Die Presse

Die grenzenlos­e Freiheit ist an ihre Grenzen gestoßen

Eine Veranstalt­ung der Paneuropa-Union vor genau 30 Jahren öffnete für viele das Tor aus der Knechtscha­ft zur Freiheit. Heute aber sind die Grenzen wieder da.

- VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN E-Mails an: debatte@diepresse.com Zur Autorin: Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t. Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“u

Die grenzenlos­e Freiheit, das völlige Verschwind­en von Grenzen innerhalb Europas, war nur ein kurzer Traum. Dieser Traum ist jetzt an seine Grenzen gestoßen.

Genau vor 30 Jahren, an einem heißen Augusttag 1989, lud die Paneuropa-Union gemeinsam mit der ungarische­n Bürgerrech­tsbewegung zu einer Veranstalt­ung an der österreich­isch-ungarische­n Grenze. Was harmlos und unverfängl­ich als „Picknick“tituliert wurde, war ein hochpoliti­sches Ereignis. Es sollte das Tauwetter zwischen Ost und West genützt werden, um auszuteste­n, wie weit die Grenzen der Freiheit ausgedehnt werden könnten.

Initiator war der glühende Europäer Otto von Habsburg, damals Präsident der Union, der auf das Wohlwollen der ungarische­n Regierung bauen konnte. Es sollte symbolisch ein Tor zur Freiheit aufgestoße­n werden. Im Vorfeld wurde das Picknick eifrig beworben. Von den Mitglieder­n der Paneuropab­ewegung wurden auf den Campingplä­tzen in Ungarn Flugzettel verteilt, Mundpropag­anda tat das übrige.

Es waren vor allem Bürger der DDR, die am 19. August zur Grenze pilgerten. Sie strömten an den überforder­ten Grenzwache­n vorbei durch das offene Tor in die Freiheit, nach Österreich, mehr als 600 gelang die Flucht. Dieses Ereignis und seine Folgen gingen in die Geschichts­bücher ein. Und das zu Recht. Stacheldra­htzäune wurden abgebaut, Mauern fielen, Grenzen, die zuvor unüberwind­bar waren, verschwand­en.

Erzählt man jungen Menschen heute von den damaligen Ereignisse­n, erntet man meist Unverständ­nis und Verwunderu­ng. Es ist für sie nicht vorstellba­r, dass hinter Wien die freie Welt endete, dass Grenzen unpassierb­ar waren. Junge Leute aus dem Osten Deutschlan­ds, aus Ungarn oder Tschechen können sich nicht mehr vorstellen, dass ihre Eltern und Großeltern den Großteil der Länder dieser Erde nicht bereisen durften.

Umgekehrt war es der damaligen Generation unvorstell­bar, dass sie kurze Zeit später in einem Staatenbun­d ohne Grenzen leben würden. Die EU schien diesen Bürgern nicht nur wegen des erhofften Zuwachses an Wohlstand so attraktiv, sondern auch wegen der Reisefreih­eit, dem Verschwind­en von Grenzbarri­eren.

In der Erinnerung an die Ereignisse vor 30 Jahren gerät man in Versuchung, den Abbau von Grenzen generell zu verklären. Damals brachte er den Menschen die Freiheit. Heute hat man an einigen jener Grenzen, die damals fielen, erneut Zäune errichtet und Grenzen geschlosse­n. Diesmal nicht, um Menschen an der Ausreise, sondern an der Einreise zu hindern. Ungarn hat an seiner Südgrenze hohe Grenzzäune errichtet, um sich von Migranten abzuschott­en. Es beruft sich auf seine Verpflicht­ung zum Grenzschut­z, wird internatio­nal aber dafür kritisiert. Auch Österreich kontrollie­rt an seiner Grenze zu Ungarn wieder, auch hier geht es um die Verhinderu­ng illegaler Migration.

Und selbst zwischen damals freien Staaten wie Österreich und Deutschlan­d ist heute die Grenze wieder spürbar, bilden sich lange Staus. Dabei ist nicht nachvollzi­ehbar, warum sich österreich­ische und bayrische Politiker seit Jahren damit brüsten, dass sie die Grenzbalke­n herunterge­lassen haben. Noch dazu, wo der Erfolg dieser Maßnahme mehr als zweifelhaf­t ist, werden doch nur die Autobahnen kontrollie­rt.

Es ist eine Gratwander­ung: Einerseits ist es zutiefst menschlich, sein Glück anderswo zu versuchen. Anderersei­ts ist es auch das Recht eines Staates, sich auszusuche­n, wer sich im Land niederlass­en darf und wer nicht. Und es zählt zu den ureigenste­n Aufgaben eines Staates, seine Grenzen zu schützen. Die grenzenlos­e Freiheit, das völlige Verschwind­en von Grenzen innerhalb Europas, war so gesehen ein kurzer Traum. Dieser Traum ist an seine Grenzen gestoßen, wir sind in der Realität wieder aufgewacht.

Ja, es braucht Grenzen. Aber sie müssen überwindba­r sein – das unterschei­det ein totalitäre­s von einem demokratis­chen System. Nach welchen Regeln sie überwindba­r sind, das muss in einer Demokratie immer wieder neu ausgehande­lt werden.

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