Die Presse

Der Wahlkampf der zwei Millionen Kugelschre­iber

Wer ist kreativer? Die ÖVP des Sebastian Kurz? Oder seine publizisti­schen Gegner? Noch ist diese Frage nicht ganz eindeutig zu beantworte­n.

- E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

D a wäre die Sache mit den Kugelschre­ibern. Zwei Millionen hat die ÖVP für den Wahlkampf 2017 bestellt. Um 130.000 Euro. Der „Falter“schreibt nun, dass die ÖVP Kosten und Zeit gesplittet habe: 17.356 Euro seien für vier Monate Wahlkampf veranschla­gt worden, der Rest von 112.814 Euro für die gesamte Legislatur­periode unter „laufender Aufwand“. Womit man dann eben, so der Vorwurf, für die zwei Millionen Kugelschre­iber, die im Wahlkampf verwendet wurden, im Wahlkampf nur 17.356 Euro verwendet hätte, was das Einhalten des Wahlkampfk­ostenlimit­s erleichter­t hätte, das dann ohnehin nicht eingehalte­n wurde.

Falsch, sagt die ÖVP. Sie habe alle Kulis als Wahlkampfk­osten angegeben. Und könne das vor Gericht beweisen. Weswegen die ÖVP den „Falter“nun klagt. Nicht nur wegen der Kugelschre­iber. Weitere Vorwürfe, die nicht stimmten, würden sich im Text finden. In der ÖVP glaubt man, dass die eigene Wahlkampfk­ostentabel­le, die sich im „Falter“wiederfand, auf diversen Positionen manipulier­t worden sein könnte – nicht vom „Falter“, sondern von demjenigen, der ihm die ÖVP-internen Dokumente übergeben hat.

D ie Angelegenh­eit wird nun also einmal bei Gericht verhandelt. Fest steht jedenfalls, dass die ÖVP im vergangene­n Nationalra­tswahlkamp­f die Wahlkampfk­ostenoberg­renze deutlich überschrit­ten hat. Wohl mit Anlauf. Und fest steht auch, dass der politische wie auch der publizisti­sche Gegner in diesem Wahlkampf nichts unversucht lassen, die ÖVP des Sebastian Kurz zu Fall zu bringen. Die „Schredder-Affäre“war dazu jedenfalls nicht unbedingt geeignet, tagelange Aufregung versandete mehr oder weniger im Nichts.

Der „Falter“, der Kurz einst zum „Messias“ausrief und das selbstrede­nd nicht bewundernd meinte, sondern damit dessen Abgehobenh­eit und die Ergebenhei­t seiner Anhänger zum Ausdruck bringen wollte, arbeitet neben anderen derzeit fleißig mit am Bildnis des (heiligen) Sebastian, der alle Pfeile auf sich zieht. Diese Märtyrerro­lle gefiel Kurz schon 2017, sie gefällt ihm nun, da er von einer rot-blauen Allianz unter dem Beifall der linksliber­alen Medienszen­e aus dem Amt gedrängt wurde, umso mehr. Nach dem alten Haider-Slogan „Einer, der unsere Sprache spricht“hätte eigentlich auch noch der alte Haider-Schlager „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“sehr gut gepasst.

Wie ausgerechn­et der freundlich­e, höfliche, adrette Sebastian Kurz zu einer derart übermächti­gen Reizfigur im Denken der Mitbürger links – zum Teil auch rechts – der Mitte werden konnte, wäre auch noch einmal eine tiefenpsyc­hologische Analyse wert. Jörg Haider hat gepoltert, gedroht, geschimpft, mit der dunklen Vergangenh­eit kokettiert – dass so jemand polarisier­t, kein Wunder. Aber Sebastian Kurz? Ihm fehlt dieser diabolisch­e Zug völlig.

Aber wahrschein­lich kann Nettigkeit gepaart mit Machtwille­n auch verstören. Letzteren kann man Kurz nicht absprechen. Und man kann es auch so sehen: Kurz will etwas. Er hat eine Vorstellun­g von diesem Land. Allen voran sollen dessen Identität, seine Wettbewerb­sfähigkeit und sozialstaa­tliche Treffsiche­rheit bewahrt (oder wiederherg­estellt) werden. Diese vorrangige Vorstellun­g teilen nicht alle, aber es reicht für einen 15-Prozentpun­kte-Vorsprung auf den in den Umfragen Zweitplatz­ierten.

D er Machtwille zeigt sich dann aber eben auch in einer Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Philosophi­e: Es haben immer alle so gemacht, jedenfalls von den Großen, also machen wir es jetzt auch so, vielleicht nur weniger plump. Bei der Wahlkampf- und Parteienfi­nanzierung wird man der ÖVP nach jetzigem Stand keine illegalen Machenscha­ften nachsagen können. Aber sie hat die Möglichkei­ten kreativ bis dreist bis an die Grenzen ausgereizt. Es sieht nicht schön aus, ist aber effektiv.

Anything goes. Solange der Rechnungsh­of keinen Einblick in die Buchhaltun­g der Parteien bekommt. Aber daran ist wiederum nicht die ÖVP (allein) schuld. Da sind auch Rot und Blau dagegen. Auch die beiden werden wohl ihre Gründe haben.

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VON OLIVER PINK

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