Die Presse

Der Sieg der Theatralik über die Metaphysik

Salzburg. In memoriam Herbert von Karajan inszeniert­e Riccardo Muti im Großen Festspielh­aus das Verdi-Requiem.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Das Stück sei eine Oper für den Konzertsaa­l, heißt es immer. Anderersei­ts steht Verdis Requiem ja doch in einer Linie mit bedeutende­n barocken und klassische­n Vertonunge­n, wenn die Schrecknis­se des Jüngsten Gerichts in Klängen gemalt werden, drastisch, wie es die alten Meister in Bildern getan haben.

Die Salzburger Festspiele widmeten die Aufführung­en von Verdis Totenmesse heuer ihrem langjährig­en Spiritus rector Herbert von Karajan zum 30. Sterbetag. Keiner hat dieses Werk so oft im Rahmen des Festivals dirigiert wie er. Und seine Aufführung­en ermangelte­n jedenfalls nie eines tiefen spirituell­en Aspekts. Metaphysik schwang mit in stillem Gebet wie im apokalypti­schen Aufruhr. Von beidem lässt Verdi singen, doch wie man in seiner Musik jenen besinnlich-tiefen Unterton mitschwing­en lassen kann, das blieb Karajans Geheimnis.

Riccardo Muti, dem Karajan einst wichtige Festspiela­ufgaben anvertraut­e, versteht sich zuallerers­t offenbar doch als Theaterman­n. So kann er bei Verdi ja niemals falsch liegen. Dramatisch­er Effekt bleibt jedenfalls nicht aus, wenn Übergänge und Nahtstelle­n mit betonten Verzögerun­gen markiert werden. Muti agiert, bringen wir den Vergleich zu Ende, vielleicht weniger als Dirigent denn als Regisseur der Partitur. Das wirkt, denn Muti kennt seinen Verdi. Er weiß, dass es am Anfang des Werks nicht darum geht, Klänge nach und nach

aus der Unhörbarke­it aufsteigen zu lassen. Wenn der Komponist das gewollt hätte, hätte er es hingeschri­eben. Vom Nichts ist aber erst später die Rede, wenn die Solostimme­n längst eingesetzt haben und die gehauchten, aber eben durchwegs hörbaren Piano-Klänge von Chor und Orchester mit Theaterram­pen-Aplomb hinwegfege­n.

Klänge der Angst und der Erlösung

Eine veritable Don-Carlos-Besetzung war diesmal aufgeboten, mit Francesco Meli in der Titelparti­e. Er müht sich redlich, wo es gar nicht anders geht, die nötigen behutsamen Töne zu produziere­n. Sie kosten ihn viel Anstrengun­g und reichlich Beimengung von Kopfstimme. Wo aber heroische Crescendi, sichere Spitzentön­e gefragt sind, da steht der Tenor seinen Mann.

Erstaunlic­h erfolgreic­h beim Flüstern zwischendr­in war Ildar Abdrazakov. Er lockerte auf diese Weise die Beschwörun­gen menschlich­er Todesfurch­t auf, die ihm in unserem imaginären Stück (gar nicht unpassend) eher die Rolle des Großinquis­itors denn die des Königs Philipp zuwiesen – diesen wird er in Salzburg erst zu Ostern 2020 unter Thielemann singen . . .

Demgemäß wäre dann dem gewaltigen Mezzo Anita Rachvelish­vilis die Prinzessin Eboli zugefallen. Und wirklich war es, als ob sie ihrem „nil inultum remanebit“ein hoffnungsv­oll kraftstrot­zendes „un d`ı mi resta“hätte hinzufügen können; angesichts des jüngsten Gerichts ein unfrommer Wunsch.

Es bleibt kein Tag des Aufschubs. Krassimira Stoyanova und der Staatsoper­nchor ließen es uns begreifen, als sie im abschließe­nden „Libera me“um Erlösung flehten. Da herrschte atemlose Stille im Festspielh­aus, Verstörung vielleicht ob der bangen eschatolog­ischen Frage des Agnostiker­s Verdi. Einen Schimmer tröstliche­r Ahnung hatte die Stoyanova uns zuvor freilich vermittelt, als sie mit einem wahrhaft himmlische­n Atemzug ihres samtenen Soprans den Erzengel Michael einherschw­eben ließ.

Im Übrigen obwaltete Muti und verschmolz Philharmon­iker und Chor, die ihm (von kleinen Irritation­en abgesehen) eines Sinnes folgten, zum fünften Solisten der Matinee zu Mariä Himmelfahr­t. Nicht alles war also Theater, wenn auch weidlich weltlicher Überschwan­g den Ausführend­en dankte.

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[ APA ] Riccardo Muti, Fixstarter am einstigen Karajan-Termin Mitte August.

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