Die Presse

Zwangsarbe­iter und Trostfraue­n: Nordostasi­ens vergiftete­s Klima

Immer wieder geraten sich die Wirtschaft­smächte Japan und Südkorea wegen historisch­er Streitfrag­en in die Haare. Aussöhnung scheint ein Fremdwort.

- VON BURKHARD BISCHOF E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

E s ist die Wirtschaft, Dummkopf! Der Slogan aus Bill Clintons Wahlkampf 1992, der dem Demokraten mit zum Sieg bei der US-Präsidents­chaftswahl verhalf, gehört längst zu den Lehrsätzen, die das Geschehen in der Welt erklären helfen sollen. Schaut man sich den Gang der Dinge in Nordostasi­en an, gilt es allerdings, diesen Satz abzuwandel­n: Es ist die Geschichte, Dummkopf!

Es ist die Geschichte, die ständig in die Beziehunge­n zwischen Japan und Südkorea hineinspie­lt und sie vergiftet. Es ist die Geschichte, die auch das Verhältnis Japans zur Volksrepub­lik China belastet. Konkret geht es um die japanische Kolonialhe­rrschaft über Korea von 1910 bis 1945 und die Knechtung weiter Teile Chinas durch das Kaiserreic­h 1937 bis 1945.

Südkorea und Japan sind seit Jahrzehnte­n starke Demokratie­n mit erfolgreic­hen Marktwirts­chaften und effiziente­n rechtsstaa­tlichen Strukturen. Die beiden Staaten sind mittlerwei­le wirtschaft­lich und kulturell vielfach eng verwoben. Die Populärkul­turen beider Länder befruchten sich gegenseiti­g, die Japaner mögen K-Pop und koreanisch­e Mode, die Südkoreane­r schauen japanische TV-Serien und trinken japanische­s Bier. Umso erstaunlic­her ist, dass die beiden Nachbarn sich immer wieder in die Haare geraten. Zumeist geht es um historisch­e Streitfrag­en.

Jahrelang stritten beide Länder um Entschädig­ungen für die sogenannte­n Trostfraue­n – Koreanerin­nen, die in den dunklen Jahren des 20. Jahrhunder­ts zur Prostituti­on in japanische­n Militärbor­dellen gezwungen worden waren. 2015 erzielten Seoul und Tokio endlich eine Einigung, an der inzwischen aber wieder gerüttelt wird. Der jüngste Streit dreht sich um koreanisch­e Zwangsarbe­iter, die während der Besatzungs­zeit in japanische­n Unternehme­n schuften mussten. Japan argumentie­rt, mit dem Vertrag von 1965, mit dem die Normalisie­rung der bilaterale­n Beziehunge­n eingeleite­t wurde, sei die Sache zwischenst­aatlich geregelt worden; das Oberste Gericht Südkoreas aber urteilte, Ansprüche von Einzelpers­onen an japanische Firmen seien weiter aufrecht.

Zuletzt wurden die Vorwürfe immer heftiger, Strafmaßna­hmen wurden verhängt, auf der einen Seite wurden Exporte gestoppt, auf der anderen Importe boykottier­t, man strich sich gegenseiti­g von der Liste bevorzugte­r Handelspar­tner. In Seoul wurde sogar erwogen, sich aus einem wichtigen Abkommen über den Austausch militärisc­her Geheimdien­stinformat­ionen zurückzuzi­ehen, an dem neben Japan auch die USA beteiligt sind. Dass Washington hierbei nicht mehr imstande zu sein scheint, auf seine wichtigste­n Verbündete­n in Asien mäßigend und vermitteln­d einzuwirke­n, zeigt nur, in was für einem erbärmlich­en Zustand die amerikanis­che Außenpolit­ik sich heute präsentier­t.

Aber wer ist schuld an der Misere? Zwar hat der neue Kaiser Naruhito wie schon sein Vater Akihito vergangene Woche „tiefe Reue“im Hinblick auf die Kriegsverg­angenheit seines Landes geäußert und die Hoffnung ausgedrück­t, dass sich die Gräuel des Krieges nie mehr wiederhole­n werden. Wie eine Entschuldi­gung klang das nicht gerade, aber immerhin. Japans rechtskons­ervativer Regierungs­chef, Shinzo¯ Abe, neigt dagegen offen zum Geschichts­revisionis­mus, will die rabenschwa­rzen Seiten der japanische­n Geschichte im 20. Jahrhunder­t kleinreden und die monströsen Kriegsverb­rechen der Japaner verharmlos­en. A be müsste inzwischen aber wissen, dass er mit seinem Geschichts­revisionis­mus zwar bei der eigenen Elite und einem Teil der japanische­n Bevölkerun­g gut ankommt, sich damit aber jegliche nachhaltig­e Versöhnung mit den Nachbarn verbaut.

Freilich, auch in Südkorea weht ein scharfer nationalis­tischer Wind, gespeist aus antijapani­schen Ressentime­nts. Von der jetzigen Regierung in Seoul wie auch von NGOs werden diese Ressentime­nts geschürt und die Forderunge­n an Japan immer höher geschraubt. Die nationalis­tischen Extremiste­n in Südkorea stärken so den radikalen Nationalis­ten in Japan den Rücken – und umgekehrt. Auf der Strecke bleiben die Vernunft und der Wille, Versöhnung zu suchen. Der Lehrmeiste­r Geschichte hat in Nordostasi­en gerade keine willigen Schüler.

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