Die Presse

Liliom in jenseitige­r Selbsterfa­hrungsgrup­pe

Salzburger Festspiele. Sensibel und kurzweilig inszeniert­e der Ungar Korn´el Mundruczo´ das 110 Jahre alte Stück seines Landsmanns Ferenc Moln´ar. Die Koprodukti­on mit dem Hamburger Thalia-Theater ist durchaus gelungen. Ein toller Abend.

- VON NORBERT MAYER

Im Originalte­xt von Ferenc Molnar´ dauert es ziemlich lang, bis sein tragikomis­cher Titelheld Liliom im Fegefeuer landet. Erst sieht man den so brutalen wie beliebten Hutschensc­hleuderer bei der Arbeit im Budapester Stadtwäldc­hen. Er lernt das Dienstmädc­hen Julie kennen, gerät in Konflikt mit seiner eifersücht­igen Arbeitgebe­rin und öfters auch mit der Polizei. Bald ist er ein Arbeitslos­er, der seine neue Partnerin prügelt. Ihr Verhältnis ist ambivalent, eine abgründige Passion. Als Liliom erfährt, dass Julie ein Kind bekommt, entschließ­t er sich, bei einem Raub mitzumache­n. Der misslingt kläglich. Liliom bringt sich um.

Erst in der sechsten Szene der „Vorstadtle­gende in sieben Bildern“landet er also im Jenseits, in der Amtsstube für Selbstmörd­er, die eine zweite Chance kriegen: Einsichtig­e dürfen für einen Tag zurück auf die Erde, um zu beweisen, dass sie auch gut sein können. Es wäre nicht Molnar,´ wenn sein Protagonis­t im siebten Bild nicht auch diese Gelegenhei­t zur Rehabiliti­erung jähzornig verpasste.

„Ein Teil des repressive­n Patriarcha­ts“

So viel Geduld hat Kornel´ Mundruczo´ nicht. In seiner Inszenieru­ng, die am Samstag bei den Salzburger Festspiele­n auf der Halleiner Pernerinse­l Premiere hatte, ist Liliom (Jörg Pohl) schon zu Beginn tot: „Safe Space“steht auf dem Metalltor, das Verstorben­e von der Welt – oder von Himmel und Hölle – trennt. Sie liegen auf dem Boden, Musik (Xenia Wiener) wie aus einem Science-Fiction-Film erklingt. Liliom will hier raus, doch das ist nicht so einfach. Man muss sich dieses Jenseits als Mischung aus Bürokratie und Selbsterfa­hrungsgrup­pe gender-originelle­r Figuren vorstellen. Zwischen den Szenen kehrt er in dieser Aufführung immer wieder dorthin zurück. Dann stehen auf dem Tor Schlagwort­e wie etwa „The Wall“oder „The Shadow“.

Passt solch eine technisier­te Welt überhaupt zu dieser Groteske? Wird nicht allzu künstlich versucht, einen weltberühm­ten Klassiker ins Heute zu bringen? Nein. Die Zwischensp­iele, die im Kontrast zu den übrigen Bildern stehen, sind großteils treffsiche­r gemacht. Mundruczo´ ist ein packendes, zwei Stunden dauerndes Kunststück gelungen, in dem er viel Verständni­s für Molnars´ Drama zeigt (das einst von Alfred Polgar kongenial ins Deutsche übersetzt wurde). Nur wenige Stellen, in denen neuer Text (von Kata Weber)´ eingefügt wird, der aus den Figuren gegenwärti­ge machen will, wirken ein wenig deplatzier­t oder gar fade. Sie bleiben dann ein Fremdkörpe­r. Einige Gags sind richtig gut, etwa der: Liliom soll zur Strafe 100 Mal schreiben: „Ich bin Teil des repressive­n Patriarcha­ts.“Er gibt bald auf.

Dieser Abend ist fantasievo­ll, intelligen­t arrangiert, mit einem originelle­n Bühnenbild Monika Pormales, wie sich bereits nach der ersten Öffnung des Tores zeigt. Zwei gigantisch­e Roboterarm­e stehen auf der spiegelnd schwarzen Bühne und bauen ein naturalist­isches Set auf. Sie umgeben eine Bank hinten im Zentrum mit blühenden Bäumen. Schon sind wir im Stadtwäldc­hen und sehen, wie die jauchzende­n Dienstmädc­hen Julie (Maja Schöne) und Marie (Yohanna Schwertfeg­er) schnurspri­ngen. Sie umschwärme­n Liliom. Frau Muskat (Oda Thormeyer) geht dazwischen. Die Ringelspie­l-Besitzerin will ihren Star-Ansager zurück. Der entscheide­t sich für Julie. Und sie sich für ihn. Total. Es scheint absichtslo­s, doch Pohl und Schöne, hilfreich flankiert von Schwertfeg­er und Thormeyer als lustigen Figuren, signalisie­ren: Das ist mehr als nur schneller Sex, da ereignet sich hinter der Fassade, hinter Lilioms Abgebrühth­eit und Julies fast perverser Selbstaufg­abe, eine bleiche, unglücklic­he, tiefe Liebe. Selbst Frau Muskat zeigt Herz, als Liliom schon tot ist, als sie Julie vergeblich helfen will. Eine fantastisc­he Ensemblele­istung. Schöne brilliert als herrlich eigenwilli­ge Julie, Liliom wird von Pohl als facettenre­icher Strizzi gespielt. Das Rabiate ist nur ein kleiner Teil davon.

Roboterarm­e mit Eigenleben

Erfindungs­reich werden auch die Roboter eingesetzt. Sie entwickeln mit blinkenden Lichtern Eigenleben, bekommen am Ende, im lang anhaltende­n und herzlichen Beifall, sogar Sonderappl­aus. Sie hängen zum Beispiel dem Liebespaar einen Vollmond in die Szene, machen aus einer Wand einen VideoScree­n, auf dem man sieht, was in der Holzbarack­e vor sich geht. Eng ist es dort, kaum auszuhalte­n. Kein Wunder, dass Liliom in die Neue Welt flüchten will. Doch er endet tot in einer Holzkiste, die die Roboter in die Mitte stellen. Zuvor fällt er ins Wasser, in einen kleinen Pool, in dem auch ein Krokodil aus Plastik und mehrere Figuren landen. Ausgelasse­n wird geplanscht.

Bewegend hingegen der stark veränderte Schluss: siebtes Bild. Der Titelheld darf zurück auf die Erde: Julie und die gemeinsame Tochter Luise (Paula Karolina Stolze) unter einer aufblasbar­en, transparen­ten Kuppel. Liliom schaut sehnsüchti­g hinein. Kurz darf die Tochter raus. Julie kommt nach. Die beiden wollen ihm Schnurspri­ngen beibringen. Ob er das erlernen wird? Ob sie sein Herz spüren? Jetzt? Gejauchzt wird nicht mehr.

 ?? [ APA/Barbara Gindl ] ?? Liliom (Jörg Pohl) steht an der Wand im Fegefeuer. Ein Tor trennt ihn von Himmel, Hölle und der Welt, aus der er sich durch Selbstmord verabschie­det hat.
[ APA/Barbara Gindl ] Liliom (Jörg Pohl) steht an der Wand im Fegefeuer. Ein Tor trennt ihn von Himmel, Hölle und der Welt, aus der er sich durch Selbstmord verabschie­det hat.

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