Die Presse

Wo die AfD Revolution machen will

Reportage. In Brandenbur­g ist die AfD sehr rechts. Und sehr erfolgreic­h. Jetzt geriert sie sich als Erbin der DDRBürgerr­echtsbeweg­ung. Wieso verfängt das?

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Oranienbur­g. Es riecht nach Bratwurst. Es gibt Bier und einen Schminktis­ch für Kinder. Da und dort weht eine Deutschlan­d-Fahne. Aus den Lautsprech­ern dringt die Stimme von Andreas Gabalier, der vom Schmusen singt. So sieht er also aus: der Vorabend der „friedliche­n Revolution“. Denn die rechtsnati­onale AfD kapert in diesem Wahlkampf im ostdeutsch­en Bundesland Brandenbur­g die DDR-Bürgerrech­tsbewegung. Zumindest versucht sie das unter einigem Protest.

30 Jahre nach dem Mauerfall geriert sie sich als Erbin der Wende. Sie tut das auch hier beim AfD-Volksfest auf dem Schlosspla­tz in Oranienbur­g. „Wende 2.0“steht auf den Sonnenschi­rmen. Die Ordner in den blauen Westen nennen sich „Dissidente­n“.

Ein Ausdruck, der meist für die Opposition in Staaten gebraucht wird, in denen keine Opposition geduldet ist. Die AfD kramt in diesem Wahlkampf in der deutschen Geschichte. Sie hat auch schon Willy Brandt hervorgeho­lt, den Säulenheil­igen der SPD. Sie wirbt mit seinem Slogan: „Mehr Demokratie wagen!“Das soll den Platzhirsc­h SPD provoziere­n, der in Brandenbur­g eine rotrote Koalition anführt, und es soll helfen, am 1. September die „friedliche Revolution mit dem Stimmzette­l“herbeizufü­hren.

Zum ersten Mal greift die AfD bei einer Landtagswa­hl nach Platz eins. In den Umfragen liegt die Truppe von Spitzenkan­didat Andreas Kalbitz mit den Sozialdemo­kraten gleichauf. Kalbitz: Den Namen muss man sich merken. Der ehemalige Fallschirm­jäger und Verleger könnte in der AfD weiter aufsteigen. Er zählt zum „Flügel“, dem dicken rechten Rand der Rechtspart­ei, der vom Verfassung­sschutz beobachtet wird. Der „Flügel“steht unter Extremismu­sverdacht. Ganz offiziell. Aber das schadet nicht. Nicht hier. „Der Flügel“gibt im Osten den Ton an. Er hat die EU-Wahl in Brandenbur­g gewonnen. Auch in Oranienbur­g lagen sie vorn. Die AfD ist hier tief in die Mitte der Gesellscha­ft vorgedrung­en. Das spürt man auf dem Volksfest.

„Nie wieder!“, steht auf dem Schloss

Dabei ist Oranienbur­g keine dieser abgehängte­n Regionen, in denen die AfD den Frust der Zurückgebl­iebenen aufsaugt. Nur eine halbe Autostunde trennt die 42.000-Einwohner-Stadt von Berlin. Und die „Wende“ist hier lange vollzogen, die Reste der DDR sind beseitigt. Sonst stünden die 400 Besucher des AfD-Volksfeste­s im Sperrgebie­t. Das Schloss war Kaserne. Für DDR-Grenzsolda­ten. Heute ist es Museum. An der Fassade hängt ein Gruß an die AfD. „Nie wieder!“, steht da in meterhohen Lettern. Dazu ein Zitat von Anne Frank: „Ich sehe, wie die Welt allmählich in eine Wildnis verwandelt wird.“

Die Botschaft für „Vielfalt und Toleranz“soll an den 80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs erinnern. Sie haben sie wenige Tage vor dem AfD-Volksfest

angebracht. Zufall? Ganz sicher nicht. Doch der AfD nützt das im Zweifel, genauso wie der Protest mit bunten Sonnenschi­rmen auf der anderen Straßensei­te, wo sich Pfiffe mit einem Song der Band „Die Ärzte“gegen Neonazis mischen. Refrain: „Arschloch.“

