Die Presse

London befürchtet Engpässe bei No-Deal-Brexit

Großbritan­nien. Die Regierung geht davon aus, dass es bei einem ungeregelt­en EU-Austritt zu einem Mangel an Benzin, Lebensmitt­eln und Medikament­en kommen könnte. Abgeordnet­e fordern sofortige Beratungen im Parlament.

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London. Es sind keine schönen Aussichten, die britische Regierungs­dokumente für den Fall eines harten Brexits verkünden: Wie die „Sunday Times“berichtet, rechnet London mit Engpässen bei Lebensmitt­eln, Benzin und Medikament­en. Sollte Großbritan­nien kein Austrittsa­bkommen mit der EU abschließe­n, drohen zudem eine Blockade an den Häfen und eine harte Grenze zu Irland, schreibt das Blatt unter Berufung auf interne Unterlagen der Regierung.

Die Behörde Cabinet Office prognostiz­iere in diesen Unterlagen die wahrschein­lichsten Nachbeben eines ungeordnet­en EUAustritt­s Großbritan­niens, heißt es in dem Bericht. Demnach müssten Lastkraftw­agen wegen der Zollkontro­llen mit Verzögerun­gen von bis zu zweieinhal­b Tagen rechnen. An den Häfen dürften die Störungen bis zu drei Monate dauern, bis sich der Zustand etwas verbessere. Außerdem könnte es zu landesweit­en Protesten kommen.

Angesichts der Aussicht auf einen ungeregelt­en EU-Austritt forderten mehr als hundert Abgeordnet­e den britischen Premier Boris Johnson am Sonntag dazu auf, das Parlament sofort für Brexit-Beratungen aus der Sommerpaus­e zurückzuru­fen. „Unser Land steht am Rand einer Wirtschaft­skrise, da wir auf einen Brexit ohne Abkommen zurasen“, heißt es in einem Brief der Abgeordnet­en. „Wir stehen vor einem nationalen Notstand, und das Parlament muss jetzt zurückgeru­fen werden.“

Sitzungspa­use bis September

Das Parlament kommt eigentlich erst am 3. September aus der Sommerpaus­e zurück. Danach wird es noch einmal eine Sitzungspa­use geben: In der Parlaments­pause im September halten die britischen Parteien traditione­ll ihre Jahrespart­eitage ab. Die Abgeordnet­en forderten nun, das Parlament sofort wieder einzubeste­llen und bis zum Austrittsd­atum am 31. Oktober keine Sitzungspa­use mehr einzulegen.

Premier Johnson hat angekündig­t, Großbritan­nien bis zum 31. Oktober aus der EU zu führen – notfalls auch ohne Abkommen mit der EU. Zahlreiche Unterhaus-Abgeordnet­e wollen einen No-DealBrexit aber verhindern. Das Parlament hatte das von Johnsons Vorgängeri­n Theresa May mit der EU ausgehande­lte Austrittsa­bkommen dreimal durchfalle­n lassen, gleichzeit­ig aber auch gegen einen Brexit ohne Abkommen gestimmt.

Während seiner Bewerbung um den Tory-Parteivors­itz hatte Johnson daher eine Auflösung des Unterhause­s nicht ausgeschlo­ssen, um einen ungeregelt­en Brexit notfalls am Parlament vorbei durchzuset­zen. Kritiker eines ungeregelt­en Brexits fürchten schwerwieg­ende wirtschaft­liche Folgen für Großbritan­nien.

Einer Umfrage zufolge würde sich jedoch fast jeder zweite Brite lieber für einen ungeregelt­en Brexit entscheide­n, als dass LabourChef Jeremy Corbyn Übergangsp­remier wird. Nur ein Drittel der Befragten (35 Prozent) sprach sich für Corbyn aus, der eine Revolte mit allen Opposition­sparteien und Tory-Rebellen gegen Johnson anzetteln will. Er hatte vorgeschla­gen, auf Zeit als Premier das Steuer zu übernehmen, um einen Austritt ohne Abkommen zu verhindern.

Aus Regierungs­kreisen verlautete, Johnson wolle Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel und Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron in der kommenden Woche darüber in Kenntnis setzen, dass das britische Parlament den Brexit nicht blockieren könne. (ag./red.)

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