Warum die Anleihen dem Aktienmarkt solche Angst einjagen
Die Anleiherenditen haben ein gefährliches, aber erwartetes Signal ausgesandt. Die Märkte haben heftig reagiert, was zeigt, wie nervös sie sind. Es gibt Anzeichen, dass wir in ganz und gar nicht normalen Zeiten leben.
Am vergangenen Mittwoch ist etwas passiert, vor dem sich die Märkte seit Jahren fürchten. Die Rendite zehnjähriger USStaatsanleihen ist – vorübergehend – unter jene zweijähriger Papiere gefallen. Das gilt als verlässlicher Vorankünder einer Rezession. Und Rezessionen gehen oft mit Bärenmärkten an den Börsen (Rückgang um mehr als 20 Prozent) einher.
Doch warum sollte das Verhältnis der Renditen zehn- und zweijähriger Treasuries überhaupt jemanden kratzen? Das ist schnell erklärt: In normalen Zeiten bekommt man für zehnjährige Anleihen höhere jährliche Renditen als für zweijährige, da man ja länger auf sein Geld verzichten muss und in dieser längeren Zeit viel passieren kann (der Schuldner könnte pleitegehen). Dieses größere Risiko wird mit höheren Renditen belohnt.
Wenn die Rendite zweijähriger Anleihen hingegen höher ist als die zehnjähriger, bedeutet das, dass wir in ganz und gar nicht normalen Zeiten leben. Die Anleger rechnen mit noch weiter fallenden Zinsen und wollen ihr Geld lieber langfristig zu noch halbwegs hohen Renditen anlegen. Also kaufen sie zehnjährige Anleihen, was zur Folge hat, dass deren Kurse steigen und die Rendite fällt. Die Kurzläufer meiden sie trotz höherer Renditen, weil sie fürchten, dass die Zinsen bei deren Auslaufen (also in zwei Jahren) geringer sind als jetzt und sich dann keine günstigen Anlagemöglichkeiten mehr bieten.
Das ist jetzt der Fall. Doch wie verlässlich ist dieser Indikator? In den vergangenen 30 Jahren drehte die Differenz zwischen zehn- und zweijährigen Anleihen dreimal in den negativen Bereich: Ende 1988, Anfang 2000 und Anfang 2006. Kurz danach kletterte der US-Aktienindex S&P 500 zunächst auf ein Rekordhoch, um von diesem weg in einen Bärenmarkt zu fallen. Der war zweimal wirklich schlimm (Platzen der Dotcom-Blase ab 2000 und Finanzkrise 2008/2009), einmal aber nur sehr kurz und moderat (1990). Eine fast so schlimme Delle gab es auch 2011 und 2018, ohne dass davor die Zinsstrukturkurve invers geworden wäre. Auch der schwere Absturz im Jahr 1987 passierte aus heiterem Himmel und ohne Vorankündigung durch den Anleihemarkt.
Diesmal, so meinen einige Marktteilnehmer, sage die inverse Zinskurve gar nichts aus, da die Notenbanken durch ihr Gelddrucken den Markt verzerrt haben. Und um zu erkennen, dass das Weltwirtschaftswachstum momentan etwas abflaut, braucht man keine Zinsstrukturkurve, das zeichnet sich schon länger ab.
Doch warum haben die Märkte vergangene Woche so entsetzt auf etwas durchaus Erwartetes reagiert? Der Grund ist, dass sie wieder einmal hoch nervös sind. Das zeigt der Volatilitätsindex VIX, der die impliziten (erwarteten) Kursschwankungen des
S&P 500 misst und als „Angstindikator“gilt. Der ist dieser Tage wieder auf einen Wert hochgeschnellt, den er zuletzt Ende des Vorjahres innehatte, als Konjunkturängste und Handelskrieg die Märkte dominiert haben – also die gleichen Themen wie jetzt.
Eine hohe Nervosität ist grundsätzlich kein ganz schlechtes Zeichen, bedeutet sie doch, dass einige Marktteilnehmer schon abgesprungen sind und ganz gewiss keine Blase mehr vorliegt, die zu platzen droht.
Doch zeichnet sich eine Trendwende ab: In den vergangenen Jahren haben die Märkte wiederholt auf überraschende und Unsicherheit verheißende Ereignisse wie die Brexit-Abstimmung oder die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten völlig gelassen reagiert. Diese Zeiten sind vorbei. Jetzt reagieren sie auf unerfreuliche Ereignisse, auch wenn diese noch so erwartet sind, hoch nervös. Und einige solcher Ereignisse könnten bevorstehen, etwa ein harter Brexit.