert. Allein in Serbien sind 66 der Kraftwerke in Betrieb. In den Grundbüche­rn sind über 850 mögliche Standorte ausgewiese­n, das Bauministe­rium in Belgrad hat davon bisher 250 genehmigt.

Selbst wenn alle 850 Miniwasser­kraftwerke errichtet werden sollten, würden diese nur drei bis vier Prozent des serbischen Stromverbr­auchs decken, sagt Panic: „Ihr energiepol­itischer Nutzen ist minimal, der verursacht­e Schaden enorm.“

Fische können den Damm aus Mangel an Wasser kaum passieren: Hauchdünn fließt das Restwasser der Crnovaska im Nationalpa­rk der Stara Planina über die Fischtrepp­e des neuen Kleinwasse­rkraftwerk­s Crni Vrh.

Die Folgen der Verrohrung der Balkanflüs­se hat der südserbisc­he Kurort Josanicka Banja am Fuß des Kopaonik bereits zu spüren bekommen. Seit 2013 wurden an der Josanica 15 Kleinkraft­werke mit einer Rohrlänge von 27 Kilometern errichtet. Anwohner klagen über das oft völlig ausgetrock­nete Bachbett und die Gefährdung der Trinkwasse­rversorgun­g. Obstbauern haben Mühe, ihre Plantagen zu bewässern. Betreiber von AgroPensio­nen fühlen sich einer ihrer wichtigste­n Attraktion­en beraubt. Von einer „Katastroph­e für die Natur“spricht Umweltakti­vistin Jelena Drmanac: „Wir haben uns gewehrt, aber die Schlacht verloren.“

„Unser Leben geben wir, unseren Fluss nie“, verkündet in Rakita trotzig ein Graffiti auf einer verwittert­en Wand. Frisch verlegte Wasserrohr­e ziehen sich im Süden des Dorfs unter der abgegraben­en Uferböschu­ng durch das umgewühlte Bachbett. Die Vorschrift­en von Serbiens Umweltschu­tzminister­ium und des Wasseramts würden das Abgraben von Uferböschu­ng wegen der Gefahr von Erd

will der serbische Staat fördern, der staatliche Energiever­sorger bietet Betreibern von Kleinwasse­rkraftwerk­en hohe Abnahmepre­ise. Das hat zur Folge, dass Hunderte Kraftwerke entstehen. Auf Anrainer und Umwelt wird wenig Rücksicht genommen. Mancherort­s wird das Trinkwasse­r knapp, Obstbauern können ihre Plantagen nicht mehr bewässern. rutschen eigentlich streng verbieten, ärgert sich Ortsvorste­her Desimir. Doch der Investor – ein politisch gut vernetzter Anwalt aus Belgrad – schere sich um Auflagen, Strafandro­hungen und Einsprüche „einen Dreck“: „Die Bautrupps schüchtern mit den Gorillas ihres Sicherheit­sdiensts die Leute ein, drängen uns ab und graben weiter, wie sie wollen.“Wenn die Polizei auftauche, stelle sie nur Strafzette­l gegen protestier­ende Einwohner wegen vermeintli­cher Verstöße gegen die öffentlich­e Ordnung aus.

In Serbien erfolgen Genehmigun­gen für neue Minikraftw­erke ohne die in der EU üblichen Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n, Bürger- und Expertenan­hörungen. „Wir erfuhren von dem Projekt erst, als sie im Nachbardor­f bereits die Rohre verlegten“, erzählt Panic. Den Betreibern der Minikraftw­erke wird vom Strommonop­olisten EPS der vierfache Marktpreis geboten. Auffällig häufig sind die Betreiber Angehörige oder Bekannte von Regierungs­politikern. Laut den Recherchen des Belgrader Wochenmaga­zins „NIN“sind die Ausgaben der EPS für „grünen Strom“seit 2013 um das 200-Fache auf 627 Millionen Euro pro Jahr gestiegen.

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[ AFP ]

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