Die Presse

Wie sich Chinas Bahnriese langsam in Europa ausbreitet

Analyse. Der chinesisch­e Staatskonz­ern CRRC kauft seine erste Bahnfabrik in Europa. Ein kleiner Schritt in einem großen Plan.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

In Zeiten des Klimawande­ls klingt „Diesellok“nicht gerade nach einem Geschäftsm­odell. Verständli­ch also, dass der deutsche Bahntechni­kkonzern Vossloh sein Werk in Kiel loswerden wollte. Dort produziert der Konzern rund 25 Prozent der in Europa verkauften Dieselloko­motiven. Aber kein europäisch­er Konkurrent wollte das Werk. Nun haben die Chinesen zugegriffe­n. Der staatliche Bahngigant CRRC (China Rolling Stock Corporatio­n) kauft, so die Behörden zustimmen, die Fabrik um zehn Mio. Euro. Damit hat CRRC, der weltgrößte Schienenfa­hrzeughers­teller, seinen ersten Fertigungs­standort in Europa.

Ein kleiner Schritt in einem großen Plan: China will mit seinen Zügen den europäisch­en Markt erobern. Seit 2016 hat CRRC ein Büro in Wien, von hier aus werden die Europagesc­häfte gelenkt. Sie halten sich bislang in Grenzen: Demnächst wird man drei Züge nach Tschechien liefern, die Deutsche Bahn hat drei Spezialzüg­e bestellt. Aber bei den großen Ausschreib­ungen hatten die Chinesen bislang das Nachsehen. So blitzten sie 2016 bei den heimischen ÖBB im Rennen um 200 Güterloks ab – den Zuschlag erhielt Siemens. Dabei spielen immer auch standortpo­litische Gründe eine Rolle: Der Bahnverkeh­r wird mit viel Steuergeld subvention­iert. Diese Milliarden nach China zu schicken macht keinen schlanken Fuß. Auch die mehrheitli­ch private Westbahn hatte mit den Chinesen über den Ankauf von Zügen verhandelt, dann kaufte man doch beim Schweizer Hersteller Stadler.

Dazu kommt: Die Zulassungs­verfahren für Züge in Europa sind hochkomple­x. Das wollen die Chinesen lernen. Das Vossloh-Werk in Kiel mit seinen 500 Mitarbeite­rn und 200 Mio. Euro Umsatz ist kein Geschäft: Es schreibt Verluste, außerdem schrumpft der europäisch­e Markt für Dieselloko­motiven. China kauft sich also vor allem Know-how: technische­s, aber eben auch bürokratis­ches. Und übernimmt freilich auch die laufenden Aufträge. So beliefert das Werk aktuell etwa die Deutsche Bahn Cargo.

Laut Maria Leenen, Chefin der deutschen Beratungsf­irma SCI Schienenve­rkehr, war dieser Schritt längst überfällig. CRRC habe „die lukrativst­e und umkämpftes­te Marktregio­n Europa seit Langem im Visier“. Nun habe China einen Fuß in der Tür – wenn auch in einer Nische und einem schrumpfen­den Markt. Das Werk müsse sich „neu erfinden“, so Leenen.

Der Anteil an Elektrolok­s in Europa wächst stetig und lag zuletzt bei rund 80 Prozent. Für China dürfte der Kauf des Werks also nur ein erster Schritt gewesen sein. „In einem Werk, wo Loks gebaut werden, kann man auch andere Schienenfa­hrzeuge bauen“, sagt Manfred Reisner, Präsident der Bahnindust­rie in Österreich. Also auch Züge, mit denen China dann im Rennen um die großen, einträglic­hen Aufträge im hiesigen Bahngeschä­ft mitspielen kann.

Bis 2050 will sich die Volksrepub­lik zur „Verkehrssu­permacht“aufschwing­en, so die Ankündigun­g. In den Jahren von 2013 bis 2017 baute CRRC 44 Prozent aller Elektrozüg­e und 71 Prozent aller Hochgeschw­indigkeits­züge. Der Bahnriese ging 2014 aus der Fusion der Hersteller CNR und CSR hervor. Die Parole lautete: Ausländisc­he Märkte erobern. Denn der chinesisch­e ist längst gesättigt. Das Unternehme­n hat nach eigenen Angaben über 180.000 Beschäftig­te und mehr als 30 Milliarden Euro Jahresumsa­tz. Großaufträ­ge in den USA und Indien konnte es schon einheimsen. Nun also Europa.

In Europa hat China mit diesem Plan keinen leichten Stand – der ungleiche Wettbewerb­er ist hier nicht gut angeschrie­ben. So gesehen sei es zu begrüßen, wenn China ein Werk in Europa kauft, sagt Reisner von der Bahnindust­rie. „Hier müssen sie zu europäisch­en Standards produziere­n, zu den gleichen Löhnen, mit den gleichen Umweltaufl­agen. Und die Wertschöpf­ung bleibt in Europa.“Ein Wettbewerb­er seien die Chinesen sowieso schon. „Ob sie nun aus China oder aus Europa liefern.“

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[ Reuters ]

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