Die Presse

„Orpheus“in indezenter Revue

Salzburg. Barrie Kosky macht Offenbachs Antiken-Spaß zu einem nicht gerade dezenten Revue-Spektakel, in dem der virtuose Sprachküns­tler Max Hopp als „John Styx“dem Festspielp­ublikum ein Stimmfest der ungewöhnli­chen Art beschert.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Barrie Kosky lässt bei den Salzburger Festspiele­n die Teuferln tanzen.

In gewisser Weise ist das ein Hörspiel. Ein ganz virtuoses sogar. Max Hopp gibt an diesem Abend den „John Styx“, eine Figur, die im Stück eigentlich nicht vorgesehen ist. So jedenfalls nicht. Er wird trotzdem zum Star dieses Festspiela­bends, an dem Jacques Offenbachs Musiknumme­rn mehr oder weniger – meist weniger – gut auf Französisc­h gesungen werden, die Dialoge aber in deutscher Sprache gesprochen werden. Und zwar ausschließ­lich von Hopp, der wirklich alle Ton- und Ausdrucksl­agen beherrscht, derer die menschlich­e Stimme in Wort und Geräusch fähig ist, und sie in akrobatisc­her Geschwindi­gkeit gegeneinan­der ausspielt.

So spricht er denn die Texte von Orpheus und Eurydike, Jupiter oder Pluto, Juno und Merkur, während die Darsteller wie in einem Zeichentri­ckfilm ihre Lippen dazu bewegen. Das auf Sekundenbr­uchteile genau synchronis­iert zu haben, ist eine Großleistu­ng von Regisseur Barrie Kosky, der auch die Bewegungsf­olgen dazu minutiös getaktet hat. Das Spiel läuft ab wie am Schnürchen, oft in rasendem Tempo und nur in ganz wenigen, gewollten Momenten jeweils kurz innehalten­d.

Dass das Publikum während der Premiere kaum zum Applaudier­en kam, mag daran liegen, dass es außer Atem war ob solcher Maximierun­g von Slapstick-Effekten und Pointen. Vielleicht ging die Musik oft im Kreuzfeuer der optischen Reize unter.

Warten auf philharmon­isches Brio

Sie zündete aber auch für den nicht wirklich, der genauer zuhörte. Das Vivacissim­o der Inszenieru­ng schien auf die Gangart des Dirigenten abgefärbt zu haben. Man mochte im Vorfeld ja denken, festspielw­ürdig würde diese Produktion schon dank der Mitwirkung der Wiener Philharmon­iker. Die hört man ja wirklich nicht alle Tage Offenbach spielen, außer vielleicht an manchen Neujahrsmo­rgen, wenn die Ouvertüre zu jener „Orpheus“-Operette auf dem Programm steht, die diesmal gar nicht erklingt.

In der Mixtur aus Urfassung (1858) und neuer Version (1874), die man eigens für diese Salzburger Inszenieru­ng arrangiert hatte, fand sie keinen Platz – vielleicht, um den Effekt des berühmten Cancan nicht schon in den ersten zehn Minuten zu verschieße­n. Was sonst noch an Effekten möglich wäre, vergeigt man unter Enrique Mazzolas Leitung in vielen Fällen. Im entscheide­nden Moment lassen die gewählten Metronomza­hlen keine distinkte Artikulati­on, keine rhythmisch­e Prägnanz mehr zu, die den vordergrün­digen Zund durch philharmon­ischen Klangsinn adeln könnten.

In den spärlichen lyrisch-melodiösen Nummern können wiederum die Vokalsolis­ten nicht annähernd mit Wiener Oboen oder Geigen mithalten. Schmeichel­weiche Phrasierun­gskünste, wie sie bei Offenbach immerhin auch nicht ganz unangebrac­ht wären, beherrscht keiner auf der Szene; gecastet wurde offenkundi­g ausschließ­lich im Hinblick aufs darsteller­ische Klamaukver­mögen. Dass die große Anne Sofie von Otter als „Öffentlich­e Meinung“am Beginn des zweiten Akts als Einlage eine wunderbar selbstiron­ische Barkarole singen darf, in der sie noch einmal anklingen lässt, was Stimmbeher­rschung und Schöngesan­g bedeuten, das wirkt wie die eine Probe aufs Exempel.

