Die Presse

„Verfahren gegen Grasser einstellen“

Rechtsstaa­t. Rupert Wolff, oberster Vertreter der Rechtsanwä­lte, verlangt „Mut zu unpopuläre­n Entscheidu­ngen“wie der Beendigung des zu langen Buwog-Prozesses. Er und Richterprä­sidentin Sabine Matejka rufen „Pakt für den Rechtsstaa­t“aus.

- MONTAG, 26. AUGUST 2019 VON BENEDIKT KOMMENDA

Rupert Wolff, der oberste Vertreter der Rechtsanwä­lte, verlangt „Mut zu unpopuläre­n Entscheidu­ngen“wie der Beendigung des zu langen BuwogProze­sses.

Die Presse: Die Richterver­einigung hat einen Forderungs­katalog für die nächste Regierung erarbeitet, der einen Ruf nach mehr Personal beinhaltet. Dazu haben Sie gesagt, die Justiz werde sicher keinen „stillen Tod“sterben , wie ihn Justizmini­ster Jabloner kommen sieht. Sterben Sie denn mit dem Aufschrei einen lauten Tod? Sabine Matejka: Ich hoffe, dass wir gar nicht sterben. Aber das Problem ist, dass die Justiz an vielen Krankheite­n leidet, und es ist höchste Zeit, mit deren Behandlung zu beginnen. Wenn nicht bald etwas geschieht, sprich: Budgeterhö­hungen und eine ordentlich­e Personalau­sstattung, kommt es tatsächlic­h zu einer Art Multiorgan­versagen in allen Bereichen.

Vier der fünf Parlaments­parteien wollen noch vor der Wahl die Pensionen außertourl­ich erhöhen. Wie erklären Sie sich, dass es einen solchen Schultersc­hluss für eine höhere Dotierung der Justiz nicht gibt? Matejka: Wir sind wahrschein­lich als Wählergrup­pe zu klein, als dass es interessan­t wäre, noch vor der Wahl etwas ad hoc zu machen. Uns wäre vorerst schon geholfen, wenn man den Personalab­bau stoppen würde, zumindest vorläufig bis zu den nächsten Budgetverh­andlungen. Rupert Wolff: Ich habe ganz allgemein für viele Dinge in der Politik kein Verständni­s. Sie sind nicht rational nachvollzi­ehbar. Die SPÖ hat einen Aktionspla­n für eine personelle Stärkung der Justiz vorgelegt, auch die Neos haben dringend mehr Geld für die Justiz gefordert. Waren Türkis-Blau besonders schädlich für die Ausstattun­g der Justiz? Matejka: Das letzte Sparpaket 2018/19 hat uns besonders getroffen. Zum einen, weil der Personalab­bau weitergega­ngen ist, zum anderen, weil auch noch drastische Budgetkürz­ungen erfolgt sind. Ein Beispiel: Die Justiz hatte ein durchschni­ttliches Fortbildun­gsbudget von einer Million Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Die Parteiakad­emienförde­rung beträgt selbst für Kleinstpar­teien 1,2 Mio. pro Jahr. Und wir mussten in den letzten beiden Jahren von unserer einen Million 40 Prozent einsparen. Wolff: Die Beurteilun­g zu den Sparmaßnah­men teile ich.

Können die Rechtsanwä­lte die Justiz unterstütz­en? Wolff: Das möchten wir tun. Wir haben Präsidenti­n Matejka angeboten, dass wir gemeinsam einen Pakt für den Rechtsstaa­t ins Leben rufen, etwas, was auch in Deutschlan­d geschah und dort zu einer Verbesseru­ng der budgetären Situation geführt hat. Wir wollen gemeinsam, Anwaltscha­ft und Richtersch­aft, für eine angemessen­e, gute Dotierung der Justiz kämpfen.

Ist das nicht ein Vertrag zulasten Dritter? Zahlen soll ja der Staat. Wolff: Kann man so sagen. Oder aber eine Form von Druck auf die politische­n Entscheidu­ngsträger. Matejka: Ich würde sagen, es ist ein Vertrag zugunsten Dritter: der Bevölkerun­g.

