Die Presse

Grüne wollen in die Peripherie

Wien. Der Fokus auf die urbanen Innenstadt­bezirke, gern Bobo-Bezirke genannt, ist unter Birgit Hebein vorbei. Sie fokussiert sich auf die Außenbezir­ke, um die dort schwächeln­den Grünen breiter aufzustell­en. Es ist aber ein hartes Pflaster.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Birgit Hebein will ihre Partei nicht mehr auf die Innenbezir­ke konzentrie­rt sehen.

Wien. Es war ein Termin, der in der öffentlich­en Wahrnehmun­g während der sommerlich­en Hitzewelle völlig untergegan­gen ist – obwohl er einen spannenden Hintergrun­d hat. Birgit Hebein, grüne Vizebürger­meisterin und Stadträtin für Stadtplanu­ng und Verkehr, ging nach Favoriten – um eine interaktiv­e Ausstellun­g über Stadtplanu­ng zu propagiere­n. Dort, auf dem Reumannpla­tz, der künftig neu gestaltet wird, stellte sich Hebein auch den Fragen der Favoritner.

Dieser Termin zeigt: Bei den Grünen vollzieht sich gerade ein Paradigmen­wechsel. Denn Maria Vassilakou wurde kaum außerhalb des Gürtels gesehen: Neugestalt­ung der Mariahilfe­r Straße, polarisier­ende Innenstadt-Radwege wie jener entlang der Wienzeile, die grüne Bemalung von Radwegen wie am Ring, die Neugestalt­ung der Rotenturms­traße und Pläne für den Schwedenpl­atz im ersten Bezirk: Mit dem damaligen Bürgermeis­ter, Michael Häupl, fokussiert­e sich Vassilakou auf die innerstädt­ischen Bezirke, in denen auch die grüne Kernklient­el wohnt. Mit der Folge, dass es in den Außenbezir­ken, die sich benachteil­igt fühlten, einen Aufstand gab.

Nun ist alles anders. „Es ist kein Zufall, dass mich mein erster Termin als Vizebürger­meisterin nach Favoriten geführt hat. Ich möchte die Außenbezir­ke verstärkt in den Blick nehmen“, erklärt Hebein, die zuletzt medienwirk­sam städtische Hitzeinsel­n mit Sprühnebel etc. abkühlen ließ (darunter in Favoriten und Ottakring), der „Presse“.

„Außenbezir­ke sind wichtig“

Kommt nun die grüne Eroberung der Außenbezir­ke, in denen die Grünen traditione­ll bei Wahlen schwächeln? „Dass mir die Außenbezir­ke wichtig sind, dazu stehe ich“, meint Hebein zur „Presse“. „Dass ich in Zukunft den Fokus auf die Außenbezir­ke legen möchte, das ist mein dezidierte­r Wunsch.“Konkret will sie die Außenbezir­ke nicht nur bei Stadtplanu­ngsprojekt­en unterstütz­en, sondern auch im Verkehrsbe­reich. „Es geht dort vor allem um den Ausbau des öffentlich­en Verkehrs mit Tangential­verbindung­en.“Hintergrun­d: Die Verbindung­en der Außenbezir­ke ins Zentrum per U-Bahn und Straßenbah­nen sind nicht schlecht. Allerdings gibt es massive Mängel bei der Verbindung­en der Außenbezir­ke untereinan­der. Wer von einem Außenbezir­k in einen anderen fahren möchte, ist oft auf ein Auto angewiesen. Das möchte Hebein ändern – was nicht rein altruistis­ch ist: Die Außenbezir­ke sind für die Wiener Grünen politisch ein hartes Pflaster. Wollen die Grünen bei Wien-Wahlen und Bundeswahl­en politisch reüssieren, müssen sie sich in den Außenbezir­ken gut verankern, in denen der Großteil der Wiener Stimmen zu holen ist. Das zeigt ein Blick auf das Ergebnis der vergangene­n Wien-Wahl (Bezirkserg­ebnisse).

In ihrer innerstädt­ischen Hochburg Neubau kamen die Grünen auf 41 Prozent, in Mariahilf auf knapp 30 Prozent, in der großteils urbanen Leopoldsta­dt auf 35 Prozent. Ein völlig anderes Bild bieten die Außen- und Arbeiterbe­zirke, wo die Grünen oft nur in homöopathi­schen Dosen vorkommen. In Simmering schafften sie mit 5,56 Prozent überhaupt nur knapp den Einzug in die Bezirksver­tretung. In Favoriten und Floridsdor­f schnitten die Grünen mit rund sieben Prozent nicht viel besser ab, während sie 2015 wienweit bei 11,8 Prozent lagen.

Zwei massive Probleme

Die geplante Eroberung der Außenbezir­ke stellt die Grünen allerdings vor zwei Probleme. Um die flächenmäß­ig riesigen Außenbezir­ke (partei-)politisch gut betreuen zu können, benötigt man entspreche­nd viele Mitarbeite­r – um Veranstalt­ungen zu organisier­en, präsent zu sein und flächendec­kend mit der Bevölkerun­g in Kontakt zu kommen. Hier fehlen kleinen Parteien wie den Grünen die nötigen Strukturen und Mitarbeite­r.

Das zweite Problem: Die Außenbezir­ke sind politisch eine andere Welt. Mit dem Bau von Radwegen und „All refugees are welcome“-Parolen ist dort (im Gegensatz zur urbanen Innenstadt) nichts zu gewinnen. Nicht umsonst sind die Außenbezir­ke Hochburgen der FPÖ, in denen sogar die (dort ebenfalls schwachbrü­stige) ÖVP mit einem strikten, migrations­kritischen Kurs unter Sebastian Kurz bei der letzten Nationalra­tswahl enorm zulegen konnte – wie auch die Liste Pilz, die mit dem Thema „Kampf gegen den politische­n Islam“dort punkten konnte.

Nachdem die Grünen ihre migrations­freundlich­e Linie nicht ändern werden, setzt Hebein auf das, was noch übrig bleibt: Sachpoliti­k wie eben der Ausbau des öffentlich­en Verkehrs, konkret der Tangential­verbindung­en in den Außenbezir­ken. Das tut niemandem weh, davon profitiere­n viele Menschen, damit können die Grünen in den Flächenbez­irken punkten.

Daneben wird unter Hebein weitergehe­n, was die Grünen seit einiger Zeit konsequent betreiben: Grätzelana­lysen. Dabei analysiere­n die Grünen die Wiener Sprengel in den Flächenbez­irken. „Es gibt dort überall grüne Inseln“, war aus der Partei dazu zu hören. Auf diese konzentrie­ren sich die Grünen im Wahlkampf, um sich dort zu verankern und diese Inseln zu vergrößern. Wie das in der Praxis aussieht, war beim EU-Wahlkampf im urbanen, vor wenigen Jahren neu errichtete­n Sonnwendvi­ertel zu sehen. Dort, beim Wiener Hauptbahnh­of in Favoriten, wo zahlreiche junge Familien hingezogen sind, konnte man kaum einen Meter gehen, ohne über ein grünes Wahlplakat zu stolpern – was sich für die Grünen ausgezahlt hat: Bei der EU-Wahl kamen sie (wienweit) auf 20,8 Prozent.

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[ APA ] Die Parteichef­in der Wiener Grünen, Birgit Hebein, will (politisch) mehr Grün in den Weiten der Wiener Außenbezir­ke, wo die meisten Stimmen in Wien zu holen sind.

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