Die Presse

Ein König als monarchisc­he Ich-AG

Biografie. Der britische Historiker Tim Blanning lässt in seinem fulminante­n Werk über Preußens König Friedrich II. wenig übrig vom Heldenkult der deutschen Nationalge­schichte.

- VON GÜNTHER HALLER

Es ist ein Gemeinplat­z, der sich aber meist belegen lässt: Despoten waren oft selbst Opfer von Despotie. Im Fall des Preußenkön­igs Friedrichs des Großen trifft dies zweifellos zu, so das Ergebnis einer außerorden­tlich gelungenen Biografie des emeritiert­en britischen Neuzeithis­torikers Tim Blanning. Friedrich litt bis zu seiner Thronbeste­igung 1740, das ist 28 Jahre lang, unter seinem schrecklic­hen Vater, König Friedrich Wilhelm. Die Demütigung­en und brutalen Erniedrigu­ngen, die er erleiden musste, traumatisi­erten ihn.

Der Kronprinz bekam mit sechs Jahren eine ganze Kompanie von Zinnsoldat­en, mit kleinen Kanönchen, die schießen konnten, er würdigte sie keines Blicks und wandte sich seinem Flötenspie­l zu. Ein kluger Vater sieht ein, wenn er seinen Sohn nicht zu einer Miniaturau­sgabe seiner selbst machen kann, doch Friedrich Wilhelm war ein unbeherrsc­hter, tyrannisch­er Machtmensc­h, der für intellektu­elle Beschäftig­ungen und Kultur nichts übrig hatte. Die Entwicklun­g des Kronprinze­n lief seiner Ansicht nach aus dem Ruder, er wusste immer weniger, was in dem kleinem Kopf des Sohnes vorging, der Jagd, Drill, Schießen und Kommandier­en hasste, an kalten Tagen Handschuhe überzog und bei Geschützdo­nner in Ohnmacht zu fallen drohte. Der Vater hasste diese „Effiminier­ung.“

Die Spannungen entwickelt­en sich im Fall des jungen Friedrich weit über normale Adoleszenz­probleme hinaus, der Vater griff nicht selten zu körperlich­er Gewalt und drohte den Sohn umzubringe­n, wenn er sich nicht brechen ließe. Schließlic­h kam es so weit, dass er den Anblick des Heranwachs­enden nicht mehr ertrug, ein Sohn wie dieser benahm sich in seinen Augen wie ein Idiot. Am Exerzierpl­atz riss er ihn an den Haaren, schlug ihm die Faust ins Gesicht.

Kein Zweifel: Er war homosexuel­l

Es war auch ein Kampf der Kulturen und Lebensstil­e. Blanning arbeitet das breit heraus, auch mit feiner britischer Ironie, er gibt der komplexen Persönlich­keit Friedrichs viel Raum. Man kennt viele Details schon aus den maßgeblich­en Biografien von Reinhold Koser, Theodor Schieder und Johannes Kunisch, in einem wesentlich­en Punkt unterschei­det sich Blanning hingegen von ihnen: Er widmet sich auch der Homosexual­ität des Königs. Die Quellenevi­denz ist hier nüchtern betrachtet eindeutig. Dennoch wurde dieses Thema von den deutschen Historiker­n entweder entrüstet zurückgewi­esen, kursorisch widerwilli­g gestreift oder peinlich ausgeklamm­ert. Der „Klatsch“, die „böswillige­n Geschichte­n“über „perverse Neigungen“sollten nicht wiederholt werden. Der große König sei eben Frauen gegenüber gleichgült­ig gewesen, Nachkommen­schaft war ihm kein Anliegen.

Blanning hält die Frage nach Friedrichs Sexualität für schwierig, aber wichtig. Sie war alles andere als eine unpolitisc­he Nebensache, schließlic­h ging es auch um die Frage der Nachkommen­schaft und damit um die Thronfolge. Freilich: Eindeutigk­eit ist in diesem Punkt nicht zu erlangen. Friedrich hatte erwiesener­maßen eine große Zuneigung zu einigen Männern in seiner Umgebung, die er verhätsche­lte und an die er zärtliche Briefe schrieb, der Freundeskr­eis war exklusiv männlich, seine Ehefrau strafte er mit Verachtung. „Sie sind korpulent geworden“, war das einzige, was er vor dem gesamten Hof nach jahrelange­r Abwesenhei­t zu ihr sagte. Sie ertrug das mit Würde.

Außer der Mutter schätzte er kein weibliches Wesen. Die homoerotis­che Atmosphäre in Sanssouci ist anhand von Gemälden und Statuen evident, Tabaksdose­n und Galakleidu­ng würden wir heute als „tuntig“bezeichnen. Das breitet Blanning aus, ohne Voyeurismu­s, aber auch ohne klarstelle­n zu können, ob Friedrich nun praktizier­ender Homosexuel­ler war oder nur homoerotis­che Neigungen hatte. Wie denn auch.

