Warum der ATX schon wieder nachhinkt
Aktien. Der österreichische Leitindex ist sehr banken- und industrielastig. Doch jene sicheren Häfen, in die Anleger in Krisenzeiten gern fliehen, sind unterrepräsentiert. So gibt es keine Pharmatitel oder Konsumgüterwerte im ATX.
Wien. Bis dato war heuer ein relativ gutes Jahr für österreichische Aktien. Der ATX ist seit Jahresbeginn um fast vier Prozent gestiegen. Das verdankt der Index aber vor allem der guten Performance im ersten Quartal. Seit April schwächelt er. Zudem ist er wieder hinter dem gesamteuropäischen Markt (der Euro Stoxx 50 stieg um zehn Prozent) und dem DAX (plus neun Prozent) zurückgeblieben. Das hat viele Ursachen. Eine ist, dass der DAX ein Performanceindex ist, in den auch Dividenden einberechnet werden. Doch selbst, wenn man das nicht tut, wäre der DAX heuer um sechs Prozent gestiegen und damit stärker als der ATX.
Keine Trikots, kein Bier
Die zweite Ursache ist die Zusammensetzung des heimischen Leitindex. Es mangelt an „defensiven“Aktien aus dem Konsumgüter- oder Pharmabereich. Stärkster DAX-Wert war heuer der Sportartikelhersteller Adidas, der um 41 Prozent zulegen konnte; im Euro Stoxx 50 schlug sich der Brauerei-Konzern Anheuser-Busch InBev mit einem Plus von 48 Prozent besonders gut. Vergleichbare Unternehmen gibt es im ATX nicht. „Defensive“Aktien halten sich in unsicheren Zeiten relativ gut.
Beim ATX stehen heuer Versorgeraktien (Verbund) und Immobilienwerte (S-Immo, Immofinanz und CA Immo) auf dem Kurszettel ganz oben. Das reicht aber nicht aus, um den Index deutlich nach oben zu ziehen. Die Banken, eine im ATX ebenfalls stark gewichtete Branche, entwickelten sich unterschiedlich: Die Raiffeisen Bank International und die Bawag haben heuer verloren, während die Erste Group zulegen konnte. Stark im Minus liegen dagegen Industriewerte, die unter der Angst vor einer Abschwächung der weltweiten Konjunktur angesichts des Handelsstreits leiden: Der Luftfahrtzulieferer FACC, der Anlagenbauer Andritz und die Voestalpine haben seit Anfang Jänner mehr als ein Fünftel verloren. Die Konjunktur hat sich nämlich unerwartet rasch verschlechtert, was sich etwa in der Entwicklung der Voestalpine-Aktie widerspiegelt: Dem Unternehmen machen hohe Eisenerzpreise, vor allem aber die Schwäche der Autoindustrie, einem wichtigen Abnehmer, zu schaffen. Hatten die Analysten vor einem Jahr für das jetzt laufende Geschäftsjahr 2019/20 im Schnitt noch mit einem Gewinn von 4,5 Euro pro Aktie gerechnet, so sind es jetzt nur noch 1,73 Euro. Das beunruhigt den Markt sehr, obwohl es laut den Analystenschätzungen in den Folgejahren mit dem Gewinn bergauf gehen soll und die Voestalpine-Aktie mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von zwölf und einer Dividendenrendite von mehr als fünf Prozent nicht wirklich teuer zu sein scheint. Das sehen auch die Analysten so, die im Schnitt ein Kursziel von 25 Euro sehen, was um 30 Prozent über dem jüngsten Kurs liegt.
Aktien sehr billig
Der gesamte ATX weist derzeit ein KGV von weniger als zehn und eine Dividendenrendite von vier Prozent auf. Zum Vergleich: Im Euro Stoxx 50 beträgt das KGV 17, im DAX 19. Sollte es mit der Konjunktur doch nicht so schlimm kommen, wie viele befürchten, hätten wohl viele ATXAktien Aufholpotenzial.
Die Analysten sehen solches gerade bei jenen Papieren, die besonders stark abgestürzt sind: Der FACC billigen sie ein Kurspotenzial von 72 Prozent zu, auch beim Ölfeldausrüster Schoeller-Bleckmann, beim Leiterplattenhersteller AT&S und beim Anlagenbauer Andritz sehen sie ein Aufholpotenzial von über 50 Prozent, wie Bloomberg-Daten zeigen. Doch besteht die Gefahr, dass weitere schlechte Nachrichten von der Konjunktur die Analysten veranlassen könnten, ihre Kursziele zu senken.
Schlechte Nachrichten in Sachen Konjunktur, Handelskrieg und Brexit dürften zudem dazu führen, dass die Anleger lieber sichere Häfen aufsuchen: große Unternehmen aus den Branchen Konsumgüter und Pharma, auch wenn diese verglichen mit den ATX-Werten sehr teuer sind.