Kann man Staatsschulden einfach streichen?
Schulden. Die EZB ist größter Gläubiger der Eurostaaten geworden. Das bringt sie verstärkt unter politischen Einfluss und weckt Begehrlichkeiten, etwa nach Staatsschuldengarantien und Schuldenstreichung. Ein brandgefährliches Szenario.
Zu Jahresbeginn hatte die EZB ihre Staatsanleihenkäufe eingestellt, doch schon jetzt, ein paar Monate später, zeichnet sich deren Wiederaufnahme ab. Offenbar sehen die Notenbanker keinen anderen Weg, die nahende Rezession zu bekämpfen.
Das könnte durchaus zum Problem werden. Denn die Notenbanken sind in den
wichtigsten Regionen schon jetzt zum größten Kreditgeber für Staaten aufgestiegen. Zwar nicht direkt, das wäre ja Staatsfinanzierung aus der Notenpresse. Aber indirekt, indem sie Banken Staatsanleihen abkaufen.
Die Volumina sind schon gewaltig: Im Portfolio der EZB liegen bereits 2,6 Billionen Euro (2600 Mrd. Euro) an Euro-Staatsanleihen. Das entspricht knapp mehr als einem Viertel der gesamten Staatsschulden aller Euroländer.
Genaugenommen kauft allerdings nicht die EZB, sondern die im Eurosystem zusammengeschlossenen nationalen Notenbanken. Auf diese Weise ist zum Beispiel die Oesterreichische Nationalbank mit einem Volumen von 57 Mrd. Euro der bei Weitem größte Einzelgläubiger der Republik.
Die Eurozone ist freilich keine Ausnahme: Nach einer Studie der Scope Group halten die vier großen Notenbanken – Fed, EZB, Bank of Japan und Bank of England – bereits 9000 Mrd. Euro an Staatsanleihen ihrer jeweiligen Währungsräume. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise von elf Jahren hat sich dieser Wert verachtfacht. Und es wird in diesem Stil weitergehen, denn ein anderes Mittel gegen Wirtschaftsabschwünge fällt den Notenbankern offenbar nicht mehr ein.
Das bringt jetzt eine Reihe von gravierenden Problemen mit sich. Denn der eigentliche Sinn dieses „Quantitative Easing“Programms wurde ja nicht erfüllt: Die Staaten haben die Geldschwemme bei zuerst Billig- und später Nullzinsen nicht wie beabsichtigt als willkommene Atempause für anstehende Strukturreformen genutzt, sondern sind eher auf Ausgabengeschmack gekommen. Dafür wurden eine Reihe von Marktirritationen ausgelöst:
I Private und nicht staatliche institutionelle Investoren wurden de facto aus dem Staatsanleihenmarkt gedrängt. Das trifft besonders Versicherungen und Pensionskassen. I Gleichzeitig wurden die Renditen der Staatsanleihen auf Werte gedrückt, die ihr Risiko nicht mehr widerspiegeln. Das trifft noch einmal die Pensionskassen stark, die jetzt auf riskantere Märkte ausweichen müssen. Private Altersvorsorge wird dadurch mit wesentlich größeren Risken belastet.
Das große Exposure gegenüber staatlichen Kreditnehmern treibt die formell unabhängigen Notenbanken in immer größere Abhängigkeit der Politik und deren Bedürfnisse – die nicht immer nach wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet sind.
Das ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Bisher hat die Gelddruckerei zumindest aus Sicht der Schuldenmacher ja halbwegs funktioniert, in Japan sogar schon sehr lang. Und die Möglichkeit, sich praktisch zinsenlos weiter zu verschulden, trübt den Blick für die damit verbundenen Risken.
Am deutlichsten sichtbar sind diese zurzeit in Italien, wo Lega-Chef Salvini allen Ernstes gefordert hat, die EZB möge künftig für alle Staatsschulden garantieren, um die – wegen der lockeren Fiskalpolitik vergleichsweise hohen – italienischen Zinsen noch weiter zu drücken. Und ebenfalls aus Italien kommt die Forderung, die EZB möge die in ihrem Besitz befindlichen Staatsanleihen für kraftlos erklären, also 2600 Mrd. Euro an Staatsschulden einfach streichen.
Das könnte sie als Zentralbank tatsächlich, und vorerst würde nicht mehr passieren, als dass die Bilanz der EZB kleiner würde. Allerdings: Das wäre wirklich direkte Staatsfinanzierung aus der Notenpresse. Und würde nicht nur geltendes Recht brechen (was in der Eurozone, siehe Maastricht-Regeln, allerdings noch nie wirklich sanktioniert wurde), sondern wohl auch geradewegs in die Währungsreform führen.
Direkte Staatsfinanzierung ist nämlich schon oft versucht wurden – von der Weimarer Republik bis zu Simbabwe und Venezuela. Und sie hat bisher ausnahmslos immer in die Hyperinflationskatastrophe geführt. Da kann man wirklich nur hoffen, dass die vernünftigen Stimmen in Europa die Oberhand behalten.