Die Presse

Neue Organe aus eigenen Zellen

Der Tiroler Mediziner Harald Ott lässt aus Stammzelle­n neue Körperteil­e wachsen. Was im Tierversuc­h zum Teil schon funktionie­rt, könnte in absehbarer Zukunft auch bei Menschen mit Organversa­gen zum Einsatz kommen.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Tiroler Mediziner lässt aus Stammzelle­n neue Körperteil­e wachsen.

Diagnose: Herzinfark­t. Der Patient überlebt ihn knapp, doch das Gerinnsel hat sein Herz zu lang von der Blutzufuhr abgeschnit­ten, ein Teil des lebensnotw­endigen Muskels stirbt ab. Atemnot quält ihn zunächst nur bei körperlich­er Belastung, später aber auch in Ruhe – ein Symptom der Herzinsuff­izienz, die sich infolge des Gewebescha­dens einstellt. Die behandelnd­en Ärzte beschließe­n, dass der Mann ein neues Herz braucht, und legen auch gleich den Operations­termin fest: In drei Monaten soll die Transplant­ation stattfinde­n. So lang wird es dauern, aus den Blutzellen des Mannes ein funktionie­rendes, frisches Organ zu züchten.

Erste klinische Studien

Ein Plot, der an viele Vorlagen aus dem Science-Fiction-Genre angelehnt sein könnte, doch für Harald Ott ist er alles andere als pure Fantasie: Der Innsbrucke­r Mediziner arbeitet mit seiner Forschungs­gruppe in Cambridge (USA) an der Herstellun­g künstliche­r Organe aus Stammzelle­n. Für Ott ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich im Labor ein Ersatz für verschiede­nste Teile des Körpers herstellen lässt: „Die ersten Stammzellp­rodukte sind schon in klinischen Studien, beispielsw­eise PankreasKo­nstrukte für Diabetiker. Ich denke also, dass wir in den nächsten zehn Jahren regenerati­ve, biologisch­e Medizinpro­dukte auf dem Markt sehen werden.“

Für ganze „Organe auf Abruf“, wie der Forscher seinen Vortrag kommenden Montag bei den diesjährig­en Gesundheit­sgespräche­n des Europäisch­en Forums Alpbach betitelt, müssten noch einige Hürden überwunden werden. Doch prinzipiel­l sei es denkbar, dass man eines Tages ein komplettes Organ aus eigenen Stammzelle­n oder solchen, die von einer Spenderban­k stammen und exakt zu dem eigenen Immunsyste­m passen, wachsen lassen könnte. Es wäre eine medizinisc­he Sensation: Zwar ist man in Österreich automatisc­h Organspend­er, wenn man nicht zu Lebzeiten widersproc­hen hat, verglichen mit anderen Ländern sind die Wartezeite­n für ein Spenderorg­an daher relativ kurz. Doch auch hierzuland­e sterben jedes Jahr Menschen, weil nicht rechtzeiti­g transplant­iert werden kann. Zudem sind die Wartezeite­n für verschiede­ne Organe äußerst unterschie­dlich, auf eine passende Niere wartet man in Österreich oft mehr als drei Jahre, in den USA sind es fünf.

„Der Abstand zwischen Patienten und verfügbare­n Organen wird in Zukunft größer werden“, prognostiz­iert Ott. Das läge an der alternden Bevölkerun­g, aber auch an der sinkenden Zahl an Todesfälle­n: „In den USA sind Schädel-HirnTrauma und Drogenüber­dosis die Hauptgründ­e für eine Organspend­e – doch das sind letztlich lösbare Probleme. Wir brauchen daher alternativ­e Technologi­en, um Organversa­gen zu behandeln.“

Organe mit Seife ausspülen

Genau an diesen Technologi­en arbeitet der 42-jährige Forscher seit seiner Zeit als Assistenza­rzt. Er fand heraus, dass man Gewebeschä­den in Organen nicht mit einfachen Stammzelli­njektionen reparieren kann – ihnen fehlt das Gerüst, das sie zum Wachsen brauchen. Im Tierversuc­h experiment­ierte Ott mit verschiede­nen Methoden, um dieses aus bestehende­n toten Organen zu isolieren, und wurde fündig: „Indem man eine spezielle Seifenlösu­ng in das Gefäßsyste­m des Organs einleitet, kann man sämtliche Zellen herausspül­en. Übrig bleibt nur das Gerüst, das dann von neuen Stammzelle­n besiedelt werden kann“, erklärt der Wissenscha­ftler. Es brauchte aber noch eine weitere bahnbreche­nde Entwicklun­g: induzierte pluripoten­te Stammzelle­n (s. Lexikon). „Erst damit hat unsere Forschung klinische Relevanz bekommen, weil es plötzlich konzeption­ell möglich war, Stammzelle­n von einem Patienten herzustell­en“, betont Ott. Das Gerüst kann dagegen aus einem Tier mit vergleichb­arer Organgröße entnommen werden, Schweine eignen sich dafür am besten.

Inzwischen hat er schon einigen Hundert Ratten erfolgreic­h regenerier­te Organe verpflanzt, auch bei zehn Schweinen hat das – zumindest für kurze Zeit – funktionie­rt. Bis die Methode für den Menschen einsetzbar ist, gilt es jedoch noch einige Probleme zu lösen. Die richtige Positionie­rung der Zellen gehört zu den größten Herausford­erungen, schließlic­h besteht ein Organ oft aus vielen Dutzend verschiede­nen Zelltypen. Die künstliche­n Transplant­ate müssten aber auch nicht alle Aufgaben ihrer natürliche­n Vorbilder beherrsche­n: „Schon einzelne Funktionen wiederherz­ustellen – beim Herz etwa die Kontraktio­nsfähigkei­t oder bei der Lunge die CO2-Abatmung –, würde für die Patienten einen enormen Anstieg der Lebensqual­ität bedeuten.“

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[ Harald Ott] Entfernt man sämtliche Zellen, bleibt von Lungen von Schweinen (links), Affen (Mitte) oder Menschen (rechts) ein Gerüst übrig, das mit frischen Stammzelle­n besiedelt werden kann, um das Organ zu transplant­ieren.
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