Musikalische Sommerspritzer gibt es nur ausnahmsweise
Warum sollte man sich nicht ausgerechnet im Urlaub, wenn man endlich Zeit fürs Außergewöhnliche findet, mit „Unerhörtem“beschäftigen? Wer Romantik sagt, muss auch Avantgarde sagen!
Man kann ja auch zu einem der gar nicht so wenigen Operettenfestivals fahren. Dort sind Walzerrhythmen und Melodienzauber jedenfalls inklusive. Was die „großen“Festivals anlangt, da muss der Besucher schon auch mit einem gerüttelt Maß an pädagogischer Fürsorge rechnen. Ohne die gibt es heutzutage keine Subventionen mehr.
Jedenfalls reagierten einige Gäste beim diesjährigen Auftakt zum Festival von Grafenegg überrascht, als es auch nach der eigens neu komponier
ten Festfanfare nicht nur wohlig-lauschig zuging. Dabei versichert Intendant Rudolf Buchbinder, dass die Musiker unter seiner Führung sicher an kein Motto gebunden würden, sondern alle spielen dürften, was ihnen am ehesten behagte. Das ergab zumindest im diesjährigen Grafenegger Repertoire manch spannende Einsicht in Regionen, die man hierzulande gar nicht so gut kennt.
So wird der Wolkenturm zum Dorado für Musikentdecker. Die junge Chefdirigentin von Simon Rattles einstigem Orchester aus Birmingham bringt neben Mahler auch Werke aus England mit, von Oliver Knussen und Benjamin Britten (29. August); Frank Peter Zimmermanns Auftritt mit dem Ersten Prokofieff-Violinkonzert wird einbegleitet von einer Orchestersuite des Chinesen Qigang Chen (25. August); Pianist Piotr Anderszewski spielt zwei Mozart-Konzerte, umrahmt von Aufführungen von Werken Erik Saties und Francis Poulencs – dessen „Sinfonietta“übrigens wirklich eine Entdeckungsreise wert ist (25. August, 11 Uhr)!
Für pure Beethoven-Schwerpunkte sorgt schon Festspiel-Chef Buchbinder selbst. Und wer da meint, nur in Grafenegg seien die internationalen Klassikinterpreten auf dem Erkundungstrip, der muss seinen Blick nur ein wenig in Richtung Westen schweifen lassen. In Salzburg wartet man ja erstmals seit Karajans Tagen wieder sehnsüchtig auf das jährliche Gastspiel der Berliner Philharmoniker. Jetzt, wo Kirill Petrenko offiziell sein Amt als Chefdirigent antritt, rechnet man ja wieder mit interpretatorischen Außerordentlichkeiten. Und die beziehen sich bei diesem Maestro niemals nur auf den Klassik-Mainstream. Zwar erlebt man am 25. August Beethovens Neunte im Festspielhaus, aber begleitet von Alban Bergs „Lulu“-Suite mit Marlis Petersen.
Und am Abend darauf steht Tschaikowskys Fünfte neben dem Violinkonzert von Arnold Schönberg. Mit Patricia Kopatchinskaja als Solistin hat Petrenko diese erstaunliche Programmfolge schon in Berlin ausprobiert; man darf gespannt sein, wie das Festspiel-Auditorium auf das Nebeneinander von romantischem Überschwang und Zwölfton-Konstruktivismus reagieren wird.