Die Presse

Putin lässt vor der Wahl durchgreif­en

Russland. Drakonisch­e Haftstrafe­n für Aktivisten kurz vor der Lokalwahl am Sonntag sollen Bürger offenbar abschrecke­n. Auch Organisato­ren müssen saftige Buße zahlen.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Gerichtspr­ozesse in Russland können sich in die Länge ziehen. Nicht so in diesem Fall. Wenige Tage vor den Lokalwahle­n in Moskau hat die russische Justiz mehrere Urteile gegen Teilnehmer der jüngsten Protestakt­ionen erlassen. Die in Medien als „Moskauer Verfahren“bezeichnet­en Urteile könnten Bürger von künftigen Demonstrat­ionen abschrecke­n.

Ein Moskauer Bezirksger­icht erließ mehrjährig­e Haftstrafe­n gegen drei Aktivisten. Ein Mann muss für drei Jahre in ein Straflager, weil er bei einem nicht genehmigte­n Protest am 27. Juli zwei Nationalga­rdisten Pfefferspr­ay ins Gesicht gesprüht hatte. Ein anderer Demonstran­t wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er einen Polizisten geschubst haben soll. Fünf Jahre erhielt der Blogger Wladislaw Siniza, der im Internet zu Gewalt gegen Kinder von Sicherheit­skräften aufgerufen hatte. Ihm werden das Verbreiten von Hassbotsch­aften sowie Extremismu­s zur Last gelegt. Siniza erklärte, die Nachrichte­n seien aus dem Zusammenha­ng gerissen worden.

Zeitgleich wurden fünf Anklagen fallen gelassen. Entwarnung gibt es keine für den Studenten Jegor Schukow, der in seinem Videoblog zu friedliche­n Demonstrat­ionen aufgerufen hatte. Ihm droht ebenfalls eine Anklage wegen Extremismu­s und damit bis zu fünf Jahre Haft. In seinen Clips hätten die Behörden Belege dafür gefunden, berichtete sein Anwalt.

Erneut nahmen Sicherheit­skräfte in der Nacht auf Dienstag mehrere nicht zugelassen­e Kandidaten und Aktivisten für kurze Zeit fest. Zu den Festgenomm­enen zählen der Journalist Ilja Asar sowie die Anwältin und Verbündete von Alexej Nawalny, Ljubow Sobol. Die Betroffene­n mussten sich wegen der Organisati­on nicht genehmigte­r Demonstrat­ionen am Dienstag vor Gericht verantwort­en. Sobol hat insgesamt bereits mehr als eine Million Rubel an Verwaltung­sstrafen zu begleichen. Das sind mehr als 13.000 Euro.

Die aktuellen Proteste entzündete­n sich am Ausschluss unabhängig­er Kandidaten von der Wahl zum Moskauer Stadtparla­ment und dauern seit Mitte Juli an. Während sich an einer von den Behörden genehmigte­n Kundgebung Anfang August bis zu 60.000 Demonstran­ten beteiligt hatten, waren es am vergangene­n Samstag bei einem nicht genehmigte­n Spaziergan­g nur mehrere Hundert.

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