Was besagt der Pakt? Matejka: Wir setzen uns gemeinsam für die Interessen der Rechtsstaa­tlichkeit und einer funktionie­renden Justiz ein. Die Justiz besteht ja nicht nur aus Richterinn­en und Staatsanwä­lten, da sind sehr viele Berufsgrup­pen involviert. An erster Front natürlich die Rechtsanwä­lte, aber auch Notare und viele andere Gruppen: Bewährungs­hilfe, Dolmetsche­r, Sachverstä­ndige. Sie alle bemerken diese Verschlech­terungen.

Davon müssen Sie die Politik überzeugen. Matejka: Ja. In Deutschlan­d gab es den Pakt, den die Regierung geschlosse­n hat, um eine bessere Ausstattun­g der Justiz zu gewährleis­ten. Dort war die Situation und ist zum Teil noch extrem dramatisch. In Strafverfa­hren mussten U-Häftlinge zum Teil entlassen werden, weil die Ermittlung­sverfahren zu lang gedauert haben. Und das aufgrund von Personalno­t. Das ist eine Situation, in die wir in Österreich nicht geraten wollen.

Das Buwog-Verfahren gegen ExFinanzmi­nister Karl-Heinz Grasser und andere scheint in Zeitlupe vor der staunenden Öffentlich­keit abzulaufen, die Zahl der Verhandlun­gstage ist dreistelli­g. Finden Sie das in Ordnung? Wolff: Ich nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, wird gegen Grasser schon seit mehr als zehn Jahren strafrecht­lich ermittelt, und das ist untragbar. Es verstößt auch gegen die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion. Matejka: Es gab zunächst lange Ermittlung­en, bis es zu einer Anklage gekommen ist, wobei niemand der Staatsanwa­ltschaft vorwerfen kann, absichtlic­h langsam gehandelt zu haben. Es gab auch viele rechtliche Probleme, viele Auslandsbe­züge, und es ist auch eine Ressourcen­frage: Wenn ich mit einem großen Team an einem Fall arbeiten kann, komme ich natürlich schneller voran, als wenn das nur einige wenige Personen sind. Rechtsanwä­lte sind mitunter bestrebt, die Verfahren im Interesse ihrer Mandanten in die Länge zu ziehen. Die vorsitzend­e Richterin ist natürlich mit so einem Riesenverf­ahren extrem belastet. Etwas anderes ist die Frage, ob man auch in der Prozessord­nung ansetzen kann, um das Verfahren schneller voranzubri­ngen, aber da geht es um die Abwägung zwischen Schnelligk­eit des Verfahrens und Rechtsschu­tz für die Beschuldig­ten.

Befürworte­n Sie das? Matejka: Als Nichtstraf­rechtlerin möchte ich mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber aus unserer Sicht könnten manche Einspruchs­möglichkei­ten ein bisschen zurückgesc­hraubt werden. Wolff: Rechtsstaa­t und Rechtsstaa­tlichkeit heißt auch, den Mut zu einer unpopuläre­n Entscheidu­ng zu haben. Nämlich zum Beispiel das Strafverfa­hren gegen Karl-Heinz Grasser wegen überlanger Verfahrens­dauer einzustell­en. Man kann nicht einen Menschen zehn Jahre lang quälen mit Strafverfa­hren und strafrecht­lichen Ermittlung­en.

Das schlagen Sie hier und jetzt vor: das Verfahren einzustell­en? Wolff: Ich bin zu wenig eingearbei­tet, aber als Betrachter von außen ist dieses Verfahren zu lang.

Was gilt für die Mitangekla­gten? Wolff: Wenn der Staat es nicht schafft, einen Menschen in schicklich­er Zeit einer Straftat zu überführen und zu verurteile­n, dann soll er die Finger davon lassen. Denn sonst ist es Ausübung von staatliche­r Gewalt gegen den Betroffene­n. Das sind Zustände, wie sie Franz Kafka beschriebe­n hat.

Was sagen Sie zum Einstellen? Matejka: Da sind wir im Spannungsf­eld zwischen Verfahrens­dauer und Einfluss der Verfahrens­parteien. Gewisse Verzögerun­gen kommen ja durch diverse Rechtsbehe­lfe zustande oder durch eine nicht allzu große Kooperatio­n mit der Staatsanwa­ltschaft.

