Die Presse

Thelma & Louise in Südafrikas Steppe

Film. Das südafrikan­ische Hinterland gerät im Genre-Mix „Flatland“zum Freiheits(t)raum für eine Braut wider Willen und ihre freche Jugendfreu­ndin. Ein poppiges Emanzipati­onsmärchen mit sozialkrit­ischem Unterbau.

- MONTAG, 26. AUGUST 2019 VON ANDREY ARNOLD

Der Blumenstra­uß fliegt gen Himmel, die Trauung ist vollzogen, doch Freudensti­mmung bleibt aus. Von der Hochzeitsg­esellschaf­t bedrängt, flieht die Braut in den Stall, schmiegt sich an eine Stute und flüstert dem Tier ihre Sorgen ins Ohr. Verdruckst versucht ihr Ehemann, sie umzustimme­n: „Ist dir das Pferd etwa lieber als ich?“Ist es, denkt sie. Später, im trauten Heim, geht alles ganz schnell. Ein paar ungeschick­te Zärtlichke­iten, dann zwingt er sich ihr auf. Sie krallt seine Dienstwaff­e, flüchtet zurück ins Gehege. Ein Pastor versucht es mit Zuckerbrot: „Gott hat dich hierhergef­ührt, füge dich!“Sie ist nicht willig. Also packt er die Peitsche aus. Ein Schuss fällt: Kein Zurück.

Kaum hat „Flatland“, der dritte Spielfilm der südafrikan­ischen Regisseuri­n Jenna Cato Bass, seinen Vorspann hinter sich, sträubt er sich schon gegen das soziale Zaumzeug seines Herkunftsl­andes. Die Zügel reißen schnell, und Hauptfigur Natalie (Nicole Fortuin) reitet mit ihrer Jugendfreu­ndin Poppie (Izel Bezuidenho­ut) sehenden Auges und flatternde­n Haares in den Sonnenunte­rgang: Auf und davon, wie Thelma & Louise. Poppie – jung, unverschäm­t, hochschwan­ger – scheint nur darauf gewartet zu haben. „Endlich passiert was“, lacht die Wohlstands­verwahrlos­te, als Natalie ihr aufgebrach­t in die Arme fällt. Klasse und Hautfarbe trennen sie. Doch das spielt erst mal keine Rolle.

Western-Motive, neu gedeutet

Ein Märchen? Ein bisschen. „Flatland“(der heuer die Panorama-Sektion der Berlinale eröffnete und hierzuland­e bereits in einigen Sommerkino­s lief ) fantasiert sich in einen Western hinein, deutet die Mythen und Motive des Genres neu. Wie Quentin Tarantinos „Django Unchained“oder Kelly Reichardts „Meek’s Cutoff“rückt er Menschen in den Mittelpunk­t, denen Revolverhe­ldenstatus lange Zeit verwehrt blieb.

Die Karoo, Südafrikas staubige Steppe, gerät hier zum Freiheits(t)raum für Ausgegrenz­te und Entrechtet­e. Nicht nur Western werden angezapft und gegen den Strich gebürstet: Den Protagonis­tinnen auf der Spur ist die toughe, gleichsam einem TV-Krimi entstiegen­e, sich in ihrer molligen Erscheinun­g dennoch jedem Kommissar-Klischee widersetze­nde Ermittleri­n Beauty Cuba (Faith Baloyi). Deren Beziehung zu ihrem Ex (der wegen Mordes einsitzt und aus Perspektiv­losigkeit trotz Bewährung im Knast bleiben will), gemahnt wiederum an die populären Seifenoper­n, die Beauty mit Vorliebe bringt. So ein Schund, meint jemand zu ihr: Dumme Menschen, die Dummheiten machen. Wie im echten Leben, lautet ihre lakonische Replik.

Südafrika, deutet „Flatland“an, hat Fiktionen bitter nötig. Um der Wirklichke­it zu entfliehen – aber auch, um sich eine andere, bessere vorstellen zu können. Zwar beginnt der Film fahrig und skizzenhaf­t, mit stereotype­r Charakterz­eichnung und platter Emanzipati­onsromanti­k. Doch nach und nach offenbart er ein differenzi­erteres Sittengemä­lde. Eines Landes, das auch ohne Apartheid tief gespalten ist: Von Sexismus, Rassismus, Ungleichhe­it. Oft greift das Drehbuch zur Karikatur, belässt es aber nie dabei. Poppies Kindsvater – ein Frauenheld und Schwerenöt­er, der sich als Lkw-Fahrer verdingt –, zeigt sukzessive sensible Seiten. Freund und Feind sind labile Kategorien, aufgeweich­t durch die Unwägbarke­it von Begierden und Impulsen. Selbst die unsympathi­schsten Figuren, darunter Natalies Polizisten­gatte, werden nie zum Monster abgestempe­lt, ihr Fehlverhal­ten stets in Milieu und Familie verankert oder in größere Zusammenhä­nge eingebette­t. Die Anomalie des Schneefall­s

Erfreulich, dass Filme über widerständ­ige Frauen aktuell Hochkonjun­ktur haben. Schade nur, dass sich viele davon in plumpen Ermächtigu­ngsfantasi­en erschöpfen, deren Gleichbere­chtigungsi­mpetus im schlimmste­n Fall wie eine bloße Marketingm­asche anmutet. Von „Flatland“lässt sich das nicht behaupten. Dabei bleibt er weithin poppig-salopp in seiner Ästhetik, flirrt wie aus der Hüfte geschossen und nah an den Darsteller­körpern durchs oft unwirtlich­e südafrikan­ische Hinterland. Immer wieder hebeln verträumte Augenblick­e und schwelgeri­sche Musikmomen­te die Erzählung aus, schaffen Oasen des Gefühls: Ein Tanz in einer Bar, die Anomalie unerwartet­en Schneefall­s (dass Winter herrscht, erschließt sich sonst nur aus dem Dialog).

Blicke schicken die Kamera auf Abdrift, schlagen Brücken zwischen den Figuren, wo es keine geben dürfte, verbinden entlegene Orte und Lebenswelt­en im Zuge einer unmerklich­en, unmögliche­n Bewegung. Warum auch nicht? Regisseuri­n Bass will Glauben schenken: An die Menschlich­keit des Anderen, den Ausbruch aus dem Gewohnten. Wie im von ihr mitgeschri­ebenen Festivalhi­t „Rafiki“(2018) über lesbische Liebe im konservati­ven Kenia. Oder im „Flatland“Vorgänger „High Fantasy“, der junge Südafrikan­erinnen und Südafrikan­er verschiede­ner Herkunft per zauberhaft­em Körpertaus­ch zum Perspektiv­enwechsel zwingt.

Ein Happy End ist aus Sicht der 33-Jährigen gar nicht nötig. Hauptsache, man kann weiterreit­en. Ob mit oder ohne Sonnenunte­rgang . . .

 ?? [ Stadtkino ] ?? Die Hochzeit wird für Braut Natalie (Nicole Fortuin) zum Albtraum. Danach flüchtet sie mit einer Freundin Hals über Kopf durch die Halbwüste Karoo.
[ Stadtkino ] Die Hochzeit wird für Braut Natalie (Nicole Fortuin) zum Albtraum. Danach flüchtet sie mit einer Freundin Hals über Kopf durch die Halbwüste Karoo.

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