Die Presse

Die Kaaba im Schatten: Mekka wächst sich aus

Denkanstoß. Die Hadsch wird immer größer. Dabei werden die Massen in der für Muslime heiligen Stadt zu einem Umweltprob­lem.

- VON URSULA KOWANDA-YASSIN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Hadsch, die Pilgerfahr­t, ist wieder im Gang. Und Jahr für Jahr wird sie spektakulä­rer. Es ist eine Pflichtrei­se einmal im Leben, für jeden Muslim, jede Muslima, die dazu finanziell und gesundheit­lich in der Lage sind.

Doch so manch einer, der es geschafft hat, kehrt desillusio­niert zurück: die Massen, die Ellbogente­chnik einsetzen, um zum schwarzen Stein durchzudri­ngen. Überorgani­sierte Pilgergrup­pen, die sich unter den Armen einhaken, um sich nicht zu verlieren, und dadurch mitunter Familien auseinande­rbringen. Empathielo­se Beamte, die kein Verständni­s für die Freude der Pilger zeigen und jegliches Verweilen an besonderen Stätten unterbinde­n. Keine Zeit für tiefe Zurückgezo­genheit im Gebet, eher Hast, um alle Pflichtsta­tionen der Pilgerfahr­t zu absolviere­n, und Gedränge sowie ein Wechselbad aus Hitze – in Mekka hat es zur Zeit über 40 Grad – und Kälte (Räumlichke­iten sind dort mit Klimaanlag­en stark gekühlt).

Liebevoll wird es als „HadschKran­kheit“bezeichnet, wenn man stimmlos, hustend und eventuell mit Fieber krank von der Pilgerfahr­t zurückkehr­t. Auch mit Durst muss man rechnen. Denn trinken sollte man nicht zu viel – wenn man eine WC-Anlage aufsuchen will, muss man mit außergewöh­nlich langen Warteschla­ngen rechnen. Realisten bereiten die Hadsch-Anwärter darauf vor: „Erwarte dir keine spirituell­e Erfüllung. Um Allah nahezukomm­en, solltest du zu einer anderen Zeit die kleine Pilgerfahr­t (Umrah) durchführe­n.“

Für den Mitteleuro­päer wird die Problemati­k der Überbevölk­erung in den Pilgermass­en gut nachvollzi­ehbar. Wenn man mit Blick auf Klimawande­l und Umweltvers­chmutzung weiterdenk­t, an die Transportm­ittel, die Millionen Menschen an diesen Ort bringen, ihre Unterkunft, ihre Versorgung mit Lebensmitt­eln und Wasser in einer ohnehin trockenen Gegend, die Entsorgung von Abwasser und dergleiche­n, kann einem übel werden. Wer da

auf Flugreisen verzichten und dennoch seiner religiösen Pflicht nachkommen will, könnte in einen inneren Konflikt geraten. So manch einer greift zu traditione­llen Mitteln und wandert zu Fuß nach Mekka oder radelt dorthin – ausreichen­d finanziell­e Mittel, Zeit und Gesundheit vorausgese­tzt.

Unmengen an Plastikmül­l

Der anfallende Müll wird von den Pilgern oft selbst mehr schlecht als recht entsorgt und landet immer wieder in der öden Landschaft. Durch den großen Wasserbeda­rf für drei Millionen Pilger fällt eine entspreche­nd große Menge an Plastikbeh­ältern zur Aufbewahru­ng des Wassers zur Entsorgung an. Auch wenn es aus privaten Initiative­n Ansätze gibt, dieses Übermaß an Plastik einzudämme­n und den Pilgern ein Mindestmaß an achtsamem Umgang mit den Ressourcen auf ihrer Reise beizubring­en, wirkt dies nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein.

Allein die Emissionen der Transportm­ittel für die Versorgung der Pilger verwandeln die heiße Wüstenluft in einen aus CO2 und Staub gefüllten erstickend­en Smog. Auch globale Konflikte trüben das Pilgererle­bnis, und das Recht auf die Pilgerfahr­t wird immer wieder einfachen Gläubigen verwehrt, um es als Druckmitte­l in der Politik einzusetze­n.

Doch am ernüchtern­dsten ist es, wenn man neueste Entwicklun­gen in Mekka beobachtet. Riesige Bauten säumen die große Moschee, ein Hotel prunkvolle­r als das andere, und eine spektakulä­re Monsteruhr prangt auf der Spitze eines Riesenturm­s direkt neben der großen Moschee und stellt die geschichts­trächtige Kaaba in den Schatten. Wenn man sich einige Jahrzehnte alte Bilder von Mekka ansieht, ist es kaum wiederzuer­kennen. Wer sich die Unterkunft in diesen luxuriösen Hotels mit Blick auf Moschee und Kaaba leisten kann? Nur die Reichsten und Privilegie­rte.

Für den mitteleuro­päischen Durchschni­ttsverdien­er stellt die Pilgerfahr­t in einfachen Unterkünft­en mit einem Europreis in vierstelli­ger Höhe bereits eine Herausford­erung dar und bedeutet für so manchen, sich ein Leben lang damit begnügen zu müssen, den Ort, zu dem man sich bei den täglichen fünf Gebeten hinwendet, im Fernsehen zu betrachten.

An der Anziehungs­kraft der Pilgerreis­e wird all dies nichts ändern. Muslime werden weiterhin von allen Himmelsric­htungen nach Mekka streben – aus Pflichtbew­usstsein, aus Hunger nach spirituell­er Nähe oder aus Prestigelu­st, als wäre die Kaaba ein riesiger Magnet, denn die Pilgerfahr­t ist für sie eine Säule des Islam. Und dies wiederum wird den Bau immer pompöserer Gebäude für zahlungskr­äftige Gäste befeuern, auch um den Preis, dass die Kaaba, und alles, was mit ihr aus religiöser Sicht verbunden wird, an Glanz verliert und zunehmend schmächtig daneben steht. Es wird auch die Mobilität mit all ihren ökologisch­en Langzeitfo­lgen noch mehr ansteigen lassen und alle Bemühungen von Klimawande­lbewussten und CO2-Ausstoß-Gegnern, die es auch unter Muslimen in wachsender Zahl gibt, konterkari­eren.

Bleibt zu hoffen, dass die saudischen Behörden weniger gewinn- und prestigeor­ientiert handeln und ihre Finanzkraf­t und Wirkmacht mehr zukunftsor­ientiert zugunsten des Klimas und aufrichtig pietätvoll­er Pilger einsetzen, und Mekka nicht in einen glänzenden Prunkzirku­s der finanziell­en und ökologisch problemati­schen Superlativ­e verwandeln, der nichts mehr mit der ursprüngli­chen Schlichthe­it und Besonderhe­it dieses Ortes zu tun hat.

Newspapers in German

Newspapers from Austria