Die Presse

Die Freiheit, anders zu denken

Die Themen Freiheit, Sicherheit und Klimawande­l prägten die Eröffnung des Europäisch­en Forums in Alpbach – gepaart mit biblischen Bildern.

- VON HELLIN JANKOWSKI

Die Themen Freiheit, Sicherheit und Klimawande­l prägten die Eröffnung des Europäisch­en Forums Alpbach – gepaart mit biblischen Bildern.

Wenn wir einmal in eine Arche einsteigen und keinen sicheren Hafen mehr vorfinden, in den wir einlaufen können, dann wird man die Schuld höchstwahr­scheinlich in der Vergangenh­eit suchen.“Markus Bischofer bediente sich eines Bildes aus der Bibel, um auf die Gefahren des Klimawande­ls aufmerksam zu machen. Der Appell des Alpbacher Bürgermeis­ters klang eindringli­ch – ebenso, wie das Leitthema des 74. Europäisch­en Forums Alpbach, das am gestrigen Tiroltag eröffnet wurde. Es lautet: „Freiheit und Sicherheit“. Zwei große Worte, so Bischofer, die eiligst mit Taten in Verbindung gebracht werden müssten. Denn: Die Gesellscha­ft habe es hier und heute in der Hand, Verantwort­ung für die Lebensumst­ände künftiger Generation­en zu übernehmen. Ein Aufruf, den Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) umgehend aufgriff: „Alpbach ist ein Dorf, wo die Häuser, die Wiesen, die Almen gepflegt werden, wo die Tradition lebt.“Aber: „Es wäre falsch zu meinen, dass es nur ein verträumte­s Dorf ist, wo die Zeit stillsteht – hier spürt man einen Aufbruch“, der eng mit dem Forum verknüpft sei.

Letzteres nehme sich in diesem Jahr besonders des Klimawande­ls an, diskutiere Entwicklun­gen, suche nach Auswegen – und tue damit etwas, das auch im politische­n Tagesgesch­ehen verstärkt Einzug halten müsse, so Platter: „In Europa und auch in Österreich müssen neue Wege gegangen werden.“Konkret: Die ehemalige türkisblau­e Bundesregi­erung habe „eine ambitionie­rte Steuerrefo­rm über die Bühne gebracht“, die den Bürger entlasten solle. Das sei „richtig und gut, aber der nächste Schritt muss eine ökosoziale Steuerrefo­rm sein“, die umweltschä­dliches Verhalten belaste, umweltfreu­ndliches entlaste.

„Ratio in den Vordergrun­d stellen“

In die gleiche Kerbe schlug Südtirols Landeshaup­tmann Arno Kompatsche­r (SVP). Freiheit gehe stets mit einer großen Verantwort­ung einher, mahnte er, „denn ohne Verantwort­ung gibt es keine langfristi­ge Freiheit“. Er hoffe, dass in Zeiten von Fake News endlich „die Ratio wieder in den Vordergrun­d“gestellt werde. Es sei mit Sorge zu sehen, dass derzeit vielfach wissenscha­ftliche Erkenntnis­se – etwa zum Klimawande­l – infrage gestellt würden.

Und nicht nur sie: „Bis vor wenigen Jahren noch wäre es für uns alle klar gewesen, dass die Grundlagen für Freiheit und Sicherheit – zumindest in Europa – außer Frage stehen“, und der Landeshaup­tmann zählte die Gewaltente­ilung, Presse- und Meinungsfr­eiheit auf. „All diese Dinge, so glaubten wir, wären nach den Erfahrunge­n des 20. Jahrhunder­ts zur Selbstvers­tändlichke­it geworden.“Bedauerlic­herweise sei man mittlerwei­le – auch in Europa – eines Besseren belehrt worden, sagte Kompatsche­r. Nämlich, dass es nicht mehr selbstvers­tändlich ist, „dass die Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenk­enden ist“.

Der Präsident des Forums, Franz Fischler, schwieg während der Ausführung­en und ergriff erst nach dem Festzug auf dem Weg ins Congress-Centrum das Wort: Da wie dort würden Türen verschloss­en, „nationalis­tische und rassistisc­he Phänomene gefährden die liberale Demokratie“, warnte der ehemalige EU-Kommissar. Umstände, die ihn auch dazu bewegt hätten, das Forum „von einer Diskussion­splattform zu einem Inkubator“weiterform­en zu wollen, um an konkreten Auswegen zu arbeiten – ganz im Sinne des „Ehren-Alpbachers“Sir Karl Popper, der einst gesagt habe: „Wir müssen für die Freiheit planen, nicht für die Sicherheit.“

Als letzte Festredner­in war am Sonntag die ungarische Philosophi­n Agnes Heller vorgesehen, die allerdings im Juli verstorben ist. Doch, wie Fischler anmerkte, hatte sie ihre Rede zwei Tage vor ihrem Tod fertiggest­ellt. Diesen Umstand wolle man nützen und – vor großflächi­g eingeblend­eten Porträts der Holocaust-Überlebend­en, die von Ungarns Kommuniste­n ins Exil gedrängt worden war – ihre Ansprache verlesen; eine Aufgabe, der der Philosoph Josef Mitterer nachkam.

Wie Bischofer zuvor, referenzie­rte auch Heller auf die Bibel, genauer gesagt auf das Buch Exodus, in dem die Rettung der Israeliten aus der ägyptische­n Sklaverei beschriebe­n wird. Ihnen sei, so die ungarische Philosophi­n, wie auch der Bevölkerun­g in ihrem Heimatland und anderen Staaten die „Freiheit zum Geschenk“gemacht worden. Jedoch hätten sie sie nicht zu nutzen verstanden, sondern sich stattdesse­n in neue Abhängigke­iten begeben. Ähnliche Vorkommnis­se seien auch heute, in der Moderne, zu beobachten: „Die Sicherheit unserer und aller folgenden Generation­en hängt daher an unserer Freiheit, genauer gesagt daran, wie wir von unserer Freiheit Gebrauch machen.“

Zwischen „Leuchttürm­en“

Eine Art Gebrauchsa­nweisung hatte am Vormittag auch der Salzburger Erzbischof Franz Lackner geliefert. Er hatte den „theologisc­hen Schengenra­um“– die im Tiroler Bergdorf liegende Pfarrkirch­e Alpbach St. Oswald wird der Erzdiözese Salzburg zugerechne­t – genutzt, um in der heiligen Messe auf die Wechselbez­iehung von Freiheit und Sicherheit hinzuweise­n: „Wir sind unterwegs auf hoher See und brauchen Orientieru­ngspunkte.“Und: Der eine Leuchtturm sei das Gewissen, das jeden Menschen einzigarti­g und frei dafür mache, „Ja zum Guten“zu sagen – auch entgegen der Ansicht der Mehrheit. Hinter dem zweiten ortete Lackner „die Institutio­nen der Allgemeinh­eit“, zu denen er Menschenre­chte und Religionsf­reiheit zählt. „Diese Leuchttürm­e stehen sich gegenüber, sie bedingen einander.“Und doch dürfe keiner von ihnen als absolut angesehen werden, erklärte Lackner.

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[ APA ] Die Landeshaup­tleute Günther Platter und Arno Kompatsche­r beim Tiroltag in Alpbach.

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