„Verfahren gegen Grasser einstellen“
Rechtsstaat. Rupert Wolff, oberster Vertreter der Rechtsanwälte, verlangt „Mut zu unpopulären Entscheidungen“wie der Beendigung des zu langen Buwog-Prozesses. Er und Richterpräsidentin Sabine Matejka rufen „Pakt für den Rechtsstaat“aus.
Rupert Wolff, der oberste Vertreter der Rechtsanwälte, verlangt „Mut zu unpopulären Entscheidungen“wie der Beendigung des zu langen BuwogProzesses.
Die Presse: Die Richtervereinigung hat einen Forderungskatalog für die nächste Regierung erarbeitet, der einen Ruf nach mehr Personal beinhaltet. Dazu haben Sie gesagt, die Justiz werde sicher keinen „stillen Tod“sterben , wie ihn Justizminister Jabloner kommen sieht. Sterben Sie denn mit dem Aufschrei einen lauten Tod? Sabine Matejka: Ich hoffe, dass wir gar nicht sterben. Aber das Problem ist, dass die Justiz an vielen Krankheiten leidet, und es ist höchste Zeit, mit deren Behandlung zu beginnen. Wenn nicht bald etwas geschieht, sprich: Budgeterhöhungen und eine ordentliche Personalausstattung, kommt es tatsächlich zu einer Art Multiorganversagen in allen Bereichen.
Vier der fünf Parlamentsparteien wollen noch vor der Wahl die Pensionen außertourlich erhöhen. Wie erklären Sie sich, dass es einen solchen Schulterschluss für eine höhere Dotierung der Justiz nicht gibt? Matejka: Wir sind wahrscheinlich als Wählergruppe zu klein, als dass es interessant wäre, noch vor der Wahl etwas ad hoc zu machen. Uns wäre vorerst schon geholfen, wenn man den Personalabbau stoppen würde, zumindest vorläufig bis zu den nächsten Budgetverhandlungen. Rupert Wolff: Ich habe ganz allgemein für viele Dinge in der Politik kein Verständnis. Sie sind nicht rational nachvollziehbar. Die SPÖ hat einen Aktionsplan für eine personelle Stärkung der Justiz vorgelegt, auch die Neos haben dringend mehr Geld für die Justiz gefordert. Waren Türkis-Blau besonders schädlich für die Ausstattung der Justiz? Matejka: Das letzte Sparpaket 2018/19 hat uns besonders getroffen. Zum einen, weil der Personalabbau weitergegangen ist, zum anderen, weil auch noch drastische Budgetkürzungen erfolgt sind. Ein Beispiel: Die Justiz hatte ein durchschnittliches Fortbildungsbudget von einer Million Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Die Parteiakademienförderung beträgt selbst für Kleinstparteien 1,2 Mio. pro Jahr. Und wir mussten in den letzten beiden Jahren von unserer einen Million 40 Prozent einsparen. Wolff: Die Beurteilung zu den Sparmaßnahmen teile ich.
Können die Rechtsanwälte die Justiz unterstützen? Wolff: Das möchten wir tun. Wir haben Präsidentin Matejka angeboten, dass wir gemeinsam einen Pakt für den Rechtsstaat ins Leben rufen, etwas, was auch in Deutschland geschah und dort zu einer Verbesserung der budgetären Situation geführt hat. Wir wollen gemeinsam, Anwaltschaft und Richterschaft, für eine angemessene, gute Dotierung der Justiz kämpfen.
Ist das nicht ein Vertrag zulasten Dritter? Zahlen soll ja der Staat. Wolff: Kann man so sagen. Oder aber eine Form von Druck auf die politischen Entscheidungsträger. Matejka: Ich würde sagen, es ist ein Vertrag zugunsten Dritter: der Bevölkerung.
Was besagt der Pakt? Matejka: Wir setzen uns gemeinsam für die Interessen der Rechtsstaatlichkeit und einer funktionierenden Justiz ein. Die Justiz besteht ja nicht nur aus Richterinnen und Staatsanwälten, da sind sehr viele Berufsgruppen involviert. An erster Front natürlich die Rechtsanwälte, aber auch Notare und viele andere Gruppen: Bewährungshilfe, Dolmetscher, Sachverständige. Sie alle bemerken diese Verschlechterungen.
Davon müssen Sie die Politik überzeugen. Matejka: Ja. In Deutschland gab es den Pakt, den die Regierung geschlossen hat, um eine bessere Ausstattung der Justiz zu gewährleisten. Dort war die Situation und ist zum Teil noch extrem dramatisch. In Strafverfahren mussten U-Häftlinge zum Teil entlassen werden, weil die Ermittlungsverfahren zu lang gedauert haben. Und das aufgrund von Personalnot. Das ist eine Situation, in die wir in Österreich nicht geraten wollen.
Das Buwog-Verfahren gegen ExFinanzminister Karl-Heinz Grasser und andere scheint in Zeitlupe vor der staunenden Öffentlichkeit abzulaufen, die Zahl der Verhandlungstage ist dreistellig. Finden Sie das in Ordnung? Wolff: Ich nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, wird gegen Grasser schon seit mehr als zehn Jahren strafrechtlich ermittelt, und das ist untragbar. Es verstößt auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Matejka: Es gab zunächst lange Ermittlungen, bis es zu einer Anklage gekommen ist, wobei niemand der Staatsanwaltschaft vorwerfen kann, absichtlich langsam gehandelt zu haben. Es gab auch viele rechtliche Probleme, viele Auslandsbezüge, und es ist auch eine Ressourcenfrage: Wenn ich mit einem großen Team an einem Fall arbeiten kann, komme ich natürlich schneller voran, als wenn das nur einige wenige Personen sind. Rechtsanwälte sind mitunter bestrebt, die Verfahren im Interesse ihrer Mandanten in die Länge zu ziehen. Die vorsitzende Richterin ist natürlich mit so einem Riesenverfahren extrem belastet. Etwas anderes ist die Frage, ob man auch in der Prozessordnung ansetzen kann, um das Verfahren schneller voranzubringen, aber da geht es um die Abwägung zwischen Schnelligkeit des Verfahrens und Rechtsschutz für die Beschuldigten.
