Was hast du und ich nicht?
Kunst. Das Münchner Department für öffentliche Erscheinungen hat schon vielen Menschen Fragen gestellt. Dieser Tage sind sie in Wien Favoriten.
Es sind zwei durchaus herausfordernde Fragen, mit denen man dieser Tage in Wien Favoriten konfrontiert wird: Was habe ich, was die anderen nicht haben? Und: Was haben die anderen, was ich nicht habe? Gestellt werden sie von Carola Vogt, Peter Boerboom und Gabriele Obermaier, die als „Department für öffentliche Erscheinungen“seit 25 Jahren zusammenarbeiten – und die nun für ein Projekt nach Wien kommen.
Der Hintergrund ihrer Fragen sind die Veränderungen, die Favoriten mit dem Bau des Hauptbahnhofs und dem Sonnwendviertel erfahren hat. „Nachdem wir eingeladen wurden, hatten wir mehrere Besichtigungen – und da war dann relativ klar, dass das die Thematik ist, die uns interessiert“, erzählt Vogt. Es sei recht schnell aufgefallen, dass der ältere mit dem neuen Bereich nicht so wirklich verbunden ist. „Diese Unverbundenheit, dieses Separate hat diese Fragen in uns erschaffen.“
Andere Menschen in ihre Arbeiten einzubinden ist für die drei Künstler nicht neu, im Gegenteil: Seit zehn, zwölf Jahren machen sie hauptsächlich partizipative Aktionen. „Wir haben da einen langen Weg hinter uns“, sagt Boerboom. Die Gruppe hat sich mit Verkehr beschäftigt, mit dem öffentlichen Raum, vor 20 Jahren schon mit dem Telefonieren im öffentlichen Raum. „Und im Laufe der Zeit sind wir dann draufgekommen, die Leute mehr einzubeziehen in unsere Ideen und auf Partizipation zu fokussieren.“
Auch das hat sich nochmals verstärkt. In früheren Aktionen hatten die Menschen Fragen beantwortet, indem sie eines der verschiedenfarbigen Tücher aus ihrem Fenster hängten, die die Künstler ihnen zur Verfügung stellten. Etwa in Linz, wo die Bewohner 2009 ihre Meinung zum Landschaftspark Bindermichl-Spallerhof kundtun konnten, der zwei Jahre zuvor eröffnet worden war („Früher war’s besser“in Rot, „Leben im Jetzt“in Orange, „Hoffen auf morgen“in Grün).
Die Hintergründe erfahren
„Zunehmend geht es uns darum, die Hintergründe zu erfahren“, sagt Carola Vogt. Bei einem Kunstprojekt im Berliner Wedding, in dem es um die Zukunftsaussichten und die Wohnsituation der Viertelbewohner ging, hätten sie angefangen, den Menschen mehr Fragen zu stellen. „Das Interessanteste sind eigentlich die differenzierten Meinungen und Hintergründe und das haben wir immer mehr in den Fokus genommen.“
Die Fragen, die sie stellen, sind immer auf den Kontext bezogen. „Wir überlegen uns sehr genau, was virulente Themen sind, und auch, wie wir die Fragen so stellen können, dass sie nicht zu speziell sind“, sagt Vogt. In Tschechien haben sie etwa die Frage gestellt, was mit einer verlassenen Ortschaft passieren soll. In der senegalesischen Hauptstadt Dakar ging es um Hierbleiben oder Wegziehen.
„In Favoriten war klar, dass wir den Neubaukomplex in Beziehung zu dem Alten setzen wollen – und so sind wir auf die Sicht der anderen und die eigene gekommen“, sagt Vogt. Mit ihren Fragen – die sie sowohl im Helmut-Zilk-Park als auch am Columbusplatz stellen – erhoffen sie sich, sowohl von den neu Zugezogenen als auch von den Alteingesessenen, Meinungen zu ihrer Situation zu bekommen. Beziehungsweise, sie zum Nachdenken darüber anzuregen. „Diese Gedanken zu vertiefen und sie auch mit anderen zu teilen – das stellen wir uns schon spannend vor“, sagt Boerboom.
Inhaltliche Erwartungen haben die Künstler nicht unbedingt. „Uns freut es, wenn wir ganz verschiedene Kommentare dazu kriegen, wenn wir temporäre Gesprächsinseln schaffen können. Dann sind wir zufrieden.“Üblicherweise funktioniere das auch – die ersten paar Menschen zum Mitmachen zu motivieren, sei eher zäh. Aber wenn die ersten fünf, sechs ihre Antworten auf die Streifen aus Kunststoffvlies geschrieben haben, ziehe das die nächsten automatisch an.
Ein wichtiger Punkt sei auch, dass es sich eben um ein Kunstprojekt handelt. „Wir haben keinen Zweck“, sagt Vogt: Es sei Kunst, es führe sozusagen zu nichts, es sei zudem anonym. „Die Leute reagieren sehr positiv, sobald sie merken, dass es einfach nur eine Frage ist, zu der sie sich äußern können.“