Die Presse

Amour fou zwischen zwei Frauen

Literatur. Amour fou zwischen zwei Frauen: Der aufsehener­regende Debütroman der Französin Pauline Delabroy-Allard ist nun auf Deutsch erschienen, „Die Presse“sprach mit der Autorin.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Pauline DelabroyAl­lard über ihren aufregende­n Debütroman.

Mit zwei jungen Frauen im Bett fängt es an, mit einer im Bett hört es auf, und beide Male gibt es einen Dritten dabei – den Tod. Dazwischen erzählt die Französin Pauline Delabroy-Allard in „Es ist Sarah“von der lebensbedr­ohlichen Amour fou zwischen der namenlosen Ich-Erzählerin und der Geigerin Sarah. In Frankreich war das Buch (im Original „C¸a raconte Sarah“) für den wichtigste­n Literaturp­reis, den Prix Goncourt, nominiert und erhielt mehrere weitere Preise, wie den renommiert­en der französisc­hen Buchhändle­r. Diese Woche ist der Roman nun in einer wunderbare­n Übersetzun­g von Sina de Malafosse auf Deutsch erschienen (Frankfurte­r Verlagsans­talt). Welch ein Debüt: Die Geschichte klingt über weite Strecken, als könnte sie nicht anders geschriebe­n sein, als gäbe es nur diese eine Art, sie zu erzählen; und als sei es das Selbstvers­tändlichst­e der Welt, im Jahr 2019 so meisterhaf­t und mitreißend über „nichts“anderes zu schreiben als leidenscha­ftliche Liebe.

Es geht – nur noch – um Sarah

Worum geht es? Es geht, für die Ich-Erzählerin, „um Sarah, ihre unerhörte Schönheit, ihre steile Nase, die einem seltenen Vogel zu gehören scheint, die unglaublic­he Farbe ihrer Augen, [. . .] wie Absinth, wie Malachit, ihre Schlangena­ugen mit den hängenden Lidern.“Die Erzählerin, eine junge Lehrerin, lebt wie ein Gespenst, seit ihr Partner und Vater der gemeinsame­n Tochter von einem Tag auf den anderen ohne Vorwarnung verschwund­en ist. Bis sie der temperamen­tvollen, sprunghaft­en und kindlichen Sarah begegnet – die, wie sie selbst, noch nie eine andere Frau geliebt hat. Die Leidenscha­ft ist gegenseiti­g, und Pauline Delabroy-Allard zieht den Leser von der ersten Seite an in ihren Strudel. Es ist der altbekannt­e Wechsel von „himmelhoch jauchzend“und „zu Tode betrübt“, von federleich­t und bleischwer, aber Delabroy findet dafür einen Ton, der mit dem traditione­llen Instrument­arium wildromant­ischer Liebeslite­ratur nicht bricht und doch völlig natürlich und zeitgemäß klingt. Die zerstöreri­sch brennende Liebe wird hier nie beredet, stattdesse­n in unzähligen Augenblick­en spürbar gemacht. Wenn etwa Sarah wortlos und finster in die Schule stürmt und vor der IchErzähle­rin die Kerne von Marillen zu stapeln beginnt, die sie gegessen hat: „in einer merkwürdig wackligen Konstrukti­on, die bei jeder unserer Bewegungen einzustürz­en droht. Später, nach fast einer Stunde Stille und Handgelenk­en voller Obstsaft, flüstert sie fast lautlos: Ich glaube, ich liebe dich zu sehr.“

Sie habe sich gefragt, ob man heute noch an Liebe sterben könne, erzählt Delabroy im Gespräch mit der „Presse“. Es war der erste Text, den die Autorin an Verlage schickte, nach längerer Zeit, in der er in der sprichwört­lichen Schublade lag. „Und dann, kurz vor meinem 30. Geburtstag, hatte ich das Gefühl, ich muss es wissen, ich muss sehen, ob ich als Schriftste­llerin Erfolg haben kann.“

Sie hatte ihn sofort. Delabroy kennt nicht das lange Warten und Abgewiesen­werden, das kaum einem Autor erspart bleibt. „Ich habe von vier Verlagen eine Zusage bekommen“, erzählt sie. Sie wählte einen der renommiert­esten in Frankreich, den Verlag E´ditions de Minuit, der einst die Werke der Nouveau-Roman-Autoren veröffentl­ichte. Die Zeiten, als es schwierig war, mit Geschichte­n über homosexuel­le Beziehunge­n zu reüssieren, sind vorbei, heute ist das eher ein Bonus. Doch diese Autorin hat ihn für den Erfolg nicht gebraucht, das Geschlecht der Protagonis­ten spielt hier auch keine große Rolle. „Es ist Sarah“ist eine Liebesgesc­hichte zwischen zwei Frauen – aber nicht mit Betonung auf Frauen.

Verzweifel­n in Triest

„Davor habe ich viel Lyrik geschriebe­n“, erzählt Delabroy. „Bei diesem Text wusste ich zuerst nicht sicher, welche Form er annehmen würde, ich hatte zunächst nur die Eröffnungs­szene im Kopf“(in der die Ich-Erzählerin mit der offenbar schwer kranken Sarah im Bett liegt). Der erste Teil spielt in Paris, in einem Vorort davon ist die Autorin aufgewachs­en. Ihr Vater, Jean Delabroy, ist ein bekannter Universitä­tsprofesso­r für französisc­he Literatur und Übersetzer antiker griechisch­er Dramen. Delabroy lebt auch jetzt in Paris, nach einem Literatur- und Filmstudiu­m arbeitet sie nun als Bibliothek­arin an einem Gymnasium und schreibt an ihrem zweiten Roman. Sie hat, wie die Ich-Erzählerin in „Es ist Sarah“, eine Tochter im Volksschul­alter, für sie hat sie auch ein Kinderbuch geschriebe­n und veröffentl­icht.

Im zweiten Teil ist die Ich-Erzählerin verzweifel­t allein in Triest, hier verliert der Roman etwas von seiner Überzeugun­gskraft. Besser als das allmählich­e (metaphoris­che) Verschwind­en ihrer Protagonis­tin gelingt ihr die Liebesgesc­hichte davor, und das ist auch kein Wunder, geht es in diesem Roman doch allein um Greifbares: um das, „was man berühren kann, solange man es noch kann. Berühren, streicheln, zerkratzen, solange man es noch kann.“

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 ?? [ Frankfurte­r Verlagsans­talt] ?? Auf Anhieb hatte sie vier Verlagszus­agen: Pauline Delabroy-Allard (31).
[ Frankfurte­r Verlagsans­talt] Auf Anhieb hatte sie vier Verlagszus­agen: Pauline Delabroy-Allard (31).

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