„Orpheus“in indezenter Revue
Salzburg. Barrie Kosky macht Offenbachs Antiken-Spaß zu einem nicht gerade dezenten Revue-Spektakel, in dem der virtuose Sprachkünstler Max Hopp als „John Styx“dem Festspielpublikum ein Stimmfest der ungewöhnlichen Art beschert.
Barrie Kosky lässt bei den Salzburger Festspielen die Teuferln tanzen.
In gewisser Weise ist das ein Hörspiel. Ein ganz virtuoses sogar. Max Hopp gibt an diesem Abend den „John Styx“, eine Figur, die im Stück eigentlich nicht vorgesehen ist. So jedenfalls nicht. Er wird trotzdem zum Star dieses Festspielabends, an dem Jacques Offenbachs Musiknummern mehr oder weniger – meist weniger – gut auf Französisch gesungen werden, die Dialoge aber in deutscher Sprache gesprochen werden. Und zwar ausschließlich von Hopp, der wirklich alle Ton- und Ausdruckslagen beherrscht, derer die menschliche Stimme in Wort und Geräusch fähig ist, und sie in akrobatischer Geschwindigkeit gegeneinander ausspielt.
So spricht er denn die Texte von Orpheus und Eurydike, Jupiter oder Pluto, Juno und Merkur, während die Darsteller wie in einem Zeichentrickfilm ihre Lippen dazu bewegen. Das auf Sekundenbruchteile genau synchronisiert zu haben, ist eine Großleistung von Regisseur Barrie Kosky, der auch die Bewegungsfolgen dazu minutiös getaktet hat. Das Spiel läuft ab wie am Schnürchen, oft in rasendem Tempo und nur in ganz wenigen, gewollten Momenten jeweils kurz innehaltend.
Dass das Publikum während der Premiere kaum zum Applaudieren kam, mag daran liegen, dass es außer Atem war ob solcher Maximierung von Slapstick-Effekten und Pointen. Vielleicht ging die Musik oft im Kreuzfeuer der optischen Reize unter.
Warten auf philharmonisches Brio
Sie zündete aber auch für den nicht wirklich, der genauer zuhörte. Das Vivacissimo der Inszenierung schien auf die Gangart des Dirigenten abgefärbt zu haben. Man mochte im Vorfeld ja denken, festspielwürdig würde diese Produktion schon dank der Mitwirkung der Wiener Philharmoniker. Die hört man ja wirklich nicht alle Tage Offenbach spielen, außer vielleicht an manchen Neujahrsmorgen, wenn die Ouvertüre zu jener „Orpheus“-Operette auf dem Programm steht, die diesmal gar nicht erklingt.
In der Mixtur aus Urfassung (1858) und neuer Version (1874), die man eigens für diese Salzburger Inszenierung arrangiert hatte, fand sie keinen Platz – vielleicht, um den Effekt des berühmten Cancan nicht schon in den ersten zehn Minuten zu verschießen. Was sonst noch an Effekten möglich wäre, vergeigt man unter Enrique Mazzolas Leitung in vielen Fällen. Im entscheidenden Moment lassen die gewählten Metronomzahlen keine distinkte Artikulation, keine rhythmische Prägnanz mehr zu, die den vordergründigen Zund durch philharmonischen Klangsinn adeln könnten.
In den spärlichen lyrisch-melodiösen Nummern können wiederum die Vokalsolisten nicht annähernd mit Wiener Oboen oder Geigen mithalten. Schmeichelweiche Phrasierungskünste, wie sie bei Offenbach immerhin auch nicht ganz unangebracht wären, beherrscht keiner auf der Szene; gecastet wurde offenkundig ausschließlich im Hinblick aufs darstellerische Klamaukvermögen. Dass die große Anne Sofie von Otter als „Öffentliche Meinung“am Beginn des zweiten Akts als Einlage eine wunderbar selbstironische Barkarole singen darf, in der sie noch einmal anklingen lässt, was Stimmbeherrschung und Schöngesang bedeuten, das wirkt wie die eine Probe aufs Exempel.
Die andere ist das Couplet vom König von Arkadien, das Styx zum Besten gibt. Auch dieses gelingt Max Hoppe, der so etwas wie die Maximalvariante des „singenden Schauspielers“zu sein scheint, exzellent.
Zwischendrin wirkt es, als hätte der Regisseur getrachtet, sein Konzept vollständiger Ironisierung, um nicht zu sagen, vollständigen Verblödelns auch aufs Musikalische auszuweiten. Ist es Karikatur oder doch Unvermögen, dass die Eurydike von Lathryn Lewek immer wieder Spitzentöne in grelle Schreie münden lässt? Bringt das Lotterleben in Olymp und Umgebung Cupido (Nadine Weissmann) wirklich so außer Atem?
Wenigstens tönen Lea Desandres Venus und, vollends, Vasilisa Berzhanskayas Diana, als könnten sie auch in einer Opernproduktion auf der Bühne stehen. Auch Joel Prietos sanfter Orpheus vielleicht, während Martin Winklers Jupiter von Anfang an klarstellt, dass er zwar in Bayreuth (mit dem Alberich) schon einmal einen Herrscher der Unterwelt gesungen hat, diesmal aber ausschließlich karikierend den Göttervater gibt. Die berüchtigte Fliege inklusive, in die er sich verwandeln muss, sobald er um Eurydike wirbt. Doppelbödig wirken nicht einmal seine Szenen. Dass man in Paris einst diesen Götter–Napoleon für politisch brisant halten konnte, ist nicht einmal zu erahnen.
Nicht nur in der Fliegen-Szene bedient die Inszenierung den niedrigsten Posseninstinkt. Wer die fortwährende Parodie auf eine Dokumentation der Paarungsgewohnheiten des Homo erectus nicht goutiert, wird auch die morgige TV-Übertragung nicht mögen. Wer damit kein Problem hat – wie das Salzburger Premierenpublikum, das beim Schlussapplaus das jauchzende Bühnengejohle imitierte –, wird wohl auch den politisch korrekten Cancan des – brillanten! – Balletts lieben, bei dem endlich primäre und sekundäre Merkmale beider (’tschuldigung: der beiden althergebrachten) Geschlechter bemerkenswert bunt gemixt werden.
Nur der Gott des Krieges ist verloren
Wer da meint, so etwas könne gar nicht gehen, hat nicht mit Kosky gerechnet und mit Victoria Behrs Kostümen, die auf Rufus Didwiszus’ Tingeltangel-Bühne von Tänzern und Sängern freudig gelüpft werden. Juno (Frances Pappas) kann dergleichen ob ihrer Erfahrungen mit dem Göttergatten nicht erschüttern, aber dem Boten Merkur alias Peter Renz verschlägt es kurzfristig beinah die Sprache; seinen Auftritts-„Saltarello“absolviert der Charaktertenor jedoch ungehindert, beinah wie in einer ganz normalen Operetten-Produktion; aus der übrigens auch die einzige Prise sanfter politischer Stichelei stammen könnte: Ausgerechnet Rafal Pawnuks Mars, der Kriegsgott, weiß nie, wo er hingehört. Die andern schon, Götter wie Menschen. Und die Teuferln vom Vokalconsort Berlin. Da tanzt keiner aus der Reihe.