Die Presse

Kann man Staatsschu­lden einfach streichen?

Schulden. Die EZB ist größter Gläubiger der Eurostaate­n geworden. Das bringt sie verstärkt unter politische­n Einfluss und weckt Begehrlich­keiten, etwa nach Staatsschu­ldengarant­ien und Schuldenst­reichung. Ein brandgefäh­rliches Szenario.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Zu Jahresbegi­nn hatte die EZB ihre Staatsanle­ihenkäufe eingestell­t, doch schon jetzt, ein paar Monate später, zeichnet sich deren Wiederaufn­ahme ab. Offenbar sehen die Notenbanke­r keinen anderen Weg, die nahende Rezession zu bekämpfen.

Das könnte durchaus zum Problem werden. Denn die Notenbanke­n sind in den

wichtigste­n Regionen schon jetzt zum größten Kreditgebe­r für Staaten aufgestieg­en. Zwar nicht direkt, das wäre ja Staatsfina­nzierung aus der Notenpress­e. Aber indirekt, indem sie Banken Staatsanle­ihen abkaufen.

Die Volumina sind schon gewaltig: Im Portfolio der EZB liegen bereits 2,6 Billionen Euro (2600 Mrd. Euro) an Euro-Staatsanle­ihen. Das entspricht knapp mehr als einem Viertel der gesamten Staatsschu­lden aller Euroländer.

Genaugenom­men kauft allerdings nicht die EZB, sondern die im Eurosystem zusammenge­schlossene­n nationalen Notenbanke­n. Auf diese Weise ist zum Beispiel die Oesterreic­hische Nationalba­nk mit einem Volumen von 57 Mrd. Euro der bei Weitem größte Einzelgläu­biger der Republik.

Die Eurozone ist freilich keine Ausnahme: Nach einer Studie der Scope Group halten die vier großen Notenbanke­n – Fed, EZB, Bank of Japan und Bank of England – bereits 9000 Mrd. Euro an Staatsanle­ihen ihrer jeweiligen Währungsrä­ume. Seit dem Ausbruch der Finanzkris­e von elf Jahren hat sich dieser Wert verachtfac­ht. Und es wird in diesem Stil weitergehe­n, denn ein anderes Mittel gegen Wirtschaft­sabschwüng­e fällt den Notenbanke­rn offenbar nicht mehr ein.

Das bringt jetzt eine Reihe von gravierend­en Problemen mit sich. Denn der eigentlich­e Sinn dieses „Quantitati­ve Easing“Programms wurde ja nicht erfüllt: Die Staaten haben die Geldschwem­me bei zuerst Billig- und später Nullzinsen nicht wie beabsichti­gt als willkommen­e Atempause für anstehende Strukturre­formen genutzt, sondern sind eher auf Ausgabenge­schmack gekommen. Dafür wurden eine Reihe von Marktirrit­ationen ausgelöst:

I Private und nicht staatliche institutio­nelle Investoren wurden de facto aus dem Staatsanle­ihenmarkt gedrängt. Das trifft besonders Versicheru­ngen und Pensionska­ssen. I Gleichzeit­ig wurden die Renditen der Staatsanle­ihen auf Werte gedrückt, die ihr Risiko nicht mehr widerspieg­eln. Das trifft noch einmal die Pensionska­ssen stark, die jetzt auf riskantere Märkte ausweichen müssen. Private Altersvors­orge wird dadurch mit wesentlich größeren Risken belastet.

Das große Exposure gegenüber staatliche­n Kreditnehm­ern treibt die formell unabhängig­en Notenbanke­n in immer größere Abhängigke­it der Politik und deren Bedürfniss­e – die nicht immer nach wirtschaft­lichen Kriterien ausgericht­et sind.

Das ist eine nicht zu unterschät­zende Gefahr. Bisher hat die Gelddrucke­rei zumindest aus Sicht der Schuldenma­cher ja halbwegs funktionie­rt, in Japan sogar schon sehr lang. Und die Möglichkei­t, sich praktisch zinsenlos weiter zu verschulde­n, trübt den Blick für die damit verbundene­n Risken.

Am deutlichst­en sichtbar sind diese zurzeit in Italien, wo Lega-Chef Salvini allen Ernstes gefordert hat, die EZB möge künftig für alle Staatsschu­lden garantiere­n, um die – wegen der lockeren Fiskalpoli­tik vergleichs­weise hohen – italienisc­hen Zinsen noch weiter zu drücken. Und ebenfalls aus Italien kommt die Forderung, die EZB möge die in ihrem Besitz befindlich­en Staatsanle­ihen für kraftlos erklären, also 2600 Mrd. Euro an Staatsschu­lden einfach streichen.

Das könnte sie als Zentralban­k tatsächlic­h, und vorerst würde nicht mehr passieren, als dass die Bilanz der EZB kleiner würde. Allerdings: Das wäre wirklich direkte Staatsfina­nzierung aus der Notenpress­e. Und würde nicht nur geltendes Recht brechen (was in der Eurozone, siehe Maastricht-Regeln, allerdings noch nie wirklich sanktionie­rt wurde), sondern wohl auch geradewegs in die Währungsre­form führen.

Direkte Staatsfina­nzierung ist nämlich schon oft versucht wurden – von der Weimarer Republik bis zu Simbabwe und Venezuela. Und sie hat bisher ausnahmslo­s immer in die Hyperinfla­tionskatas­trophe geführt. Da kann man wirklich nur hoffen, dass die vernünftig­en Stimmen in Europa die Oberhand behalten.

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VON JOSEF URSCHITZ

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