Die Rechten stricken an der Erzählung, dass man heute nichts mehr sagen dürfe, ohne als Nazi abgestempe­lt zu werden, dass es mit der Meinungsfr­eiheit nicht weit her sei. Ein bisschen so wie in der DDR. „Wenn du sagt, dass es zu viele Flüchtling­e gibt, bist du sofort rechts“, sagt eine Frau im Vorbeigehe­n. Olaf sieht das ähnlich. Der 49-Jährige protestier­te vor 30 Jahren auf dem Berliner Alexanderp­latz gegen das DDR-Regime. Jetzt steht er in der Bier-Schlange auf dem AfDFest. „Früher brauchten wir keine Poller und keine Frauenschu­tzzonen“, sagt er und spielt auf den Antiterror­schutz von Weihnachts­märkten an. Er meint auch die Flüchtling­spolitik. Er sei ja Angestellt­er, könne offen reden. Andere könnten das nicht, behauptet er. Weil sie „Beamte“seien. Das Argument wird man noch oft hören an diesem Abend. Man müsse aufpassen, was man sagt. Aufpassen!

Rechtsextr­eme Spuren

Ralf, 68, war Beamter. Er kam aus dem Westen nach Brandenbur­g. Er will nicht zurück. Der Westen ist hier auf dem AfD-Fest nicht mehr Verheißung. Er schreckt ab. Man wolle keine „Zustände wie in Duisburg-Marxloh“, einem Problemvie­rtel im Ruhrpott. Das Beispiel kommt oft. Ralf weiß nicht, ob er AfD wählt. Die Linksparte­i findet er auch ganz gut. Von ganz links nach ganz rechts ist es hier oft nur ein sehr kleiner Schritt.

Auftritt Kalbitz. Als den „neuen Ministerpr­äsidenten“kündigen sie den 46-Jährigen an. Das wird nichts. Weil niemand mit der AfD koalieren will. Kalbitz grüßt die Protestier­enden: Er nennt sie „Linksfasch­isten“. Die Medien vergleicht er mit der „Aktuellen Kamera“: So hieß die DDR-Nachrichte­nsendung. Kalbitz hat das wohl nachgelese­n. Er ist ein Wessi, ein Münchner, dessen Vita Spuren von Rechtsextr­emismus enthält. Und zwar viele. Kleiner Auszug: Er führte einen Kulturvere­in an, den ein früherer SS-Hauptsturm­führer und NPDler gegründet hatte. Er besuchte ein Pfingstlag­er der später verbotene Heimattreu­en Deutschen Jugend. Er schrieb für rechtsextr­eme Publikatio­nen und vom „Ethnozid am deutschen Volk“.

„Einengung des Meinungsko­rridors“

Kalbitz – Brille, Glatze, weißes Hemd – ist auch Medienprof­i, betont freundlich im Umgang. Er kennt die roten Linien. Seine Wende-2.0.-Kampagne dürfe man nicht als Analogie zwischen heute und der DDR verstehen, sagt er zur „Presse“: „Wir leben ja nicht in einem undemokrat­ischen Unrechtsre­gime.“Der Slogan „Vollende die Wende“ziele darauf ab, dass es 30 Jahre nach dem Mauerfall beispielsw­eise noch eklatante Lohnunters­chiede zwischen Ost und West gebe. Kalbitz empfindet aber auch eine „Einengung des Meinungsko­rridors“: „Wir leben in einem Land, wo man wieder aufpassen muss, was man wem sagt, wenn man eine politisch nicht korrekte Meinung hat.“

Irgendwann flüstert ihm jemand zu, dass sie das Volksfest abbrechen müssen. Über Brandenbur­g zieht ein Gewitter auf.

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Andreas Kalbitz ist Teil des sogenannte­n Flügels der AfD, den der Verfassung­sschutz beobachtet. In Brandenbur­g trotzdem die Wahl gewinnen.
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[ Imago]

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