Die Presse

Warum Billie Eilish zu Recht ein Weltstar ist

Frequency. Sie kam mit grünem Haar und düsteren, aber irgendwie doch lichten Botschafte­n: Billie Eilish brachte die Originalit­ät, die bei diesem Festival rar ist.

- VON SAMIR H. KÖCK

Ein Hubschraub­er zog Kreise über dem Meer aus Menschen, noch weiter oben zogen dunkle Wolken auf. Am bedrohlich­sten aber war das Gedränge vor dem tristen Veranstalt­ungszentru­m (VAZ) im Industriev­iertel St. Pöltens. Die mittlerwei­le 18-jährige Billie Eilish war angekündig­t, die größte Sternengeb­urt im Pop seit Michael Jackson. Ihre Lieder haben mehr als zwei Milliarden Zugriffe bei den gängigen Streaming-Plattforme­n, allein auf Instagram hat sie 34,8 Millionen Follower.

Sie war die eigentlich­e Headlineri­n des heurigen Frequency. Das hat nur die Veranstalt­er überrascht. Wie sonst wäre zu erklären, dass die Festivalpl­akate die infantilen Twenty-One Pilots und die öde Swedish House Mafia als Top-Acts priesen und der Name Eilish viel weiter unten platziert war? Dabei ist sie weit mehr als ein neues Teenagerid­ol. Ihre hybriden Lieder gefallen auch Erwachsene­n. Selten begleitete­n Eltern ihre Kids so gern auf ein Festival wie an diesem Abend.

Spinnentie­re auf den Bildschirm­en

Um die Spannung vor Konzertbeg­inn zu erhöhen, krabbelten Spinnentie­rchen über die LED-Bildschirm­e. Dabei ist Arachnopho­bie noch die harmlosest­e der von Eilish kommunizie­rten Ängste. In ihren Songs geht es weniger um „Teenage Angst“als um Endzeitgef­ühle und generation­sübergreif­ende Zweifel. Neugierig blickt sie in ihren Liedern hinter Selbstvers­tändlichke­iten. Schon der Titel ihres Debütalbum­s war eine Frage von philosophi­scher Tiefe: „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“Flattert unser Bewusstsei­n nachts in ein Parallelun­iversum? Wie kann man überhaupt wach in den Schlaf fallen? Solche Fragen treiben sie um.

Zurück nach St. Pölten. Die Spinnenbei­ne auf den Bildschirm­en bewegten sich rascher, und plötzlich war sie da: die 1,61 Meter kleine Billie Eilish mit ihren überlebens­großen Gefühlen und Grübeleien. Angetan mit Spielhoser­l und Shirt des Modelabels Billionair­e Boys Club, das Superstar Pharrell Williams 2003 gegründet hat. Sozialbaum­ode fürs Luxussegme­nt. Die Hip-Hop-Kultur hat bei Eilishs musikalisc­her Sozialisat­ion eine große Rolle gespielt. Sie war Mitglied in einer ambitiösen Hip-Hop-Tanzgruppe, ehe es einen Schnalzer in ihrer Hüfte machte. Ihm verdanken wir, dass sie sich auf ihre seltsamen Lieder zu konzentrie­ren begann, die sie mit ihrem um vier Jahre älteren Bruder Finneas O’Connell komponiert.

Cool und verletzlic­h zugleich

Genau dieser spielte jetzt, weiß gekleidet, den knackigen Bass hinter der kleinen Schwester. „Bad Guy“eröffnete die Performanc­e. Elegant zwischen dumpf und hell, leise und laut irrlichter­nd. Dazu praktizier­te Eilish jene ungestümen Tomboy-Bewegungen wie schon im Video von „Bad Guy“. Die Menge war rasch auf Betriebste­mperatur. Die kollektive­n Tänze platzierte­n einen Staubfilte­r vor die Bühne. Der das Charisma Eilishs nicht verhüllen konnte: Coolness und Verletzlic­hkeit zugleich.

In ihrer Musik finden Partikel aus Emo, Jazz, Folk, Pop, Elektronik und Hip-Hop auf bislang ungehörte Art zueinander. Vor allem aber es ist der Gesang, der süchtig macht. Bald flüsterte und fiepste sie, bald brummelte und knurrte sie. Bald gab sie sich trotzig, bald entbarg sie die Romantiker­in in ihr. Schon als dritten Song sang sie mit „Idontwanna­beyouanymo­re“eine ihrer sehnsuchts­vollen Balladen. Dieser Dialog mit dem Spiegelbil­d gehört zum Wahrhaftig­sten, das Eilish bislang gelungen ist. Zeilen wie „If teardrops could be bottled, there’d be swimming pools filled by models“sind meilenweit von den gestanzt wirkenden Lyrics aktueller R&B-Songs entfernt.

Nicht nur um Mädchen, die am industriel­len Schönheits­ideal vorbeischr­ammen, kümmerte sich Eilish, sondern auch um die schlimmen. Beim groovigen „All The Good Girls Go To Hell“leckten gefährlich­e Flammen über die Bildschirm­e, beim versonnene­n „When The Party Is Over“floß dunkle Flüssigkei­t aus ihren Augen. Mit Vibrato sang Eilish die butterweic­he Ballade „Wish You Were Gay“, in der es darum ging, Zurückweis­ung zu ertragen. Es hätte ewig so weitergehe­n können. Aber die Spielzeit war mit einer Stunde gering bemessen. Zum Ausklang gab es das von einem fröhlich hüpfenden Bass angetriebe­ne „Bury A Friend“, das mit dem Quiqui kokettiert­e. „I wanna end me“, sang Eilish da. Aufgewühlt und doch irgendwie unschuldig. Die jungen Leute im Auditorium wackelten dazu wie verwirrte Ameisen.

Der Unterschie­d zu Greta Thunberg

Die Faszinatio­n, die Eilish auf die Massen ausübt, wurde schon mit der von Greta Thunberg verglichen. Doch während die junge Umweltakti­vistin in ihrem ostentativ­en Gutmensche­ntum zuweilen finster wirkt, ist es bei der Sängerin umgekehrt. Sie wickelt sich zwar großteils in düstere Klänge, aber in ihren Texten ist viel Licht zu entdecken.

Nach ihrem Abgang in St. Pölten dämmerte es. Die Britin Anne-Marie hatte es sehr schwer. Selbst an sich charmante Hits wie „Rockabye“und „Friends“hörten sich nach Eilishs Auftritt schal an. Ein Lichtblick schon am frühen Nachmittag war die amerikanis­ch-marokkanis­che Sängerin Dounia, die mit Songs wie „How I See It“ein Verspreche­n für die Zukunft abgab. Auch sie bewegt sich an den Rändern des R&B, dort, wo noch Platz für Originalit­ät ist. An der es dem Frequency-Festival seit Jahren mangelt.

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[ APA/Herbert Oczeret] Sie blickt hinter Selbstvers­tändlichke­iten: Billie Eilish beim Frequency-Festival in St. Pölten.

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