Wo die AfD Revolution machen will
Reportage. In Brandenburg ist die AfD sehr rechts. Und sehr erfolgreich. Jetzt geriert sie sich als Erbin der DDRBürgerrechtsbewegung. Wieso verfängt das?
Oranienburg. Es riecht nach Bratwurst. Es gibt Bier und einen Schminktisch für Kinder. Da und dort weht eine Deutschland-Fahne. Aus den Lautsprechern dringt die Stimme von Andreas Gabalier, der vom Schmusen singt. So sieht er also aus: der Vorabend der „friedlichen Revolution“. Denn die rechtsnationale AfD kapert in diesem Wahlkampf im ostdeutschen Bundesland Brandenburg die DDR-Bürgerrechtsbewegung. Zumindest versucht sie das unter einigem Protest.
30 Jahre nach dem Mauerfall geriert sie sich als Erbin der Wende. Sie tut das auch hier beim AfD-Volksfest auf dem Schlossplatz in Oranienburg. „Wende 2.0“steht auf den Sonnenschirmen. Die Ordner in den blauen Westen nennen sich „Dissidenten“.
Ein Ausdruck, der meist für die Opposition in Staaten gebraucht wird, in denen keine Opposition geduldet ist. Die AfD kramt in diesem Wahlkampf in der deutschen Geschichte. Sie hat auch schon Willy Brandt hervorgeholt, den Säulenheiligen der SPD. Sie wirbt mit seinem Slogan: „Mehr Demokratie wagen!“Das soll den Platzhirsch SPD provozieren, der in Brandenburg eine rotrote Koalition anführt, und es soll helfen, am 1. September die „friedliche Revolution mit dem Stimmzettel“herbeizuführen.
Zum ersten Mal greift die AfD bei einer Landtagswahl nach Platz eins. In den Umfragen liegt die Truppe von Spitzenkandidat Andreas Kalbitz mit den Sozialdemokraten gleichauf. Kalbitz: Den Namen muss man sich merken. Der ehemalige Fallschirmjäger und Verleger könnte in der AfD weiter aufsteigen. Er zählt zum „Flügel“, dem dicken rechten Rand der Rechtspartei, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der „Flügel“steht unter Extremismusverdacht. Ganz offiziell. Aber das schadet nicht. Nicht hier. „Der Flügel“gibt im Osten den Ton an. Er hat die EU-Wahl in Brandenburg gewonnen. Auch in Oranienburg lagen sie vorn. Die AfD ist hier tief in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Das spürt man auf dem Volksfest.
„Nie wieder!“, steht auf dem Schloss
Dabei ist Oranienburg keine dieser abgehängten Regionen, in denen die AfD den Frust der Zurückgebliebenen aufsaugt. Nur eine halbe Autostunde trennt die 42.000-Einwohner-Stadt von Berlin. Und die „Wende“ist hier lange vollzogen, die Reste der DDR sind beseitigt. Sonst stünden die 400 Besucher des AfD-Volksfestes im Sperrgebiet. Das Schloss war Kaserne. Für DDR-Grenzsoldaten. Heute ist es Museum. An der Fassade hängt ein Gruß an die AfD. „Nie wieder!“, steht da in meterhohen Lettern. Dazu ein Zitat von Anne Frank: „Ich sehe, wie die Welt allmählich in eine Wildnis verwandelt wird.“
Die Botschaft für „Vielfalt und Toleranz“soll an den 80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs erinnern. Sie haben sie wenige Tage vor dem AfD-Volksfest
angebracht. Zufall? Ganz sicher nicht. Doch der AfD nützt das im Zweifel, genauso wie der Protest mit bunten Sonnenschirmen auf der anderen Straßenseite, wo sich Pfiffe mit einem Song der Band „Die Ärzte“gegen Neonazis mischen. Refrain: „Arschloch.“
Die Rechten stricken an der Erzählung, dass man heute nichts mehr sagen dürfe, ohne als Nazi abgestempelt zu werden, dass es mit der Meinungsfreiheit nicht weit her sei. Ein bisschen so wie in der DDR. „Wenn du sagt, dass es zu viele Flüchtlinge gibt, bist du sofort rechts“, sagt eine Frau im Vorbeigehen. Olaf sieht das ähnlich. Der 49-Jährige protestierte vor 30 Jahren auf dem Berliner Alexanderplatz gegen das DDR-Regime. Jetzt steht er in der Bier-Schlange auf dem AfDFest. „Früher brauchten wir keine Poller und keine Frauenschutzzonen“, sagt er und spielt auf den Antiterrorschutz von Weihnachtsmärkten an. Er meint auch die Flüchtlingspolitik. Er sei ja Angestellter, könne offen reden. Andere könnten das nicht, behauptet er. Weil sie „Beamte“seien. Das Argument wird man noch oft hören an diesem Abend. Man müsse aufpassen, was man sagt. Aufpassen!
Rechtsextreme Spuren
Ralf, 68, war Beamter. Er kam aus dem Westen nach Brandenburg. Er will nicht zurück. Der Westen ist hier auf dem AfD-Fest nicht mehr Verheißung. Er schreckt ab. Man wolle keine „Zustände wie in Duisburg-Marxloh“, einem Problemviertel im Ruhrpott. Das Beispiel kommt oft. Ralf weiß nicht, ob er AfD wählt. Die Linkspartei findet er auch ganz gut. Von ganz links nach ganz rechts ist es hier oft nur ein sehr kleiner Schritt.
Auftritt Kalbitz. Als den „neuen Ministerpräsidenten“kündigen sie den 46-Jährigen an. Das wird nichts. Weil niemand mit der AfD koalieren will. Kalbitz grüßt die Protestierenden: Er nennt sie „Linksfaschisten“. Die Medien vergleicht er mit der „Aktuellen Kamera“: So hieß die DDR-Nachrichtensendung. Kalbitz hat das wohl nachgelesen. Er ist ein Wessi, ein Münchner, dessen Vita Spuren von Rechtsextremismus enthält. Und zwar viele. Kleiner Auszug: Er führte einen Kulturverein an, den ein früherer SS-Hauptsturmführer und NPDler gegründet hatte. Er besuchte ein Pfingstlager der später verbotene Heimattreuen Deutschen Jugend. Er schrieb für rechtsextreme Publikationen und vom „Ethnozid am deutschen Volk“.
„Einengung des Meinungskorridors“
Kalbitz – Brille, Glatze, weißes Hemd – ist auch Medienprofi, betont freundlich im Umgang. Er kennt die roten Linien. Seine Wende-2.0.-Kampagne dürfe man nicht als Analogie zwischen heute und der DDR verstehen, sagt er zur „Presse“: „Wir leben ja nicht in einem undemokratischen Unrechtsregime.“Der Slogan „Vollende die Wende“ziele darauf ab, dass es 30 Jahre nach dem Mauerfall beispielsweise noch eklatante Lohnunterschiede zwischen Ost und West gebe. Kalbitz empfindet aber auch eine „Einengung des Meinungskorridors“: „Wir leben in einem Land, wo man wieder aufpassen muss, was man wem sagt, wenn man eine politisch nicht korrekte Meinung hat.“
Irgendwann flüstert ihm jemand zu, dass sie das Volksfest abbrechen müssen. Über Brandenburg zieht ein Gewitter auf.