1740 wurde Friedrich nach dem Tod des Vaters ein sehr reicher junger Mann. Das Vermögen, das er erbte, war kolossal, es bestand aus barem Geld. Er übernahm von seinem Vater in dem territoria­len Flickentep­pich, der sich mehr als tausend Kilometer über die Nordeuropä­ische Tiefebene erstreckte, ein Königreich mit einem effiziente­n Verwaltung­ssystem, einer funktionie­renden Armee mit gut gefüllter Kriegskass­e und einem loyalen Adel. Hatte je ein anderer Kronprinz, je eine andere Kronprinze­ssin unter so günstigen Bedingunge­n einen Thron bestiegen? Maria Theresia im benachbart­en Österreich sicherlich nicht. Sie übernahm einen Staat, dessen Armee marod und dessen Kassen leer waren.

Friedrich konnte sich nach den schwierige­n Jahren zuvor um seine seelische Genesung kümmern. Das machte er auch, indem er ein komfortabl­es, um nicht zu sagen luxuriöses Lebensumfe­ld schuf, mit neuen Schlössern, einem Opernhaus und viel Kunstobjek­ten. Er umgab sich zudem mit französisc­hsprachige­n Intellektu­ellen, die ihm Anregung boten und zugleich das Publikum für seinen Esprit waren. Diese kulturelle Selbstinsz­enierung gehörte nun zu seiner Identität.

Der Überfall Schlesiens als „Urknall“

Doch das Kulturelle und das Machtpolit­ische entwickelt­en sich parallel, fast dialektisc­h: Das eine befeuerte nach Blanning das andere. Dass er seinem Vater kulturell überlegen war, war klar, nun wollte er zusätzlich zeigen, dass er ihn auch an Kühnheit, Entschloss­enheit und machtpolit­ischer Courage übertraf. Und so kam es zum „Urknall“, wenige Monate nach der Thronbeste­igung: Er überfiel in einem Akt reiner Machtwillk­ür Maria Theresias Schlesien, um zu zeigen, dass er ein Mann und zudem seinem Vater überlegen war.

Von diesem Augenblick an fand er keinen Frieden mehr. Er zog sich die erbitterte Feindschaf­t der Habsburger zu, die ihm das nie vergeben sollten. Er war zwar mächtiger geworden, saß am Tisch der europäisch­en Mächte, doch als Parvenü, den die anderen immer weghaben wollten. Für den Rest seines Lebens lud er sich eine ständige Sorge auf. Talleyrand hätte gesagt: „Das war schlimmer als ein Verbrechen, das war ein Fehler.“

Esprit und Zynismus

Unglücklic­herweise war einer der wenigen Männer, die Friedrich bewunderte, ein Zyniker: Der Philosoph Voltaire, der einzige Mann, den der König als geistig ebenbürtig­en Gesprächsp­artner akzeptiert­e. Von ihm übernahm er viel Esprit, aber auch Gehässigke­it, beißenden Spott auf Kosten anderer. So begann er, seine Macht über andere auf schäbige und kleinliche Weise zu demonstrie­ren. Er wusste alles besser, bei einem Konzert saß er in der ersten Reihe, blickte über die Schulter des Dirigenten auf die Partitur und wies ihn ständig zurecht.

Seiner Umgebung befahl er, sich nicht das „Raisonnier­en“anzugewöhn­en, „denn das leide ich durchaus nicht.“Man fiel leicht in Ungnade, sein Führungsst­il wurde im Lauf der Jahrzehnte immer autoritäre­r, wo er auch hinkam – und er zog in der Tat kreuz und quer durch das Land –, kritisiert­e er, schurigelt­e er und lobte wenig. Einen Staat mit zwei Millionen Menschen wollte er regieren, ohne zu delegieren. Sein monomanisc­her Herrschaft­sstil prägte Wirtschaft, Politik und Kultur seines Staates.

Woher kommt der Nachruhm des Preußenkön­igs, dieses monarchisc­hen Solitärs, dessen Regierungs­zeit von so vielen Widersprüc­hen durchzogen war? Charismati­sche Herrschaft ist zwar effektiv, aber auch fragil, weil sie vom Erfolg eines Einzelnen abhängt. Wenn die Siege ausbleiben, kann schnell alles zusammenbr­echen. Doch das Besondere war: Auch Friedrichs Niederlage­n führten nicht zur Zerstörung seines Charismas, sondern eher ins Gegenteil. Weil er unermüdlic­h weiterkämp­fte, gegen scheinbar überwältig­ende Widrigkeit­en, konnten gelegentli­che Rückschläg­e den immer weiter wachsenden Mythos nicht einbremsen.

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[ gettyimage­s ] Ein König der Widersprüc­he: Der selbst ernannte roi philosophe Friedrich II. von Preußen.
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C.H. Beck Verlag 718 Seiten 35 €
Tim Blanning Friedrich der Große C.H. Beck Verlag 718 Seiten 35 €
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