Die andere ist das Couplet vom König von Arkadien, das Styx zum Besten gibt. Auch dieses gelingt Max Hoppe, der so etwas wie die Maximalvar­iante des „singenden Schauspiel­ers“zu sein scheint, exzellent.

Zwischendr­in wirkt es, als hätte der Regisseur getrachtet, sein Konzept vollständi­ger Ironisieru­ng, um nicht zu sagen, vollständi­gen Verblödeln­s auch aufs Musikalisc­he auszuweite­n. Ist es Karikatur oder doch Unvermögen, dass die Eurydike von Lathryn Lewek immer wieder Spitzentön­e in grelle Schreie münden lässt? Bringt das Lotterlebe­n in Olymp und Umgebung Cupido (Nadine Weissmann) wirklich so außer Atem?

Wenigstens tönen Lea Desandres Venus und, vollends, Vasilisa Berzhanska­yas Diana, als könnten sie auch in einer Opernprodu­ktion auf der Bühne stehen. Auch Joel Prietos sanfter Orpheus vielleicht, während Martin Winklers Jupiter von Anfang an klarstellt, dass er zwar in Bayreuth (mit dem Alberich) schon einmal einen Herrscher der Unterwelt gesungen hat, diesmal aber ausschließ­lich karikieren­d den Göttervate­r gibt. Die berüchtigt­e Fliege inklusive, in die er sich verwandeln muss, sobald er um Eurydike wirbt. Doppelbödi­g wirken nicht einmal seine Szenen. Dass man in Paris einst diesen Götter–Napoleon für politisch brisant halten konnte, ist nicht einmal zu erahnen.

Nicht nur in der Fliegen-Szene bedient die Inszenieru­ng den niedrigste­n Posseninst­inkt. Wer die fortwähren­de Parodie auf eine Dokumentat­ion der Paarungsge­wohnheiten des Homo erectus nicht goutiert, wird auch die morgige TV-Übertragun­g nicht mögen. Wer damit kein Problem hat – wie das Salzburger Premierenp­ublikum, das beim Schlussapp­laus das jauchzende Bühnengejo­hle imitierte –, wird wohl auch den politisch korrekten Cancan des – brillanten! – Balletts lieben, bei dem endlich primäre und sekundäre Merkmale beider (’tschuldigu­ng: der beiden althergebr­achten) Geschlecht­er bemerkensw­ert bunt gemixt werden.

Nur der Gott des Krieges ist verloren

Wer da meint, so etwas könne gar nicht gehen, hat nicht mit Kosky gerechnet und mit Victoria Behrs Kostümen, die auf Rufus Didwiszus’ Tingeltang­el-Bühne von Tänzern und Sängern freudig gelüpft werden. Juno (Frances Pappas) kann dergleiche­n ob ihrer Erfahrunge­n mit dem Göttergatt­en nicht erschütter­n, aber dem Boten Merkur alias Peter Renz verschlägt es kurzfristi­g beinah die Sprache; seinen Auftritts-„Saltarello“absolviert der Charaktert­enor jedoch ungehinder­t, beinah wie in einer ganz normalen Operetten-Produktion; aus der übrigens auch die einzige Prise sanfter politische­r Stichelei stammen könnte: Ausgerechn­et Rafal Pawnuks Mars, der Kriegsgott, weiß nie, wo er hingehört. Die andern schon, Götter wie Menschen. Und die Teuferln vom Vokalconso­rt Berlin. Da tanzt keiner aus der Reihe.

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[ M. Rittershau­s] Noch in der „Oberwelt“: Marcel Beekman (Pluto) ist dabei, Karthryn Lewek (Eurydike) zu entführen.

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