Der Rückhalt für die Russland-Sanktionen schwindet. In Ostdeutschland gab es ihn vielleicht nie. Dort will selbst ein CDU-Ministerpräsident die Strafmaßnahmen loswerden.
Sachsen-Wahlkampf.
Wladimir Putin kennt Dresden wie seine Westentasche. In Sachsens Hauptstadt kam seine Tochter zur Welt. Hier war er KGBAgent. Und jetzt, 29 Jahre später, ist Putin zurück. Also im übertragenen Sinn. Sein Name geistert durch die ostdeutschen Landtagswahlkämpfe. Sachsens CDU-Ministerpräsident, Michael Kretschmer, fordert ganz offen das Ende der Russland-Sanktionen. Er sagt das jedem, der es hören will, und im sicheren Wissen, damit an die sächsische Grundstimmung anzudocken. Dass sich Kretschmer damit auch gegen die eigene Parteiführung in Berlin und gegen die Kanzlerin stellt, muss ihm nicht schaden. Jetzt, im Wahlkampf, kann ihm das sogar nützen.
In der Russland-Politik existiert noch eine Mauer in den Köpfen. Oder wie es Kretschmer einmal sehr verallgemeinernd formuliert hat: „In Ostdeutschland gibt es dazu eine eigene Meinung.“Am Mittwoch wurde der Kontrast zwischen Bundes- und ostdeutscher Landespolitik wieder sichtbar. Angela Merkel beerdigte im Kanzleramt auf Nachfrage das jüngste Ansinnen Donald Trumps, Russland wieder in den Klub der G7, dann also G8, aufzunehmen. Die Gründe für den Ausschluss bestehen eben nach wie vor. Die Ostukraine ist nicht befriedet, das Minsker Abkommen nicht umgesetzt. Punkt.
In Moskau gerieten fast zeitgleich der deutsche Außenminister, Heiko Maas (SPD), und sein russischer Amtskollege, Sergej Lawrow, aneinander. Sie stritten über die Festnahme eines Mitarbeiters der Deutschen Welle und die Pressefreiheit. Es war kein guter Tag für die deutsch-russischen Beziehungen, und die Dissonanzen passten kaum zum Kurs, den Kretschmer im Juni auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg eingeschlagen hatte, als er für die Kameras an der Seite Putins posierte und auf ein Aus der Sanktionen drängte.
Kretschmer wurde dafür viel kritisiert. Vom Außenministerium. Von Sicherheitsexperten. Doch Zuhause gab es Beifall und Unterstützung. Die Parteifarbe spielte dabei kaum eine Rolle. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident, Dietmar Woidke, zum Beispiel warb um Verständnis für Kretschmers Haltung. Beide, Woidke und Kretschmer, mühen sich in ihren ostdeutschen Bundesländern, einen AfDSieg bei den Wahlen am 1. September zu verhindern. In Sachsen hat die CDU in den Umfragen nur einen hauchdünnen Vorsprung auf die Rechtspopulisten, in Brandenburg ist die AfD auf Platz eins. Und beide, Woidke und Kretschmer, spüren in der Russland-Frage viel Druck von ganz rechts – und von ganz links. Denn wenn es gegen die Sanktionen geht, passt kein Blatt zwischen die Positionen der Linkspartei und der AfD.
Es ist nicht so, dass Kretschmer seine Russland-Politik im Wahlkampf in den Vordergrund rückt. Eher wollte er das Thema der Konkurrenz aus der Hand schlagen, es kleinhalten. Denn Russland, sagte AfD-Chef Alexander Gauland einmal, das sei ein „Gewinnerthema“.
Der Rückhalt der Deutschen für die Sanktionen schwindet. Nicht nur im Osten. Diese Woche publizierte YouGov eine Umfrage, wonach mehr als die Hälfte der Deutschen eine sofortige Abschaffung (21 Prozent) oder eine schrittweise Entschärfung (32 Prozent) der Strafmaßnahmen will. Nur jeder vierte Befragte wollte, dass das Sanktionsregime genau so bleibt, wie es ist, in Sachsen waren es gar nur elf Prozent, in Sachsen-Anhalt acht Prozent.
Natürlich gibt es handfeste ökonomische Gründe für dieses Ost-West-Gefälle. Die Wirtschaft in den neuen Bundesländern leidet stärker unter den Strafmaßnahmen. In Sachsen brach das Handelsvolumen mit Russland seit 2013 um 72,5 Prozent ein, im Westen um 18 Prozent.
Aber es geht nicht nur um den Export von ostdeutschen Maschinen und Äpfeln nach Russland, sondern auch um eine kulturelle sowie historische Nähe. Da tickte man schon immer anders. Im preußischen „Ostelbien“schauten sie ins Zarenreich, nach St. Petersburg, drüben, am Rhein, nach Paris. In der DDR waren 350.000 bis 500.000 sowjetische Soldaten im deutschen Bruderland stationiert. In der Schule lernte man Russisch.
Viele Ex-DDR-Bürger können noch heute kleine Kostproben davon geben, darunter die Kanzlerin. Es gibt viele persönliche Beziehungen nach Russland. Auch wenn das Verhältnis zu den Sowjets keineswegs immer friktionsfrei und wertschätzend war und auch heute nicht jeder Ostdeutsche gleich ein Russland-Versteher ist. Aber viele sind es eben schon.