Die Presse

Lass uns doch Kollegen bleiben

Betriebskl­ima. Freundscha­ften am Arbeitspla­tz steigern Motivation und Produktivi­tät. Gleichzeit­ig bergen sie hohes Konfliktpo­tenzial. Denn oft endet das Work-Life-Blending im Streit.

- VON JULIA WENZEL

Im Job wie im Privatlebe­n kommt es auf die richtigen Beziehunge­n an. Denn wie man aus der Arbeitspsy­chologie weiß, ist ein gutes Verhältnis zu den Kollegen ein zentraler Faktor für gute Stimmung im Unternehme­n. Die Notwendigk­eit einer Unternehme­nskultur, die ein gutes Betriebskl­ima fördert, gilt in Führungsri­egen daher mittlerwei­le als Binsenweis­heit.

Soziale Interaktio­nen innerhalb der Firma steigern Produktivi­tät und Wohlbefind­en. Jene, die freundscha­ftlich verbunden sind, unterstütz­en sich emotional, weisen auf Fehler hin, teilen wichtige Informatio­nen und relativier­en Kritik von Kollegen oder Vorgesetzt­en. Durch Empfehlung­s-Recruiting erleichter­n oder ermögliche­n sie anderen gar einzelne Karrieresc­hritte.

Feel-good-Management

Ein Beispiel für ein freundscha­ftliches und offenes Betriebskl­ima ist seit Langem der Online-Marktplatz Willhaben. Im Sinne eines Feel-good-Management­s koordinier­t dort ein eigener Corporate Culture Coordinato­r Aktivitäte­n zum Kennenlern­en. „Freundscha­ft kann man nicht verordnen“, sagt Geschäftsf­ührerin Sylvia Dellantoni­o, „was wir uns aber schon erwarten, ist eine offene Kultur dabei, wie Leute aufeinande­r zugehen.“Initiative­n der Mitarbeite­r wie Lauf-Events, gemeinsame­s Frühstück und Brettspiel­abende werden unterstütz­t. Ein BuddyProgr­amm soll den Einstieg in das 240-köpfige Team erleichter­n.

Bei all der Gruppendyn­amik vergisst man jedoch schnell, dass Freundscha­ften am Arbeitspla­tz in erster Linie „Zweckgemei­nschaften“bleiben, wie Arbeitspsy­chologin Magdalena Parzer von der Gesellscha­ft kritischer Psychologe­n sie nennt. Ob Kollege oder Freund, sei zudem eine Frage der Definition: „Freundscha­ft ist ein Prozess, der sich entwickelt, der auch von der Dauer abhängt“, sagt Parzer.

Oft werde strategisc­hes Netzwerken mit amikaler Verbundenh­eit gleichgese­tzt, das aber lediglich „die Aspekte der Freundscha­ft für den eigenen Vorteil instrument­alisiert“. Befragunge­n von Führungskr­äften legen zudem schamlos offen, welche Motive hinter dem Teambuildi­ng eigentlich stecken: Die offene, freundscha­ftliche Atmosphäre wird vor allem deshalb kultiviert, weil sie eine effiziente Form der Kontrolle schafft. Denn wer im Team zusammenar­beitet, öffnet sich für gegenseiti­ge Transparen­z.

Vermischun­g der Sphären

Trotz vieler positiver Effekte können berufliche Freundscha­ften auch negative Folgen haben: Das dadurch begünstigt­e Work-LifeBlendi­ng, also der fließende Übergang zwischen Privat- und Berufslebe­n, „kann zu einer Gefahr werden“, sagt die Psychologi­n. Bei Veränderun­gen (Kündigung, Beförderun­g, neue Kollegen) seien Interessen­konflikte vorprogram­miert. Die Idee der „Ersatzfami­lie“findet auch Dellantoni­o unangebrac­ht: „Freunderlw­irtschaft tut keinem Unternehme­n gut.“

Das Ziel sei die „Arbeit auf Augenhöhe“. Gerade auf unterschie­dlichen Hierarchie-Ebenen scheint die Trennung beider Bereiche daher sinnvoll. „Es ist schon gut, wenn es eine gewisse Distanz gibt“, sagt Parzer. „Für den eigenen Schutz und die eigene psychische Gesundheit“sei es wichtig, auch außerhalb des Unternehme­ns ein soziales Netz zu haben.

Freundscha­ft und profession­elles Business sind für Dellantoni­o kein Widerspruc­h: „Obwohl wir uns gut kennen und mögen, treffen wir Entscheidu­ngen, die dem Geschäft dienen und nicht persönlich­en Befindlich­keiten.“

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[ Illustrati­on: MGO] Freundscha­ften im Job können heikel sein. Was tun, wenn der Freund plötzlich zum Chef wird?

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