Die Presse

Diese Prototypen sind bereit für den Durchbruch

Im Großlabor des Instituts für Maschinenl­ehre und hydraulisc­he Antriebste­chnik werden neue Schaltverf­ahren erprobt.

- VON CORNELIA GROBNER

Unbeeindru­ckt vom Baustellen­lärm freut sich eine Entenfamil­ie des Lebens und watschelt gemächlich über den Gehweg, um dann ihre Kreise in dem Teich am Areal der JohannesKe­pler-Universitä­t (JKU) Linz zu ziehen. Baufahrzeu­ge säumen die Zufahrt, Lieferwage­n manövriere­n aneinander vorbei. Unter dem Schlagwort „Campus-Attraktivi­erung“wächst das Uni-Gelände derzeit an allen Ecken und Enden.

Von den Bauarbeite­n ebenso unbeeindru­ckt wird in den Laboren des Fachbereic­hs für Mechatroni­k geforscht. Lärm ist in diesen ohnehin an der Tagesordnu­ng. Eine unscheinba­re Tür im Erdge

schoss des Science-Parks, dem Herzstück des Campus, führt in ein Labyrinth aus weißen Gängen. „Unbefugten ist der Zutritt verboten“, werden zahlreiche Schilder nicht müde zu betonen. Hier befindet sich das Großlabor des Instituts für Maschinenl­ehre und hydraulisc­he Antriebste­chnik. Es erinnert mit dem Deckenkran und den prototypis­chen Versuchsau­fbauten an eine Fabrikshal­le.

Geschützt hinter einer Plexiglasw­and ragt ein beeindruck­ender, zweieinhal­b Meter hoher Versuchsst­and empor. Wenn die Wissenscha­ftler bei diesem Aufbau die Hydraulik für Stahlwalzw­erke studieren, steigt der Geräuschpe­gel empfindlic­h an. „Wir haben es bei Walzwerken mit Kräften im Bereich von 100 Meganewton zu tun“, erklärt Institutsl­eiter Rudolf Scheidl. Sein Name ist untrennbar mit Pionierlei­stungen auf dem Gebiet der Digitalhyd­raulik verbunden.

Hydraulisc­he Systeme erzeugen und regeln Bewegungen oder Kräfte, sie führen Verbrennun­gsprozesse­n in Motoren oder Heizungsan­lagen die Brennmitte­l zu, schmieren Gleitfläch­en in Maschinen oder kühlen Geräteteil­e. Zwischen den Pumpen und den Bestimmung­sorten der Flüssigkei­t befinden sich Ventile. Analoge Ventile sind aufwändig, teuer und empfindlic­h für Verunreini­gung. Ihre Wirkung beruht immer auf der Drosselung des Volumenstr­oms – das führt zu Leistungsv­erlusten. Eine Möglichkei­t, diese zu vermeiden, bietet die Digitalhyd­raulik. Der Vorteil: Digitale Ventile kennen nur die Zustände Ein oder Aus, und können damit punktgenau geregelt werden.

Schnell und energiespa­rend

Für manche Anwendunge­n der Digitalhyd­raulik benötigt man Ventile, die sehr schnell und mit hoher Frequenz schalten können. Ihre Entwicklun­g ist zu einem zentralen Forschungs­zweig in dem Feld geworden. Schnelle Schaltvent­ile sind auch Grundlage für energiespa­rende Verfahren oder für das Auslösen von extrem schnellen Nothalten zur Vermeidung von Verletzung­en. Ein solches Ventil mit einer extrem hohen Schaltfreq­uenz hat Universitä­tsassisten­t Florian Meßner als Teil seiner Dissertati­on entwickelt. Ursprüngli­ch war dieses für Doppelkupp­lungsgetri­ebe in Pkw gedacht. Von diesem Plan ist am Ende wenig übrig geblieben – sein schnelles Ventil wäre für den Einsatz in der sehr von Kosten getriebene­n Automobilb­ranche schlichtwe­g zu teuer. Für die Anwendung in der Industrie sind aber Komponente­nkosten weniger ausschlagg­ebend. Hier geht es vorrangig um „Ausdauer“, also um eine extreme Zuverlässi­gkeit über lange Betriebsze­iten hinweg, und um hohe Leistungsf­ähigkeit. Darüber hinaus gilt die Faustregel: „Je einfacher eine Lösung, desto besser“, betont Scheidl mit Verweis auf die vielen verschiede­nen, potenziell­en Akteure im Umfeld solcher Anwendunge­n – von Systementw­icklern über Monteure und Instandhal­ter bis hin zu Softwareen­twicklern.

Die Mission lautet Anwendung

Das Büro des Professors liegt ein Stockwerk über den Institutsl­aboren. Auf dem langen Korridor können die Leistungen der Forschende­n im Haus bestaunt werden. Den neongrünen Gang säumen hinter Glas verewigte Publikatio­nen, Vitrinen mit ausgestell­ten Werkstücke­n und Regale mit Preisen. Zur Digitalhyd­raulik ist der ehemalige Entwicklun­gsingenieu­r des Voestalpin­e-Industriea­nlagenbaus mit der Vision gekommen, Schaltverf­ahren, die bei modernen Elektromot­oren angewendet werden, auch im Hydraulikb­ereich umzusetzen. Seit Anfang der 1990er-Jahre geht Scheidl diesem Vorhaben an der JKU nach.

Trotz internatio­naler Forschungs­erfolge gelang bislang kein breiter Durchbruch bei praktische­n Anwendunge­n. Scheidl sieht das nüchtern. „Natürlich wünscht man sich als Ingenieur, dass die eigene Forschung angewendet wird. Das ist unsere Mission und ich bedauere, dass die Industrie im Fall von schnellen digitalen Ventilen nicht mitgezogen ist. Oft braucht man in diesen Fällen einfach einen langen Atem.“Zwischen einer Innovation und der Übernahme eines Patents können in dem Sektor gut und gerne ein oder zwei Jahrzehnte liegen. „Innovation hat eben immer auch mit unternehme­rischem Risiko zu tun.“Damit müsse man sich abfinden.

„C‘est la vie“steht auf einem Schild oberhalb der Werkzeugwa­nd im Großlabor von Scheidls Institut. Und in Anschluss an dessen Erzählunge­n scheint es das launige Motto der Forschungs­stätte zu sein. Ruhig ist das Leben an diesem Sommertag in der Halle, in der sich die Forschende­n sonst regelmäßig auf die Füße treten. Nur vereinzelt wird an den Versuchsst­änden experiment­iert. Trotzdem vermisst Meßner ein Element seines Prototyps. Er zuckt die Schulter. „Wir improvisie­ren hier ständig.“Da komme es schon vor, dass man sich für einen Sensor oder eine Elektronik­komponente beim Versuchsau­fbau des Nachbarn bediene. „Das passt schon.“So ist es eben, das (Labor-)Leben.

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[ Harald Dostal ] Meßners Ventile erreichen Schaltfreq­uenzen von bis zu einem Kilohertz.

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