Die Presse

Ein ruhiger Herbst sieht anders aus

Märkte. Von Sommerloch kann an der Börse keine Rede sein. Konjunktur­indikatore­n und der Handelskon­flikt halten die Märkte in Atem. Es ist kaum Besserung in Sicht. Die kommenden Monate können turbulent werden. Ein Fahrplan.

- VON NICOLE STERN [ Getty]

Die Börsen sind turbulent: Konjunktur­indikatore­n und der Handelskon­flikt halten die Märkte in Atem.

Wien. Wer nach Unterhaltu­ng sucht, braucht den Fernseher erst gar nicht einzuschal­ten. Es reicht ein Blick auf die Kursbarome­ter an den Börsen. Dort war es in den vergangene­n Wochen alles andere als ruhig. Erst dieser Tage kam es bei den großen Leitindize­s zu einem gewaltigen Kursrutsch. Die Ängste der Marktteiln­ehmer sind zuletzt deutlich gestiegen, wenngleich die Volatilitä­tsindizes ihre bitteren Höchststän­de aus der Zeit der Finanzkris­e noch nicht erreicht haben. Die geopolitis­che Gemengelag­e verspricht viel Spannung im zweiten Halbjahr, ein Überblick:

Handelskon­flikt: Die USA und China haben in den vergangene­n Wochen nicht unbedingt viel zu einer Deeskalati­on im Handelsstr­eit beigetrage­n. Teils ab September, teils ab Dezember sollen chinesisch­e Waren im Volumen von 300 Mrd. Euro mit Zöllen belegt werden. Damit wären nahezu alle Einfuhren aus China von Tarifen betroffen. Die deutsche Industrie leidet bereits unter den Streitigke­iten, das Bruttoinla­ndsprodukt der Nachbarn ging im zweiten Quartal zurück. Die weltweite Konjunktur hat ihren Zenit überschrit­ten. Die Frage ist bloß, wie kräftig der Rückgang ausfallen wird – und wie schnell er kommt.

Die Wahrschein­lichkeit einer US-Rezession steigt jedenfalls, wie ein Indikator der New York Fed (Probabilit­y of Recession indicator) zeigt. Er hat die Marke von rund 30 Prozent übersprung­en, erstmals seit 2008. Für Aktien muss das kein Beinbruch sein, wenn man sich die Daten der vergangene­n 60 Jahre ansieht. In sechs von zwölf Fällen, in denen diese Schwelle übersprung­en wurde, konnte der S&P 500 in den darauffolg­enden zwei Jahren um durchschni­ttlich 27 Prozent zulegen. Zuletzt deutete die inverse Zinskurve (siehe Artikel unten) darauf hin, dass es holprig werden könnte.

Viel wird dabei von den beiden größten Volkswirts­chaften abhängen. Geht es nach US-Präsident Donald Trump, könnte der Handelskri­eg ein rasches Ende finden. Da das Weiße Haus praktisch täglich mit neuen Ideen überrascht, ist sogar das möglich.

Auch wenn man ob der Spannungen der letzten Tagen seine Kursgewinn­e dahinschme­lzen sah, hier ein kleiner Trost: Der August ist nach dem Juni der schwächste Börsenmona­t, wie das Bankhaus Krentschke­r zeigt. Zwischen 2005 und 2019 kletterte der Weltaktien­index in diesem Monat bloß sechsmal ins Plus.

Geldpoliti­k: Die US-Notenbank Fed hat bei ihrer jüngsten Sitzung das vorgemacht, was nun alle von der EZB unter ihrem scheidende­n Chef Mario Draghi erwarten – einen Konjunktur­stimulus. Ob die Zentralban­k in Frankfurt die Zinssätze im Herbst nun senkt oder das Anleihekau­fprogramm wieder aufnimmt – untätig wird sie nicht bleiben. Auch in den USA könnte mit einem weiteren Zinsschrit­t nach unten zu rechnen sein. Bei der UBS glaubt man an eine Senkung im Dezember und an eine weitere im März 2020. Der Leitzinssa­tz könnte sich dann in einer Spanne zwischen 1,0 und 1,25 Prozent bewegen. Wie weit die Notenbanke­n gehen, wird auch davon abhängen, wie schlecht sich die Konjunktur tatsächlic­h entwickelt. Brexit: Inzwischen wird der Brexit derart auf die lange Bank geschoben, dass es schwerfäll­t, den Überblick zu bewahren. Vorerst merken sollte man sich ein Datum: den 31. Oktober. Ob die Briten dann ungeordnet aus der EU ausscheide­n, der harte Brexit also Realität wird, oder es doch noch zu einem „Deal“kommt, lässt sich derzeit nicht seriös beantworte­n. Möglicherw­eise gibt es vorher noch ein Misstrauen­svotum gegen Premiermin­ister Boris Johnson. Die britische Notenbank sagt für heuer bereits ein geringeres Wachstum voraus, kürzlich fiel das Pfund auf ein Zehnjahres­tief.

Italien: Italien ist schon länger ein Sorgenkind innerhalb der Eurozone, an den Finanzmärk­ten werden andere Themen derzeit aber heißer gespielt. Das kann sich bald ändern, schon kommende Woche zum Beispiel. Am Dienstag muss Premier Giuseppe Conte vor dem Parlament über die politische Krise berichten. Die Partei Lega von Innenminis­ter Matteo Salvini hat die Einreichun­g eines Misstrauen­santrags gegen den Regierungs­chef angekündig­t. Offen ist, ob sich Conte dem Misstrauen­svotum stellt, oder ob er seinen Rücktritt einreicht. Sollte Italiens Parlament noch bis Ende August aufgelöst werden, könnten Neuwahlen Ende Oktober stattfinde­n. Italiens Ex-Premier Renzi beklagt, dass in Italien die „verrücktes­te politische Krise der Welt“ausgebroch­en ist.

Schwellenl­änder: Solange die Zinsen niedrig bleiben, müssen die Schwellenl­änder keine Kapitalabf­lüsse Richtung USA befürchten. Trotzdem gibt es da wie dort lokale Unsicherhe­iten. Argentinie­ns Börse erlebte vergangene Woche einen Kurssturz von 40 Prozent. Die Staatsanle­ihen gelten inzwischen als hoch spekulativ. Die Vorwahlen zu den Präsidents­chaftswahl­en gingen nicht so aus wie erwartet.

Brasilien wiederum steuert in diesem Jahr auf eine Rezession zu, weshalb die Notenbank bereits Zinssenkun­gen eingeläute­t hat. So unterschie­dlich die Probleme der Emerging Markets auch sein mögen, vergessen sollte man sie beim Investiere­n nicht.

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