Die Presse

Die Kehrtwende des SPD-Vizekanzle­rs

Sozialdemo­kratie. Olaf Scholz ist bereit, für den Vorsitz der SPD zu kandidiere­n. Das ist eine Überraschu­ng. Er hatte es immer ausgeschlo­ssen. Doch die Not der Genossen ist groß.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Angela Merkel lehnte es immer ab, Parteivors­itz und Kanzleramt zu trennen. Und tat es dann doch. Ihre CDU-Nachfolger­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r erklärte, sie strebe kein Ministeram­t an. Und steht nun an der Spitze im Verteidigu­ngsressort. Die SPD schloss eine Große Koalition (GroKo) aus. Und ist nun in ihr gefangen. SPD-Chef Martin Schulz wollte nie unter Merkel Außenminis­ter sein. Und stürzte über den Versuch, es doch zu werden. Es ist die Zeit der großen Kehrtwende­n in der deutschen Spitzenpol­itik. Und sie ist um eine Episode reicher.

Vizekanzle­r Olaf Scholz ist bereit, für den SPD-Vorsitz zu kandidiere­n, meldet der „Spiegel“. Am Abend des Rücktritts von SPD-Chefin Andrea Nahles hatte Scholz in der Talkshow „Anne Will“ausführlic­h erklärt, warum der Vorsitz für ihn nicht infrage komme. Das sei als Finanzmini­ster „zeitlich nicht zu schaffen“, sagte der 61-Jährige, und hielt ein Plädoyer gegen Ämterhäufu­ng. Jedenfalls habe er eine Kandidatur für sich „sofort ausgeschlo­ssen“.

Abgleiten ohne Ende

Zwei Monate ist das her. In der Zwischenze­it ging es für die Genossen weiter bergab. Umfragen weisen die SPD bei zwölf Prozent aus. Und der noch bis 1. September laufende Bewerbungs­prozess geriet zur Farce. Von einer „Katastroph­e“war zu hören. Natürliche Favoriten winkten ab, aus der ersten Reihe meldete sich niemand. Vielleicht mit Ausnahme von SPD-Vize Ralf Stegner, dessen Kandidatur an der Seite der 76-jährigen Gesine Schwan aber für den meisten Spott gesorgt hat. Der Parteilink­e ist oft mit herunterge­zogenen Mundwinkel­n zu sehen. Für viele steht er damit ganz bildlich für die Krise der SPD. Den größte Schlag versetzte den Sozialdemo­kraten dann die Absage von Franziska Giffey. Auf der Familienmi­nisterin ruhten die größten Hoffnungen.

Die SPD suchte händeringe­nd nach einem großen Namen. Und laut „Spiegel“sollen sich die drei SPD-Minister Heiko Maas, Hubertus Heil und Olaf Scholz schon am Wochenende geeinigt haben. Auf eine Kandidatur von Scholz. Mögliches Kalkül: Weil die Partei in großer Not ist, könnte man ihm die Kehrtwende nachsehen. Dem ehemaligen Hamburger Bürgermeis­ter fehlt noch eine Dame an seiner Seite. Die SPD hat klargemach­t, dass sie sich eine Frau-Mann-Doppelspit­ze wünscht. Auch, wenn Einzelkand­idaturen möglich sind.

Scholz war schon einmal Parteichef. Kommissari­sch für zwei Monate, bis Nahles übernahm. Die beiden bildeten ein Tandem. Nahles’ Abgang hat ihn geschwächt. Aber Scholz gilt als begnadeter Netzwerker. Und als Pragmatike­r. Während andere Genossen am ausgeglich­enen Haushalt rütteln, verteidigt er die „schwarze Null“. Ein großer Redner ist er nicht. Er hat einen Hang zum Floskelhaf­ten. Die „Zeit“hat ihn einmal den „Scholzomat“getauft. Aber er hat Selbstvert­rauen. Als die SPD in den Umfragen schon abgestürzt war, erklärte Scholz, er traue sich das Kanzleramt durchaus zu. Das gilt auch für den SPD-Vorsitz.

Die Basis aber fremdelt mit Scholz. Auf Parteitage­n bekommt er bei der Wahl der SPD-Stellvertr­eter verlässlic­h das schlechtes­te Ergebnis. Und am Freitag ist Scholz ernst zu nehmende Konkurrenz erwachsen. Niedersach­sens Landesmini­ster Boris Pistorius und die sächsische Integratio­nsminister­in Petra Köpping kündigten ihre Bewerbung an. Sie wird dem Vernehmen nach um das Thema Sicherheit in allen Facetten kreisen. Pistorius stammt aus der Kaderschmi­ede Niedersach­sen. Viele hatten gehofft, sein Ministerpr­äsident Stephan Weil würde selbst antreten.

Einer hat noch keine Tendenzen gezeigt: Juso-Chef Kevin Kühnert. Seine Kandidatur wäre der größtmögli­che Gegensatz zu Scholz: jung, sehr links, gegen die Große Koalition. Scholz stünde für Stabilität, für Ruhe. Im Dezember ist Parteitag. Er wird die Krönungsme­sse für die nächsten SPDChefs, die im Oktober die Mitglieder bestimmen. Auf dem Parteitag könnte aber auch der Ausstieg aus der Großen Koalition beschlosse­n werden. Ein SPD-Chef Scholz wäre dann sofort beschädigt. Er gilt als einer der letzten Verteidige­r der GroKo. Falls er nicht noch eine Kehrtwende macht.

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Finanzmini­ster Olaf Scholz (61).

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