Befürworten Sie das? Matejka: Als Nichtstrafrechtlerin möchte ich mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber aus unserer Sicht könnten manche Einspruchsmöglichkeiten ein bisschen zurückgeschraubt werden. Wolff: Rechtsstaat und Rechtsstaatlichkeit heißt auch, den Mut zu einer unpopulären Entscheidung zu haben. Nämlich zum Beispiel das Strafverfahren gegen Karl-Heinz Grasser wegen überlanger Verfahrensdauer einzustellen. Man kann nicht einen Menschen zehn Jahre lang quälen mit Strafverfahren und strafrechtlichen Ermittlungen.
Das schlagen Sie hier und jetzt vor: das Verfahren einzustellen? Wolff: Ich bin zu wenig eingearbeitet, aber als Betrachter von außen ist dieses Verfahren zu lang.
Was gilt für die Mitangeklagten? Wolff: Wenn der Staat es nicht schafft, einen Menschen in schicklicher Zeit einer Straftat zu überführen und zu verurteilen, dann soll er die Finger davon lassen. Denn sonst ist es Ausübung von staatlicher Gewalt gegen den Betroffenen. Das sind Zustände, wie sie Franz Kafka beschrieben hat.
Was sagen Sie zum Einstellen? Matejka: Da sind wir im Spannungsfeld zwischen Verfahrensdauer und Einfluss der Verfahrensparteien. Gewisse Verzögerungen kommen ja durch diverse Rechtsbehelfe zustande oder durch eine nicht allzu große Kooperation mit der Staatsanwaltschaft.
Es kann ja nicht so funktionieren, dass ein Anwalt das Verfahren in die Länge zieht, bis er sagen kann, jetzt ist es zu lang. Wolff: Genau so funktioniert es. Denn der Anwalt setzt die verschiedenen Schritte nicht, um das Verfahren zu verzögern, sondern um sich für seinen Klienten einzusetzen, von dem er überzeugt ist, dass er die angelastete Straftat nicht begangen hat. Wir hatten einmal eine Justiz, die in der Lage war, einen Frachter aus dem indischen Ozean zu holen (die Lucona, 1977 zum Versicherungsbetrug versenkt, mit sechs Todesopfern, Anm.). Niemand kann mir sagen, die Beweisermittlung im Ausland ist so schwierig. Wenn sie so furchtbar lang dauert, muss man die Finger davon lassen.
Sie möchten der Politik die Justiz als Thema vorgeben. Mit dem Ibiza-Video und den Folgen bis hin zur Casino-Affäre ist die Politik Thema der Justiz geworden. Kommt sie damit gut zurande? Matejka: Die Justiz sollte nicht zum Wahlkampfthema gemacht werden, indem man ihr vorwirft, parteiisch zu sein. Unsere Unabhängigkeit ist uns wichtig. Es ist aber auch wichtig, dass es ein Bekenntnis aller Parteien gibt, der Justiz die Ausstattung zu gewährleisten, damit sie ihre verfassungsgemäße Aufgabe als dritte Staatsgewalt erfüllen kann.
Meine Frage war, ob die Justiz gut mit der Prüfung politischer Vorgänge umgeht. Entsteht für den Beobachter nicht der Eindruck eines unkoordinierten und willkürlichen Vorgehens? Beim Anwalt, der das Ibiza-Video mitorganisiert haben soll, werden Monate, nachdem er das gestanden hat, Hausdurchsuchungen gemacht; auf der anderen Seite gibt es bei Strache und Co. plötzlich Hausdurchsuchungen wegen eines Postenschachers, wie ihn wohl alle Regierungen der Vergangenheit praktiziert haben. Matejka: Wir tun uns alle schwer, diese Vorgänge bei der Staatsanwaltschaft inhaltlich zu bewerten, weil wir ihren Informationsstand nicht kennen, wie viele Beweise sie hatte, um solche Maßnahmen zu setzen. Eine Hausdurchsuchung ist ja ein schwerer Eingriff. Man muss da ein gewisses Grundvertrauen in die ordentliche Arbeit der Justiz verlangen. Es können auch nicht alle Informationen so publik gemacht werden, wie das die Medien und interessierte Bürger gern hätten, weil man so seine Ermittlungen vielleicht behindert oder unmöglich macht. Wenn Politiker und Parteien Verdächtigungen äußern, dass man politisch motiviert wäre, zerstört das genau das Vertrauen, das wir für unsere Arbeit brauchen. Wolff: Ich teile Ihr Statement, dass man den Eindruck haben könnte, da läuft etwas schief. Gleichzeitig unterstütze ich das, was Präsidentin Matejka sagte: dass man der Rechtsstaatlichkeit Respekt und Vertrauen schuldet. Und dass man dieses Vertrauen aufrechterhalten muss, selbst dann, wenn ein anderer Anschein besteht. Ähnlich wie man gegenüber den Ärzten Vertrauen haben kann, obwohl auch Ärzte hin und wieder Wattebäuschchen im Magen vergessen. Die Justiz hat Vertrauen verdient. Das bekommt sie aber nur dann, wenn sie gute Arbeit leistet und ausreichend dotiert ist.