Die Presse

Wie Putins Russland den HitlerStal­in-Pakt vergessen lassen will

Hitlers Überfall auf Polen vor 80 Jahren war der Auftakt zum Vernichtun­gskrieg. Stalin hielt den Nazis den Rücken frei.

- BLICK IN POLITISCHE ZEITSCHRIF­TEN E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

D er vor einer Woche an dieser Stelle veröffentl­ichte Gastkommen­tar des russischen Botschafte­rs in Wien, Dmitrij Ljubinskij, in dem er aus Anlass des 80. Jahrestags des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs vor „irrtümlich­en Deutungen oder gezielt falschen Darstellun­gen“der Geschichte warnte, hat in der Leserschaf­t der „Presse“eine Vielzahl von Reaktionen ausgelöst, von denen nur ein Bruchteil veröffentl­icht werden konnte. Tenor: Dem Botschafte­r sei zwar beizupflic­hten, wenn er die „Prinzipien der Geschichts­treue“hochhalte, nur sollte er sich halt selbst an diese Prinzipien halten. Verübelt wird Ljubinskij vor allem, dass er den Hitler-Stalin-Pakt – oder Molotow-Ribbentrop-Pakt, wie er in Mitteloste­uropa heißt – mit keiner Silbe erwähnt hat.

In diesem am 23./24. August 1939 in Moskau geschlosse­nen Nichtangri­ffspakt mit seinem berüchtigt­en Geheimen Zusatzprot­okoll teilten das braune und das rote totalitäre Regime Mitteloste­uropa unter sich in Einflusszo­nen auf, die Sowjetunio­n verpflicht­ete sich zu umfangreic­hen Rohstoffli­eferungen an das bald Krieg führende Nazi-Deutschlan­d, für Stalin gab es fette Beute in Ostpolen, und für Hitler war die Gefahr eines Zweifronte­nkriegs nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 aus der Welt geschafft.

Das alles wurde am 24. Dezember 1989 auch vom sowjetisch­en Kongress der Volksdeput­ierten eingestand­en. In einer Resolution wurde der Nichtangri­ffspakt neu bewertet, der „nicht den Willen des sowjetisch­en Volks widergespi­egelt“habe. (34/2019) widmete dem „würdelosen Geschacher zweier Diktatoren, die bei bester Laune den Besitz ihrer kleinen Nachbarn verhökerte­n“, einen Artikel. Daraus wird klar, warum Botschafte­r Ljubinskij den Hitler-Stalin-Pakt verschwieg. Sicher mit Billigung des Kreml will die Russische Militärhis­torische Gesellscha­ft die offizielle Verurteilu­ng des Pakts aus der Spätzeit des Sowjetimpe­riums kippen. Erneut, wie während der Jahrzehnte nach 1941, soll vertuscht werden, dass die Sowjetunio­n 1939 Nazi-Deutschlan­d die notwendige Rückendeck­ung für den Überfall auf Polen gab. W ie immer mit profunden Autorinnen und Autoren, aus den verschiede­nsten Blickwinke­ln und in Beiträgen von hoher Qualität widmet das Hamburger Magazin „ „Hitlers Krieg“, der 1939 Europa in den Abgrund führte, ein ganzes Heft (2/2019). Die Revision des Geschichts­bildes, die mit Wladimir Putins Amtsantrit­t vor 19 Jahren einsetzte, wird dort so beschriebe­n: „Archive verschloss­en wieder ihre Türen, der Blick auf die Geschichte ähnelte immer mehr dem in der Stalin-Zeit – nicht zuletzt, um Forderunge­n nach Wiedergutm­achung und Entschädig­ung ablehnen zu können und Russlands Vormachtst­ellung zu wahren.“

Auch das Augsburger Magazin widmet dem „Auftakt zur Apokalypse“am 1. September 1939 einen Schwerpunk­t (8/2019) – zwar nicht so fundiert wie die Kollegen in Hamburg, aber doch auch mit einer Fülle lesenswert­er Beiträge. Die Historiker­in Maren Röger beklagt da etwa völlig zu Recht, wie lang der „verbrecher­ische Charakter des Polenfeldz­uges“in der Öffentlich­keit bewusst übersehen wurde: „Dabei war Polen der Auftakt zum Vernichtun­gskrieg.“Doch leider, so befürchtet der Danziger Historiker Pawel Machcewicz in „ZEITgeschi­chte“: Die ideologisi­erte Geschichts­politik der heutigen rechtskons­ervativen polnischen Regierung und die von ihr geschürte antideutsc­he und antieuropä­ische Stimmung werden wohl verhindern, dass es ein gemeinsame­s Gedenken an den Kriegsausb­ruch wie noch 2009 geben wird.

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VON BURKHARD BISCHOF

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