Neue Organe aus eigenen Zellen
Der Tiroler Mediziner Harald Ott lässt aus Stammzellen neue Körperteile wachsen. Was im Tierversuch zum Teil schon funktioniert, könnte in absehbarer Zukunft auch bei Menschen mit Organversagen zum Einsatz kommen.
Tiroler Mediziner lässt aus Stammzellen neue Körperteile wachsen.
Diagnose: Herzinfarkt. Der Patient überlebt ihn knapp, doch das Gerinnsel hat sein Herz zu lang von der Blutzufuhr abgeschnitten, ein Teil des lebensnotwendigen Muskels stirbt ab. Atemnot quält ihn zunächst nur bei körperlicher Belastung, später aber auch in Ruhe – ein Symptom der Herzinsuffizienz, die sich infolge des Gewebeschadens einstellt. Die behandelnden Ärzte beschließen, dass der Mann ein neues Herz braucht, und legen auch gleich den Operationstermin fest: In drei Monaten soll die Transplantation stattfinden. So lang wird es dauern, aus den Blutzellen des Mannes ein funktionierendes, frisches Organ zu züchten.
Erste klinische Studien
Ein Plot, der an viele Vorlagen aus dem Science-Fiction-Genre angelehnt sein könnte, doch für Harald Ott ist er alles andere als pure Fantasie: Der Innsbrucker Mediziner arbeitet mit seiner Forschungsgruppe in Cambridge (USA) an der Herstellung künstlicher Organe aus Stammzellen. Für Ott ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich im Labor ein Ersatz für verschiedenste Teile des Körpers herstellen lässt: „Die ersten Stammzellprodukte sind schon in klinischen Studien, beispielsweise PankreasKonstrukte für Diabetiker. Ich denke also, dass wir in den nächsten zehn Jahren regenerative, biologische Medizinprodukte auf dem Markt sehen werden.“
Für ganze „Organe auf Abruf“, wie der Forscher seinen Vortrag kommenden Montag bei den diesjährigen Gesundheitsgesprächen des Europäischen Forums Alpbach betitelt, müssten noch einige Hürden überwunden werden. Doch prinzipiell sei es denkbar, dass man eines Tages ein komplettes Organ aus eigenen Stammzellen oder solchen, die von einer Spenderbank stammen und exakt zu dem eigenen Immunsystem passen, wachsen lassen könnte. Es wäre eine medizinische Sensation: Zwar ist man in Österreich automatisch Organspender, wenn man nicht zu Lebzeiten widersprochen hat, verglichen mit anderen Ländern sind die Wartezeiten für ein Spenderorgan daher relativ kurz. Doch auch hierzulande sterben jedes Jahr Menschen, weil nicht rechtzeitig transplantiert werden kann. Zudem sind die Wartezeiten für verschiedene Organe äußerst unterschiedlich, auf eine passende Niere wartet man in Österreich oft mehr als drei Jahre, in den USA sind es fünf.
„Der Abstand zwischen Patienten und verfügbaren Organen wird in Zukunft größer werden“, prognostiziert Ott. Das läge an der alternden Bevölkerung, aber auch an der sinkenden Zahl an Todesfällen: „In den USA sind Schädel-HirnTrauma und Drogenüberdosis die Hauptgründe für eine Organspende – doch das sind letztlich lösbare Probleme. Wir brauchen daher alternative Technologien, um Organversagen zu behandeln.“
Organe mit Seife ausspülen
Genau an diesen Technologien arbeitet der 42-jährige Forscher seit seiner Zeit als Assistenzarzt. Er fand heraus, dass man Gewebeschäden in Organen nicht mit einfachen Stammzellinjektionen reparieren kann – ihnen fehlt das Gerüst, das sie zum Wachsen brauchen. Im Tierversuch experimentierte Ott mit verschiedenen Methoden, um dieses aus bestehenden toten Organen zu isolieren, und wurde fündig: „Indem man eine spezielle Seifenlösung in das Gefäßsystem des Organs einleitet, kann man sämtliche Zellen herausspülen. Übrig bleibt nur das Gerüst, das dann von neuen Stammzellen besiedelt werden kann“, erklärt der Wissenschaftler. Es brauchte aber noch eine weitere bahnbrechende Entwicklung: induzierte pluripotente Stammzellen (s. Lexikon). „Erst damit hat unsere Forschung klinische Relevanz bekommen, weil es plötzlich konzeptionell möglich war, Stammzellen von einem Patienten herzustellen“, betont Ott. Das Gerüst kann dagegen aus einem Tier mit vergleichbarer Organgröße entnommen werden, Schweine eignen sich dafür am besten.
Inzwischen hat er schon einigen Hundert Ratten erfolgreich regenerierte Organe verpflanzt, auch bei zehn Schweinen hat das – zumindest für kurze Zeit – funktioniert. Bis die Methode für den Menschen einsetzbar ist, gilt es jedoch noch einige Probleme zu lösen. Die richtige Positionierung der Zellen gehört zu den größten Herausforderungen, schließlich besteht ein Organ oft aus vielen Dutzend verschiedenen Zelltypen. Die künstlichen Transplantate müssten aber auch nicht alle Aufgaben ihrer natürlichen Vorbilder beherrschen: „Schon einzelne Funktionen wiederherzustellen – beim Herz etwa die Kontraktionsfähigkeit oder bei der Lunge die CO2-Abatmung –, würde für die Patienten einen enormen Anstieg der Lebensqualität bedeuten.“