Die Presse

„Türkei bleibt wichtiger Nato-Partner“

Interview. Nato-Spitzenbea­mtin Benedetta Berti über Ankaras Kauf russischer Raketenabw­ehr, die Iran-Krise und die Notwendigk­eit, China in die globale Rüstungsko­ntrolle einzubinde­n.

- VON DUYGU ÖZKAN

Die Presse: Wie eisig ist die Stimmung zwischen der Türkei und dem Nato-Hauptquart­ier, nachdem Ankara trotz Warnungen das russische Raketenabw­ehrsystem S-400 gekauft hat? Benedetta Berti: Wir haben das genau überwacht. Aber von der Nato-Perspektiv­e aus handelt es sich nicht um eine Krise der Allianz, sondern um eine bilaterale Angelegenh­eit zwischen der Türkei und den Vereinigte­n Staaten (Parallel zu diesem Kauf erwarb Ankara amerikanis­che F-35-Jets, Anm.). Generell lautet die NatoPhilos­ophie, dass alle Geräte kompatibel sein müssen, damit die Zusammenar­beit effektiv bleibt. Das ist bei S-400 nicht der Fall. Wir wollen aber sichergehe­n, dass die künftigen Einkäufe der Türkei kompatibel sind.

Besteht nicht die Gefahr, dass über die Türkei detaillier­te Informatio­nen über Nato-Geräte nach Moskau gelangen? Die Türkei ist, auch historisch gesehen, ein sehr wichtiger NatoPartne­r. Am generellen Bekenntnis des Landes zur Nato hat sich nichts geändert, etwa, was die finanziell­en Ausgaben oder das Engagement bei Missionen betrifft.

Engagement schien die Türkei wiederum nicht zu zeigen, als es zwischen Berlin und Ankara zu einer diplomatis­chen Krise kam und Deutschlan­d folglich Bundeswehr­soldaten von der türkischen Nato-Base Incirlik abziehen musste. Bilaterale Spannungen zwischen Partnern haben sich immer durch die Nato-Geschichte gezogen, wir sind das gewohnt. Ja, diese Konflikte sind echt, aber wir haben gemeinsame strategisc­he Interessen. Wenn es um den Schutz des euroatlant­ischen Raumes geht, brauchen wir alle Partner. Die Türkei im Süden, Norwegen im Norden, die USA und Kanada in Übersee.

Also wird es in naher Zukunft keine Konsequenz­en für die Türkei geben? Das wird wohl großteils davon abhängen, wie sich die USA und die Türkei zusammenfi­nden. Wir arbeiten im Konsens. Es gibt keine Entscheidu­ng, bevor nicht alle 29 Mitgliedst­aaten zustimmen. Die Türkei selbst auch. Deswegen gehen Mechanisme­n wie Sanktionen gegen einzelne Mitgliedst­aaten, wie das in der EU passiert, nicht. Transatlan­tische Differenze­n betreffen auch den Iran und die USAufkündi­gung des Atomdeals. Ist der Iran aktuell die größte Gefahr, deren Sprengkraf­t über den Nahen Osten hinausgeht? Die Nato war kein Teil der Verhandlun­gen und hat daher keine Richtlinie dazu. Aber die Ansicht, dass ein nuklear aufgerüste­ter Iran destabilis­ierend für die Region ist, teilen wohl alle Mitgliedst­aaten: Der Iran kann andere Länder ermutigen, ebenfalls nukleare Waffen zu produziere­n. Irans Aktivitäte­n in Syrien und seine Unterstütz­ung der Hisbollah sind nicht hilfreich.

Seit Auslaufen des INF-Abrüstungs­vertrages für Mittelstre­ckenrakete­n zwischen der Sowjetunio­n und den USA wird nach Modellen für einen neuen Vertrag gesucht. Es ergibt wenig Sinn, ohne China, Indien oder Pakistan über globale Rüstungsko­ntrolle zu reden. Bisher hat China kein großes Interesse gezeigt, sich zu beteiligen. Was das Ende des Vertrags betrifft: Die Nato hat die USA unterstütz­t, da Russland sich schon 2008 nicht an den Vertrag gehalten hat.

Das verpflicht­ende Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigu­ngsausgabe­n erreichen viele NatoMitgli­eder nicht. Donald Trump fordert das aber mit Nachdruck. Es stimmt, dass diese US-Regierung das Thema direkt und plump adressiert hat, aber er ist bei Weitem nicht der erste US-Präsident mit dieser Forderung. Die Bürde zwischen den USA und Europa ist nicht gleich verteilt. Aber es gab Fortschrit­te: Seit 2014 steigen die Ausgaben der Europäer.

Also hat Trump für die Nato ein Momentum geschaffen? Das mag sein, aber er war nicht der einzige Faktor. Die weltweite Lage ist gefährlich­er geworden.

leitet die Policy Planning Unit in der Nato-Zentrale in Brüssel. Zuvor war sie in NGOs sowie in Forschungs­instituten im Nahen Osten, in Südamerika sowie in den USA tätig und beschäftig­te sich vor allem mit der Stabilisie­rung in Post-Konflikt-Ländern sowie mit Menschenre­chten.

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