Ökonomen wollen Konjunkturspritze
Deutschland. Die Bundesrepublik müsse angesichts der schwachen Wirtschaftslage Geld für Investitionen lockermachen, fordern deutsche Ökonomen. Und der Schuldenbremse ade sagen.
Was die deutschen Wirtschaftsindikatoren Woche für Woche und Monat für Monat andeuten, hat sich kürzlich bestätigt: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bundesrepublik schrumpfte im heurigen Frühjahr um 0,1 Prozent. Damit sich ein solches Szenario nicht auch im laufenden Vierteljahr wiederholt, fordern deutsche Topökonomen die Bundesregierung nun zum Handeln auf, kurz gesagt: zu Konjunkturhilfen.
„Die gegenwärtige Haltung, abzuwarten, zu schauen, was passiert, und darauf zu beharren, dass alles nicht so schlimm ist, das ist der falsche Ansatz“, so Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gegenüber der „Welt am Sonntag“. Er verlangt von der Politik, „schnell und massiv“zu reagieren; das Drohgespenst Rezession steht vor der Tür. Fratzscher plädiert für staatliche Konjunkturspritzen, etwa in den Bereichen Sozialwohnungen, erneuerbare Energien, Bildung und Infrastruktur. Bund, Länder und Kommunen sollten dafür jährlich einen zusätzlichen Betrag von 30 Mrd. Euro investieren. Und das für einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren.
Fratzscher ist mit seinem Anliegen in guter Gesellschaft. Auch Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln hatte jüngst Pläne für ein ähnliches Investitionsprogramm vorgelegt, wenngleich er keine Notwendigkeit für ein Konjunkturprogramm sieht. 450 Mrd. Euro sollte die Regierung auf Sicht von zehn Jahren in einen Fonds stecken, um Digitalisierung und den Klimawandel zu meistern. Für solch ein Paket müsste der Staat allerdings neue Schulden machen.
Clemens Fuest wiederum, der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, will Unternehmen und Bürger steuerlich entlastet sehen. Auch die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 90 Prozent der Steuerzahler solle um ein Jahr auf 2020 vorgezogen werden. Der Zuschlag ist 1991 eingeführt worden, er beträgt seit vielen Jahren 5,5 Prozent der Einkommens- bzw. Körperschaftssteuer. Geld, das ins Bundesbudget fließt.
Kommt ein Kurswechsel?
Informationen des „Spiegel“zufolge, zeigen sich Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz durchaus bereit, die schwarze Null im Bundeshaushalt zu opfern, wenn es zu einer Rezession käme. Zumindest wollen das Quellen aus Kanzleramt und Finanzministerium wissen. Am Sonntag verwies Scholz auf die Verschuldung Deutschlands, die im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung bei unter 60 Prozent liege. „Dann ist das die Kraft, die wir haben, um in einer Krise voll gegenzuhalten“, so der SPD-Vizekanzler.
Deutschland gelang es 2018, zum bereits fünften Mal in Folge, einen Rekordüberschuss zu erzielen. Dieser belief sich auf 1,7 Prozent des BIP. Unterm Strich nahm die öffentliche Hand um rund 59 Mrd. Euro mehr ein, als sie ausgab. Sowohl im laufenden, als auch im kommenden Jahr will die Bundesrepublik, zumindest offiziell, noch ohne neue Schulden auskommen.
Deutschland hat im Jahr 2016 die sogenannte Schuldenbremse, eingeführt, für die Länder gilt die ins Grundgesetz geschriebene Regel ab 2020. „Die Schuldenbremse ist unsinnig und schadet Deutschland“, lautet Fratzschers derzeitige Einschätzung dazu. Auch Hüther vom IW Köln sieht die Zeit der Abkehr gekommen. „Die Schuldenbremse ist nicht mehr zielführend, denn die Bedingungen haben sich geändert.“Investiere man jetzt nicht, belaste man nicht nur die jetzige Generation, sondern bürde der künftigen einen hohen Investitionsbedarf auf. Merkel hatte sich zuletzt noch für die Schuldenbremse starkgemacht. (Ag./nst)