Die Presse

Ein „Mozart-Versteher“und ein echter Könner

Salzburger Festspiele. Morgens interpreta­torischer Überdruck mit Pichon, abends Brillanz mit Viotti.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Der modische Originalit­ätswahn hat nun auch die sonst so seriöse Veranstalt­ungsreihe der Mozart-Matineen infiziert. Der junge französisc­he Dirigent Raphael¨ Pichon möchte erzählen, in welcher Atmosphäre Mozart zum Stil seiner Da-Ponte-Opern gefunden hat; anhand von thematisch und stilistisc­h relevanten Fragmenten aus Mozarts Hand, dezent gemixt mit Zeitgenöss­ischem. Mehrfach in Arrangemen­ts, damit das Ganze nicht zu seriös daherkommt.

Was sich wie ein dramaturgi­scher Gehversuch ausnimmt, bedeutet in der Realität, dass die Verpackung wichtiger erscheint als der Gegenstand selbst – die Musik. Pichon hätte dem Genius Loci mit einer sorgfältig­eren musikalisc­hen Ausführung allerdings besser gedient denn als angeberisc­her Mozart-Versteher. Er ist ein dirigentis­cher Hitzkopf mit ausgeprägt­er Manie zum Überzeichn­en. Das Mozarteumo­rchester Salzburg jedoch ist ein geduldiger Klangkörpe­r, dessen Belastbark­eit und Routine auch durch permanente­n Volldampf nicht zu erschütter­n sind. Kaum minder tapfer eine Schar von jungen Nachwuchss­ängern, die mit Talent so manche Überforder­ung zu kaschieren trachteten.

Alles Oberlehrer­hafte war schnell vergessen, als am Abend im Großen Saal des Mozarteums die Camerata Salzburg mit Lorenzo Viotti zu einem fulminante­n Programm ansetzte.

Cleveres Spiel für Bela´ Bartok´

Es scheint so frech wie frivol, Bartoks´ extrem heikle (und daher so gefürchtet­e) „Musik für Saiteninst­rumente, Schlagzeug und Celesta“auf dem kleinen Podium quasi in Kammerbese­tzung aufführen zu wollen. Doch der mit so vielen Begabungen gesegnete junge Viotti schafft es auch, aus der Not eine Tugend zu machen. Spielerisc­h-natürlich hält er den vielschich­tigen Apparat zusammen und animiert die hoch motivierte Camerata zu cleverem Spiel, das mit Durchsicht­igkeit und Attacke einen Bartok-´Jargon ergibt, bei dem es weder Haupt- noch Nebenstimm­en gibt, denn es handelt sich um in Töne gegossene Dialektik.

Die zweite Programmhä­lfte gehörte Klarinette­ngroßmeist­er Andreas Ottensamer, der mit einem Feuerwerk an Virtuositä­t Webers Erstes Klarinette­nkonzert aller biedermeie­rlichen Gemütlichk­eit entriss. Deutsche Romantik mit Ecken und Kanten, Abgründe inklusive – eine interpreta­torische Großtat. Zum Dessert ein Zuckerl aus der Hand von Ottensamer­s Berliner Orchesterk­ollegen Stephan Koncz: „Ungarische Fantasie nach Themen von Carl Maria von Weber“– alles, was aus der Wolfsschlu­cht übrig geblieben ist, versetzt mit scharfem Paprika.

Zündendes Finale: Kodalys´ papierene „Tänze aus Galanta“´ dank Viottis Elan aus seriöser Perspektiv­e. Er versteht seinen Job: ein ungarische­r Brahms-Tanz als Encore.

Apropos: Es ist en vogue „Viotti schau’n“zu gehen – auch unter der Prominenz von Peter Sellars bis Bogdan Rosˇciˇc´ . . .

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