Wenn Japaner in den Bäumen des Waldes baden
Kampf gegen Stress. Mit dem fernöstlichen Konzept „Shinrin yoku“versuchen die Japaner, sich zu erholen. Die Waldtherapie wird nun auch in Europa interessant.
Tokio. Sie umarmen Bäume, streicheln Moos und liebkosen Blätter. Ihre Füße versuchen, den weichen Boden zu spüren, die Hände fühlen die Unterschiede der Blätter und die Augen wollen das Licht der vielen Grüntöne genießen. Im Nationalen Erholungswald von Akasawa sind nicht in erster Linie Umweltschützer oder Esoteriker unterwegs, sondern Japaner, die abschalten und sich erholen wollen. Was in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz zunehmend als Wellnesstrend angesagt ist, praktizieren Japaner bereits seit Jahrzehnten als Heilmethode, Therapie und sogar als Medizin.
Wer richtig in die Tiefen des Waldes taucht mit all seinen Gerüchen und Stimmungen, tut sich selbst und seiner Gesundheit gut, ist das Motto. „Shinrin yoku“ist die japanische Bezeichnung für diese Sicht und Nutzung der Natur. In der Übersetzung bedeutet das „die Waldatmosphäre einatmen“oder kurz auf den Punkt gebraucht, „Waldbaden“. Wald bedeutet nach japanischem Verständnis nicht nur Wirtschaftsfaktor oder Freizeitpark. Japaner fühlen sich traditionsgemäß extrem verbunden mit Landschaften und Pflanzen. Anfang der 1980er-Jahre förderte das japanische Landwirtschaftsministerium diese besondere Beziehung mit einem millionenschweren Forschungsprogramm und gründete den „Akasawa Natural Recreation Forest“, der mit seinen über 300 Jahre alten Zypressen als erster natürlicher Heilwald ausgewiesen wird.
Südkorea zieht nach
Die dort speziell angelegten Wanderwege, die zwischen 1,5 und 3,5 Kilometer lang sind, nutzen jedes Jahr rund fünf Millionen Japaner. Vor 13 Jahren eröffnete in Japan das erste Zentrum für „Waldtherapie“. Seit 2012 bieten japanische Universitäten sogar eine fachärztliche Spezialisierung für „Waldmedizin“an.
Aufgrund der positiven Erfahrungen zog auch das Nachbarland Südkorea mit mehreren Forest Bath Parks nach. Forscher aus Japan und Südkorea sind nach vielen wissenschaftlichen Beobachtungen davon überzeugt, dass sich der Aufenthalt im Wald äußerst positiv auf die Gesundheit des Besuchers auswirkt. Die Nippon Medical School in Tokio untersuchte erstmals wissenschaftlich, inwieweit der Wald körperliche Leiden lindern kann, und kam zu dem Ergebnis, dass angeblich schon ein Tag im Forst die Zahl der natürlichen Abwehrzellen um fast 40 Prozent steigern könne.
Die „Waldtherapie“hat sich seither als fernöstliche Entspannungs- und Stressbewältigungsmethode zur Gesundheitsvorsorge und Heilung etabliert. Sie soll das Immunsystem verbessern, Anspannungen abbauen, die Stimmung verbessern, den Blutdruck sowie den Blutzuckerspiegel senken, den Schlaf verbessern, die Intuition vertiefen, die Energie erhöhen und vieles mehr.
Sehr beliebt sind Achtsamkeitstraining, Meditation und Naturyoga. Zum Programm der Therapien gehören auf bestimmte Waldelemente, wie Blätter oder Nadeln, fokussierte Wanderungen, aber auch gemütliche Spaziergänge im Sinne Goethes – „Ich ging im Walde so vor mich hin und nichts zu suchen, das war mein Sinn.“
Reise zur „Wiege des Waldbadens“
Mittlerweile gibt es entsprechende Angebote auch in Deutschland oder Österreich, die besonders auch suchtkranken und depressiven Menschen helfen sollen. Interessierte können auch zu den direkten Wurzeln des „Shinrin yoku“fliegen. Die „Deutsche Akademie für Waldbaden“bietet im April kommenden Jahres eine Studienreise ins Land der Erfinder an, weil das Konzept des Waldbadens immer mehr Mitglieder und Trainer begeistere. Im Mittelpunkt steht natürlich die „Wiege des Waldbadens“, das alpine Akasawa-Erholungsgebiet in der zentraljapanischen Nagano-Region.