Die Presse

Wie sich in Europa Schweine mit Wildschwei­nen mischten

Wissenscha­ft. Die Säugetiere, aus deren Fleisch die meisten Wiener Schnitzel gemacht werden, wurden im Nahen Osten domestizie­rt.

- VON THOMAS KRAMAR

Wenn leutselige Politikeri­nnen das Schnitzel als preisgünst­ig zu haltendes Kulturgut entdecken, denkt der gelernte Österreich­er an Schweinefl­eisch: Dieses hat etwa der FPÖPolitik­er Maximilian Krauss explizit angesproch­en, als er davor warnte, dass Kinder zum Verzicht auf Schweinefl­eisch „gezwungen“würden – wohl wissend, dass Angehörige zweier hiesiger Religionen, des Judentums und des Islam, auf dieses verzichten.

Woher kommt dieses uralte Speiseverb­ot? Der „praktische­n“Erklärung, dass Schweine in heißen Gegenden besonders gute Überträger von Krankheite­n seien, widersprec­hen Archäologe­n: Sie haben zwar in Ausgrabung­en früher israelitis­cher Dörfer keine Schweinekn­ochen gefunden, in umliegende­n Siedlungen aber auffällig viele. „Vielleicht hörten die Proto-Israeliten einfach deswegen auf, Schweinefl­eisch zu essen, weil die Nachbarvöl­ker es aßen und sie begonnen hatten, sich als etwas anderes zu betrachten“, schrieben Israel Finkelstei­n und Neil Asher Silberman in „Keine Posaunen vor Jericho“. Das Speiseverb­ot als Mittel der Selbstbest­immung, vielleicht auch der Abwehr von Fremdkulte­n, wie der Religionsw­issenschaf­tler Jörg Sieger vermutete?

Hier tappt die Wissenscha­ft im Dunklen. Klarer kann sie sagen, wann und woher die Schweinezu­cht nach Europa kam: aus dem Nahen Osten, mit migrierend­en Bauern, vor ungefähr 8500 Jahren. Sowohl archäologi­sche als auch genetische Indizien sprechen dafür, dass die ersten Schweine vor ungefähr 10.500 Jahren domestizie­rt wurden, im Nahen Osten, aus dort lebenden Wildschwei­nen. Schon lang fragen sich die Zoologen aber, warum unsere Hausschwei­ne dann eher den europäisch­en Wildschwei­nen ähneln. Eine Arbeit in der aktuellen Ausgabe von Pnas (12. 8.) befasst sich damit: Forscher um Greger Larson (University of Oxford) haben DNA von über 2000 Schweinen, teils fossilen, teils heute lebenden, analysiert und schließen daraus: Es fand keine zweite Zähmung der Schweine in Europa statt, aber die aus dem Nahen Osten stammenden Hausschwei­ne vermischte­n sich derart oft mit hiesigen Wildschwei­nen, dass die Forscher von einem „near-complete genomic turnover“sprechen. Sie meinen, dass die Schweinezü­chter in ihrer Selektion oft die frisch von Wildschwei­nen eingekreuz­ten Eigenschaf­ten bevorzugt haben.

Unter den wenigen Gen-Varianten, die noch aus dem Nahen Osten stammen, sei eine im Gen für einen Melanocort­in-Rezeptor, der die Hautfärbun­g prägt: Sie bewirkt schwarze (oder schwarz-weiße) Färbung des Fells. Entweder sie gefiel vielen alten Schweineba­uern – oder das zuständige Gen beeinfluss­t eine weitere Eigenschaf­t, die Züchtern wichtig war. Möglich wäre hier das Fressverha­lten: Melanocort­in hat auch mit diesem zu tun. Könnte übrigens gut sein, dass heutige Vorlieben der Fleischkon­sumenten die zukünftige­n Gene der Hausschwei­ne beeinfluss­en. Vermischun­g mit Wildschwei­nen ist diesen zumindest derzeit ja meist verwehrt.

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