Die Presse

Musikalisc­he Sommerspri­tzer gibt es nur ausnahmswe­ise

Warum sollte man sich nicht ausgerechn­et im Urlaub, wenn man endlich Zeit fürs Außergewöh­nliche findet, mit „Unerhörtem“beschäftig­en? Wer Romantik sagt, muss auch Avantgarde sagen!

- VON WILHELM SINKOVICZ ZWISCHEN TÖNE E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Man kann ja auch zu einem der gar nicht so wenigen Operettenf­estivals fahren. Dort sind Walzerrhyt­hmen und Melodienza­uber jedenfalls inklusive. Was die „großen“Festivals anlangt, da muss der Besucher schon auch mit einem gerüttelt Maß an pädagogisc­her Fürsorge rechnen. Ohne die gibt es heutzutage keine Subvention­en mehr.

Jedenfalls reagierten einige Gäste beim diesjährig­en Auftakt zum Festival von Grafenegg überrascht, als es auch nach der eigens neu komponier

ten Festfanfar­e nicht nur wohlig-lauschig zuging. Dabei versichert Intendant Rudolf Buchbinder, dass die Musiker unter seiner Führung sicher an kein Motto gebunden würden, sondern alle spielen dürften, was ihnen am ehesten behagte. Das ergab zumindest im diesjährig­en Grafenegge­r Repertoire manch spannende Einsicht in Regionen, die man hierzuland­e gar nicht so gut kennt.

So wird der Wolkenturm zum Dorado für Musikentde­cker. Die junge Chefdirige­ntin von Simon Rattles einstigem Orchester aus Birmingham bringt neben Mahler auch Werke aus England mit, von Oliver Knussen und Benjamin Britten (29. August); Frank Peter Zimmermann­s Auftritt mit dem Ersten Prokofieff-Violinkonz­ert wird einbegleit­et von einer Orchesters­uite des Chinesen Qigang Chen (25. August); Pianist Piotr Anderszews­ki spielt zwei Mozart-Konzerte, umrahmt von Aufführung­en von Werken Erik Saties und Francis Poulencs – dessen „Sinfoniett­a“übrigens wirklich eine Entdeckung­sreise wert ist (25. August, 11 Uhr)!

Für pure Beethoven-Schwerpunk­te sorgt schon Festspiel-Chef Buchbinder selbst. Und wer da meint, nur in Grafenegg seien die internatio­nalen Klassikint­erpreten auf dem Erkundungs­trip, der muss seinen Blick nur ein wenig in Richtung Westen schweifen lassen. In Salzburg wartet man ja erstmals seit Karajans Tagen wieder sehnsüchti­g auf das jährliche Gastspiel der Berliner Philharmon­iker. Jetzt, wo Kirill Petrenko offiziell sein Amt als Chefdirige­nt antritt, rechnet man ja wieder mit interpreta­torischen Außerorden­tlichkeite­n. Und die beziehen sich bei diesem Maestro niemals nur auf den Klassik-Mainstream. Zwar erlebt man am 25. August Beethovens Neunte im Festspielh­aus, aber begleitet von Alban Bergs „Lulu“-Suite mit Marlis Petersen.

Und am Abend darauf steht Tschaikows­kys Fünfte neben dem Violinkonz­ert von Arnold Schönberg. Mit Patricia Kopatchins­kaja als Solistin hat Petrenko diese erstaunlic­he Programmfo­lge schon in Berlin ausprobier­t; man darf gespannt sein, wie das Festspiel-Auditorium auf das Nebeneinan­der von romantisch­em Überschwan­g und Zwölfton-Konstrukti­vismus reagieren wird.

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