Die grenzenlose Freiheit ist an ihre Grenzen gestoßen
Eine Veranstaltung der Paneuropa-Union vor genau 30 Jahren öffnete für viele das Tor aus der Knechtschaft zur Freiheit. Heute aber sind die Grenzen wieder da.
Die grenzenlose Freiheit, das völlige Verschwinden von Grenzen innerhalb Europas, war nur ein kurzer Traum. Dieser Traum ist jetzt an seine Grenzen gestoßen.
Genau vor 30 Jahren, an einem heißen Augusttag 1989, lud die Paneuropa-Union gemeinsam mit der ungarischen Bürgerrechtsbewegung zu einer Veranstaltung an der österreichisch-ungarischen Grenze. Was harmlos und unverfänglich als „Picknick“tituliert wurde, war ein hochpolitisches Ereignis. Es sollte das Tauwetter zwischen Ost und West genützt werden, um auszutesten, wie weit die Grenzen der Freiheit ausgedehnt werden könnten.
Initiator war der glühende Europäer Otto von Habsburg, damals Präsident der Union, der auf das Wohlwollen der ungarischen Regierung bauen konnte. Es sollte symbolisch ein Tor zur Freiheit aufgestoßen werden. Im Vorfeld wurde das Picknick eifrig beworben. Von den Mitgliedern der Paneuropabewegung wurden auf den Campingplätzen in Ungarn Flugzettel verteilt, Mundpropaganda tat das übrige.
Es waren vor allem Bürger der DDR, die am 19. August zur Grenze pilgerten. Sie strömten an den überforderten Grenzwachen vorbei durch das offene Tor in die Freiheit, nach Österreich, mehr als 600 gelang die Flucht. Dieses Ereignis und seine Folgen gingen in die Geschichtsbücher ein. Und das zu Recht. Stacheldrahtzäune wurden abgebaut, Mauern fielen, Grenzen, die zuvor unüberwindbar waren, verschwanden.
Erzählt man jungen Menschen heute von den damaligen Ereignissen, erntet man meist Unverständnis und Verwunderung. Es ist für sie nicht vorstellbar, dass hinter Wien die freie Welt endete, dass Grenzen unpassierbar waren. Junge Leute aus dem Osten Deutschlands, aus Ungarn oder Tschechen können sich nicht mehr vorstellen, dass ihre Eltern und Großeltern den Großteil der Länder dieser Erde nicht bereisen durften.
Umgekehrt war es der damaligen Generation unvorstellbar, dass sie kurze Zeit später in einem Staatenbund ohne Grenzen leben würden. Die EU schien diesen Bürgern nicht nur wegen des erhofften Zuwachses an Wohlstand so attraktiv, sondern auch wegen der Reisefreiheit, dem Verschwinden von Grenzbarrieren.
In der Erinnerung an die Ereignisse vor 30 Jahren gerät man in Versuchung, den Abbau von Grenzen generell zu verklären. Damals brachte er den Menschen die Freiheit. Heute hat man an einigen jener Grenzen, die damals fielen, erneut Zäune errichtet und Grenzen geschlossen. Diesmal nicht, um Menschen an der Ausreise, sondern an der Einreise zu hindern. Ungarn hat an seiner Südgrenze hohe Grenzzäune errichtet, um sich von Migranten abzuschotten. Es beruft sich auf seine Verpflichtung zum Grenzschutz, wird international aber dafür kritisiert. Auch Österreich kontrolliert an seiner Grenze zu Ungarn wieder, auch hier geht es um die Verhinderung illegaler Migration.
Und selbst zwischen damals freien Staaten wie Österreich und Deutschland ist heute die Grenze wieder spürbar, bilden sich lange Staus. Dabei ist nicht nachvollziehbar, warum sich österreichische und bayrische Politiker seit Jahren damit brüsten, dass sie die Grenzbalken heruntergelassen haben. Noch dazu, wo der Erfolg dieser Maßnahme mehr als zweifelhaft ist, werden doch nur die Autobahnen kontrolliert.
Es ist eine Gratwanderung: Einerseits ist es zutiefst menschlich, sein Glück anderswo zu versuchen. Andererseits ist es auch das Recht eines Staates, sich auszusuchen, wer sich im Land niederlassen darf und wer nicht. Und es zählt zu den ureigensten Aufgaben eines Staates, seine Grenzen zu schützen. Die grenzenlose Freiheit, das völlige Verschwinden von Grenzen innerhalb Europas, war so gesehen ein kurzer Traum. Dieser Traum ist an seine Grenzen gestoßen, wir sind in der Realität wieder aufgewacht.
Ja, es braucht Grenzen. Aber sie müssen überwindbar sein – das unterscheidet ein totalitäres von einem demokratischen System. Nach welchen Regeln sie überwindbar sind, das muss in einer Demokratie immer wieder neu ausgehandelt werden.