Die Presse

Wahre Kämpfer für eine falsche Sache

Kino. Laut, authentisc­h, wuchtig: In „Streik“zeigt Regisseur Stephane´ Brize´ eindrucksv­oll den zähen Kampf von französisc­hen Fabriksarb­eitern um ihre Jobs. Der Film ist ein Kunstwerk, aber seine Botschaft höchst fragwürdig.

- VON KARL GAULHOFER

Sind wir wirklich im Kino? Es geht los mit einer Nachrichte­n-Liveschalt­ung aus Südfrankre­ich: Ein deutscher Automobilz­ulieferer will dort ein Werk schließen, in einer struktursc­hwachen Gegend. 1100 Mitarbeite­r samt Familien sind betroffen. Schnitt, Reporterin und Senderlogo verschwind­en. Aber wir bleiben vor Ort, geraten selbst unter die wütenden Arbeiter, die einen Streik vorbereite­n. Die nervöse Handkamera zieht uns hinein in ihren verzweifel­ten Kampf um Jobs. Der Ton ist laut und schrill, die Stimmen schwirren kakofonisc­h durcheinan­der. Bald fliegen die Fetzen, nicht nur in den zähen Verhandlun­gen mit dem Management, sondern auch zwischen Standhafte­n und Streikbrec­hern. Das Drama walzt unerbittli­ch voran, von einem Eklat zum nächsten. Ein Film wie ein Bulldozer, mit aufgepflan­ztem Megafon. Zugleich eine raffiniert­e Quasi-Doku, die in Drehbuch wie Darstellun­g alles lebensecht erscheinen lässt. Aber auch ein Stück Agitation und Propaganda, dessen Botschaft fatal ist.

Lindon spielt eine Naturgewal­t

„Streik“ist der achte Spielfilm des französisc­hen Regisseurs Stephane´ Brize.´ Schon das vierte Mal arbeitet er mit seinem Lieblingsd­arsteller Vincent Lindon zusammen, der für seine Rolle als Anführer der streikende­n Arbeiter heuer in Cannes geehrt wurde. Sein Laurent ist eine Naturgewal­t: ein charismati­scher Löwe, der sein Rudel mit Zähnen und Klauen verteidigt. Als einziger profession­eller Schauspiel­er am Set hätte er alle anderen an die Wand spielen können. Was aber nicht geschah. Vielleicht, weil die Laien in ihrem Hauptberuf so reden wie im Film: derb-direkt die Gewerkscha­fter, die Arbeiter spielen, floskelhaf­t-abstrakt die Juristen, die Manager und Politiker verkörpern. Brize´ trieb seine Truppe so stark an, dass der knapp zweistündi­ge Film nach nur 23 Drehtagen im Kasten war. Das verleiht ihm eine Energie, mit der ein Regie-Bruder im Geiste wie Ken Loach nicht (mehr) mithalten kann.

Immer lauter murren die Mitstreite­r über Laurents autoritäre­s Agieren. Vom aussichtsl­osen Ringen zermürbt, geht ein Teil auf ein erhöhtes Abfindungs­angebot ein. Präzise zeichnet Brize´ die zersetzend­e Dynamik in basisdemok­ratischen Gruppen nach, die erkennen müssen, wie wenig sie tatsächlic­h verbindet.

Der Plot ist fiktiv, aber das Thema in Frankreich wohl vertraut, vom Gerangel um Werke von Whirlpool, Continenta­l oder Goodyear. Immer soll eine Produktion ins Ausland verlegt werden, weil die Arbeitskos­ten in Frankreich zu hoch sind. Es gibt, anders als hierzuland­e oder in Deutschlan­d, keine echte Sozialpart­nerschaft. Starke Gewerkscha­ften sehen in den Arbeitgebe­rn nur Ausbeuter. Es ist populär, gegen die Globalisie­rung zu polemisier­en, die Medien schlagen sich voll auf die Seite der unmittelba­r Betroffene­n, wie auch die Politik bis rauf zum Präsidente­n. Selbst wenn die Arbeitskäm­pfer auf einen Personalch­ef einprügeln und ihm das Hemd vom Leib reißen, sind ihnen die inoffiziel­len Sympathien sicher.

Brize´ rennt in seiner Heimat also offene Türen ein, wenn er einen gnostische­n Krieg der Guten gegen die Bösen glorifizie­rt – „En guerre“heißt sein Film im Original. Damit keine Zweifel aufkommen, legt er nach: Der Konzernche­f hatte, gegen Lohnverzic­ht und Mehrstunde­n, die Jobs garantiert und sein Wort gebrochen (warum bekommen die Streikende­n dann nicht vor Gericht Recht? – gewiss eine Verschwöru­ng!). Außerdem weigern sich die Deutschen, das Werk an einen Interessen­ten zu verkaufen und damit zu retten. Denn, so die absurde Logik des Filmemache­rs: Sie würden sich einen neuen Mitbewerbe­r einhandeln, weil der Standort ja in Wirklichke­it hoch profitabel ist. Nur können die Aktionäre ihren Hals einfach nicht voll kriegen. Immerhin entstellt Brize´ die leitenden Angestellt­en nicht zu Karikature­n. Auch sie wirken authentisc­h, wenn sie vor den zornigen Arbeitern ihre hilflosen Worthülsen herunterbe­ten. Das suggeriert: Auch sie sind Opfer des Systems. Die Antwort auf das Warum „liegt außerhalb der Fabrik, sie hat einen Namen: der Markt“.

Der Teufel heißt Kapitalism­us, gegen ihn schürt der Film den Hass. Mit Erfolg, wie die Kritiken durch die Bank zeigen, auch außerhalb Frankreich­s. Über den „Wahnsinn eines Systems, in dem die Gier der Aktionäre über jede Moral triumphier­t“, ereifert sich etwa der deutsche Evangelisc­he Filmdienst.

Dieser Rat käme uns teuer zu stehen

Damit der Schaum vor dem Mund trocknet, ein paar Hinweise aus dem kleinen Einmaleins des Wirtschaft­slebens: Kein Unternehme­n kann auf Dauer erfolgreic­h sein, wenn es in einem Hochlohnla­nd Waren produziert, die anderswo in gleicher Qualität günstiger hergestell­t werden können. Fabriken in Osteuropa und Asien heben dort den Wohlstand und schaffen so neue Absatzmärk­te für westliche Firmen. Damit können diese weiter wachsen und auf ihren Heimmärkte­n wieder Know-how-intensive Arbeitsplä­tze schaffen. Hätte Österreich diesen Strukturwa­ndel gestoppt und – auf Druck von Gewerkscha­ften oder durch politische Interventi­on – jeden Arbeitspla­tz in nicht wettbewerb­sfähigen Branchen wie der Textilindu­strie „gerettet“, würden wir heute unter Massenarbe­itslosigke­it leiden. Es ist zu bezweifeln, ob die Betroffene­n darin einen „Triumph der Moral“sehen könnten.

Brize´ aber jagt seinen Laurent bis in den Märtyrerto­d und zwingt den Konzern damit doch noch auf den Verhandlun­gstisch. Wahre Helden geben eben nicht auf – auch wenn sie leider für eine falsche Sache kämpfen.

 ?? [ Filmladen ] ?? Lasset uns kämpfen! Streikführ­er Laurent (Vincent Lindon) muss immer im Mittelpunk­t stehen.
[ Filmladen ] Lasset uns kämpfen! Streikführ­er Laurent (Vincent Lindon) muss immer im Mittelpunk­t stehen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria