Minikraftwerke als Umweltzerstörer
Serbien. Als profitable Geldquelle werden kleine Wasserkraftwerke von Investoren geschätzt. Die Umweltschäden sind oft beträchtlich.
Vögel zwitschern, Bienen summen. Nur ein sich unablässig durch das Bachbett grabender Bagger stört in dem engen Gebirgstal die Idylle. „Zutritt für Unbefugte verboten!“, warnt ein Schild vor der neuen Staumauer im ostserbischen Dorf Rakita. „Hier war früher unser Spielplatz“, weist Ortsvorsteher Desimir Stojanov Desko auf die ausgehobene Grube für den künftigen Stausee. Keiner der 200 Dorfbewohner könne sich damit abfinden, „dass der Bach verschwindet“, sagt er. „Der Bach ist öffentliches Gut. Wie kann sich ein Investor unser Wasser einfach aneignen?“
Mächtige Rohre stapeln sich vier Kilometer weiter südlich im Dorf Zvonce neben dem neu errichteten Maschinenhaus. Die Stara Planina, der serbische Westausläufer des sich durch das nahe Bulgarien ziehenden Balkan-Gebirges, seien eine „einzigartige Kombination von Felsen, Wald und Wasser“, betont Umweltschützer Aleksandar Panic.
Wie in anderen Regionen Serbiens drohten die Wasserläufe der „alten Berge“durch die sich rasch vermehrende Zahl von Kleinkraftwerken zu „vollkommen toten und fragmentierten Flüssen“zu mutieren, warnt der Mitbegründer der Aktionsgruppe „Wir verteidigen die Flüsse der Stara Planina“: „Wenn das Wasser kilometerlang aus den Rohren eines Kraftwerks in das nächste fließt, existiert der Bach nicht mehr: Für die Biodiversität ist das fatal.“
Nicht nur in Serbien sorgen die kleinen Wasserkraftwerke für große Kontroversen. Auf die Vorgabe der EU, den Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen zu erhöhen, haben EU-Anwärter wie Serbien, Montenegro und Bosnien und Herzegowina mit dem verstärkten Bau von Kleinwasserkraftwerken reagiert. Allein in Serbien sind 66 der Kraftwerke in Betrieb. In den Grundbüchern sind über 850 mögliche Standorte ausgewiesen, das Bauministerium in Belgrad hat davon bisher 250 genehmigt.
Selbst wenn alle 850 Miniwasserkraftwerke errichtet werden sollten, würden diese nur drei bis vier Prozent des serbischen Stromverbrauchs decken, sagt Panic: „Ihr energiepolitischer Nutzen ist minimal, der verursachte Schaden enorm.“
Fische können den Damm aus Mangel an Wasser kaum passieren: Hauchdünn fließt das Restwasser der Crnovaska im Nationalpark der Stara Planina über die Fischtreppe des neuen Kleinwasserkraftwerks Crni Vrh.
Die Folgen der Verrohrung der Balkanflüsse hat der südserbische Kurort Josanicka Banja am Fuß des Kopaonik bereits zu spüren bekommen. Seit 2013 wurden an der Josanica 15 Kleinkraftwerke mit einer Rohrlänge von 27 Kilometern errichtet. Anwohner klagen über das oft völlig ausgetrocknete Bachbett und die Gefährdung der Trinkwasserversorgung. Obstbauern haben Mühe, ihre Plantagen zu bewässern. Betreiber von AgroPensionen fühlen sich einer ihrer wichtigsten Attraktionen beraubt. Von einer „Katastrophe für die Natur“spricht Umweltaktivistin Jelena Drmanac: „Wir haben uns gewehrt, aber die Schlacht verloren.“
„Unser Leben geben wir, unseren Fluss nie“, verkündet in Rakita trotzig ein Graffiti auf einer verwitterten Wand. Frisch verlegte Wasserrohre ziehen sich im Süden des Dorfs unter der abgegrabenen Uferböschung durch das umgewühlte Bachbett. Die Vorschriften von Serbiens Umweltschutzministerium und des Wasseramts würden das Abgraben von Uferböschung wegen der Gefahr von Erd
will der serbische Staat fördern, der staatliche Energieversorger bietet Betreibern von Kleinwasserkraftwerken hohe Abnahmepreise. Das hat zur Folge, dass Hunderte Kraftwerke entstehen. Auf Anrainer und Umwelt wird wenig Rücksicht genommen. Mancherorts wird das Trinkwasser knapp, Obstbauern können ihre Plantagen nicht mehr bewässern. rutschen eigentlich streng verbieten, ärgert sich Ortsvorsteher Desimir. Doch der Investor – ein politisch gut vernetzter Anwalt aus Belgrad – schere sich um Auflagen, Strafandrohungen und Einsprüche „einen Dreck“: „Die Bautrupps schüchtern mit den Gorillas ihres Sicherheitsdiensts die Leute ein, drängen uns ab und graben weiter, wie sie wollen.“Wenn die Polizei auftauche, stelle sie nur Strafzettel gegen protestierende Einwohner wegen vermeintlicher Verstöße gegen die öffentliche Ordnung aus.
In Serbien erfolgen Genehmigungen für neue Minikraftwerke ohne die in der EU üblichen Umweltverträglichkeitsprüfungen, Bürger- und Expertenanhörungen. „Wir erfuhren von dem Projekt erst, als sie im Nachbardorf bereits die Rohre verlegten“, erzählt Panic. Den Betreibern der Minikraftwerke wird vom Strommonopolisten EPS der vierfache Marktpreis geboten. Auffällig häufig sind die Betreiber Angehörige oder Bekannte von Regierungspolitikern. Laut den Recherchen des Belgrader Wochenmagazins „NIN“sind die Ausgaben der EPS für „grünen Strom“seit 2013 um das 200-Fache auf 627 Millionen Euro pro Jahr gestiegen.