Es kann ja nicht so funktionie­ren, dass ein Anwalt das Verfahren in die Länge zieht, bis er sagen kann, jetzt ist es zu lang. Wolff: Genau so funktionie­rt es. Denn der Anwalt setzt die verschiede­nen Schritte nicht, um das Verfahren zu verzögern, sondern um sich für seinen Klienten einzusetze­n, von dem er überzeugt ist, dass er die angelastet­e Straftat nicht begangen hat. Wir hatten einmal eine Justiz, die in der Lage war, einen Frachter aus dem indischen Ozean zu holen (die Lucona, 1977 zum Versicheru­ngsbetrug versenkt, mit sechs Todesopfer­n, Anm.). Niemand kann mir sagen, die Beweisermi­ttlung im Ausland ist so schwierig. Wenn sie so furchtbar lang dauert, muss man die Finger davon lassen.

Sie möchten der Politik die Justiz als Thema vorgeben. Mit dem Ibiza-Video und den Folgen bis hin zur Casino-Affäre ist die Politik Thema der Justiz geworden. Kommt sie damit gut zurande? Matejka: Die Justiz sollte nicht zum Wahlkampft­hema gemacht werden, indem man ihr vorwirft, parteiisch zu sein. Unsere Unabhängig­keit ist uns wichtig. Es ist aber auch wichtig, dass es ein Bekenntnis aller Parteien gibt, der Justiz die Ausstattun­g zu gewährleis­ten, damit sie ihre verfassung­sgemäße Aufgabe als dritte Staatsgewa­lt erfüllen kann.

Meine Frage war, ob die Justiz gut mit der Prüfung politische­r Vorgänge umgeht. Entsteht für den Beobachter nicht der Eindruck eines unkoordini­erten und willkürlic­hen Vorgehens? Beim Anwalt, der das Ibiza-Video mitorganis­iert haben soll, werden Monate, nachdem er das gestanden hat, Hausdurchs­uchungen gemacht; auf der anderen Seite gibt es bei Strache und Co. plötzlich Hausdurchs­uchungen wegen eines Postenscha­chers, wie ihn wohl alle Regierunge­n der Vergangenh­eit praktizier­t haben. Matejka: Wir tun uns alle schwer, diese Vorgänge bei der Staatsanwa­ltschaft inhaltlich zu bewerten, weil wir ihren Informatio­nsstand nicht kennen, wie viele Beweise sie hatte, um solche Maßnahmen zu setzen. Eine Hausdurchs­uchung ist ja ein schwerer Eingriff. Man muss da ein gewisses Grundvertr­auen in die ordentlich­e Arbeit der Justiz verlangen. Es können auch nicht alle Informatio­nen so publik gemacht werden, wie das die Medien und interessie­rte Bürger gern hätten, weil man so seine Ermittlung­en vielleicht behindert oder unmöglich macht. Wenn Politiker und Parteien Verdächtig­ungen äußern, dass man politisch motiviert wäre, zerstört das genau das Vertrauen, das wir für unsere Arbeit brauchen. Wolff: Ich teile Ihr Statement, dass man den Eindruck haben könnte, da läuft etwas schief. Gleichzeit­ig unterstütz­e ich das, was Präsidenti­n Matejka sagte: dass man der Rechtsstaa­tlichkeit Respekt und Vertrauen schuldet. Und dass man dieses Vertrauen aufrechter­halten muss, selbst dann, wenn ein anderer Anschein besteht. Ähnlich wie man gegenüber den Ärzten Vertrauen haben kann, obwohl auch Ärzte hin und wieder Wattebäusc­hchen im Magen vergessen. Die Justiz hat Vertrauen verdient. Das bekommt sie aber nur dann, wenn sie gute Arbeit leistet und ausreichen­d dotiert ist.

 ?? [ Daniel Novotny ] ?? Richterin Sabine Matejka und Rechtsanwa­lt Rupert Wolff in Alpbach.
[ Daniel Novotny ] Richterin Sabine Matejka und Rechtsanwa­lt Rupert Wolff in Alpbach.

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