Die Presse

Panik und Glück des Sängers

Zurück aus der Einsamkeit. Bon Iver, der US-Superstar der Eigenbrötl­er, hat sich nach seinem schwierige­n dritten Album mit „i,i“wieder geöffnet. Kryptisch bleibt er weiterhin.

- VON HEIDE RAMPETZREI­TER

Justin Vernon, Mastermind der Band (oder: des Projekts) Bon Iver, hat etwas von einem typischen amerikanis­chen Quarterbac­k: Groß, breit gebaut, Schirmmütz­e am Kopf (wilde, wenige Haare; das ist eher europäisch) und dann diese Stimme: ein Bass, dröhnend, fast dominant. In seinen Songs verwendet dieser Held der Eigenbrötl­er sie selten in voller Tiefe. Meist singt er im Falsett. Mit der Höhenstimm­lage wurde er berühmt, mit seinem Debüt, dessen Entstehung­sgeschicht­e schon fast ein Mythos ist. An Pfeiffersc­hem Drüsenfieb­er erkrankt, alleine und von seiner Freundin verlassen, nahm er im Winter 2006/2007 „For Emma, Forever Ago“in einer Waldhütte in Wisconsin auf. Neun reduzierte, schönste Indie-Folk-Songs. Im Wald-Unterschlu­pf bekam das Projekt auch seinen Namen, denn Vernon schaute die Fernsehser­ie „Ausgerechn­et Alaska“, in der man sich mit „Bon Hiver“grüßt, französisc­h für: Hab einen guten Winter.

Der Erfolg von „For Emma, Forever Ago“wurde noch übertroffe­n vom doppelt selbstbeti­telten, mit elektronis­chen Sounds angereiche­rten Zweitling (2011). Vernon bekam Grammys, jeder wollte mit ihm arbeiten, mit einigen tat er das auch, etwa Kanye West. Das überforder­te den Songwriter. Kurzzeitig zog er auf die griechisch­e Insel Santorin. Er hatte Panikattac­ken und Angstzustä­nde. Der Sensible im robusten Körper war in der Krise, davon erzählt „22, A Million“, 2016 erschienen: in Musik gegossene Isolation. Kaum eine Melodie, die nicht abgebroche­n, zerstört, destruiert wird.

Mit „i,i“ist Vernon nun wieder dort, wo er am Beginn seines Höhenfluge­s war: zurück aus der Einsamkeit. Aus dem Eigenbrötl­er ist kein „Social butterfly“, kein geselliger Partylöwe geworden. Immer noch sind die Texte kryptisch, für Außenstehe­nde nur teils verständli­ch. Immer noch sind Albumund Songtitel verfremdet, zumindest aber weniger anstrengen­d als auf „22, A Million“, wo ein Lied etwa „____45____“hieß.

Aber auf seinem vierten Album öffnet er sich deutlich. „i,i“beginnt mit einer Frage: „Nimmst du auf?“Ja. Er hat ein wenig Kontrolle abgegeben, nicht nur am Aufnahmekn­opf. Bon Iver sei nun mehr eine Band als ein Soloprojek­t, sagt Vernon in einer Art Erklärvide­o auf Youtube. Neben ihm zählen auch Sean Carey, Matthew McCaughan, Michael Lewis und Andrew Fitzpatric­k dazu. Ihre Namen finden sich (neben anderen, darunter James Blake) auch in den Credits.

„i,i“erinnert stellenwei­se an Momente einer Jam-Session. Am deutlichst­en in „Sh’Diah“, dem vorletzten Lied, aber auch schon am Beginn, in „iMi“. „I am lost here, again“, singt Vernon darin. Verloren klingt er gar nicht, eher angekommen – und experiment­ierfreudig, aber auf verspielte, nicht auf eine destruktiv­e Art wie zuvor.

In „We“, das so abrupt endet wie viele Lieder des Albums, probiert er sogar annähernd Sprechgesa­ng aus. Auf „Holyfield“gibt es ein Wiederhöre­n mit diesen wabernden, beinahe pulsierend­en Sounds, die das zweite Album dominierte­n. „I’m happy as I’ve ever been“, singt er darin. Dann wird er gar politisch: „The land ain’t rising, no.“

Sie alle sind Vorspiel zu „Hey Ma“, einem der ergreifend­sten Songs in dem an großartige­n Songs nicht armen Backkatalo­g des Künstlers. Kindheitse­rinnerunge­n im Falsett, wehmütig und anklagend. Trotz Bruchs harmonisch anschließe­nd: Das von Klavier angeführte „U (Man Like)“mit mühelosen Wechsel zwischen Falsett und Bass. Gefolgt ist es von „Naeem“, benannt nach dem Rapper Naeem Juwan alias Spank Rock (einer der Gaststars). Der Song ist ungewohnt zugänglich, fast poppig. Verschwund­en scheint der Instinkt, sich vor den Hörern zu versperren. Wäre da nicht der Refrain, könnte man das Lied gar fröhlich nennen: „I can hear you crying.“Sind das Tränen der Freude? Natürlich nicht. Das sperrige „Jemore“(„And one by one we’ll all be gone“) verschafft dem Hörer eine Pause von der ungewohnte­n Heiterkeit, ehe „Faith“wieder aufmacht. Gegen Ende flaut das Album ab. Aber das macht nichts, der zarte, bärtige Star wider Willen ist wieder da.

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